Zum Aufstieg verdammt? So ist die finanzielle Halbjahresbilanz von Schalke zu bewerten

Zum Aufstieg verdammt? So ist die finanzielle Halbjahresbilanz von Schalke zu bewerten

28. Oktober 2021 1 Von Susanne Hein-Reipen

Same Procedure wie jedes halbe Jahr: Wenn der FC Schalke 04 seinen Konzern- oder Konzernzwischenbericht veröffentlicht, schwanken die Reaktionen zuverlĂ€ssig zwischen „echt tollen Job gemacht“ und „das Ende ist nah!“. Finanzfachfrau Susanne Hein-Reipen schaut genauer hin und ordnet das Zahlenwerk ein.

Fehlbetrag von rund 21 Millionen Euro

Der Konzernzwischenbericht 2021 weist einen Verlust von 21 Mio. Euro aus. Das ist natĂŒrlich kein Grund zum Jubeln, aber an dieser Stelle ist klar festzuhalten: Unter den gegebenen UmstĂ€nden mit coronabedingten Geisterspielen und einer schlicht desaströsen sportlichen Leistung inklusive Abstieg hĂ€tte es weitaus schlimmer kommen können. FinanzvorstĂ€ndin Christina RĂŒhl-Hamers fĂŒhrt dieses Ergebnis auf „umfassende Kostensenkungsmaßnahmen“ und eine „frĂŒhzeitige Neuausrichtung und die enge Zusammenarbeit zwischen den Ressorts Sport und Finanzen“ zurĂŒck. Das heißt ĂŒbersetzt nichts Anderes als „sparen, sparen, sparen“ und „nichts ausgeben, was man nicht hat“. Diese simplen kaufmĂ€nnischen Vernunftsregeln wurden leider auf Schalke in der Vergangenheit zu oft nicht beachtet, nun aber mit dem Stopp aller nicht lebensnotwendigen Investitionsmaßnahmen auf dem Berger Feld und in den Kader und flĂ€chendeckender Kurzarbeit angepackt.

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Negatives Eigenkapital steigt auf 92 Mio. Euro

Durch diesen Verlust ist auch der „nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag“, das negative Eigenkapital, auf rund 92 Mio. Euro angewachsen. Zur ErlĂ€uterung: Eigenkapital weist das VerhĂ€ltnis von Vermögen und Verbindlichkeiten aus – ist es positiv, sind mehr Werte als Verbindlichkeiten vorhanden, ist es negativ, ĂŒbersteigen die Schulden das Vereinsvermögen. Minus 92 Mio. sind daher schon eine klare Mahnung zur Vorsicht.

Dass Schalke trotzdem nicht wie teilweise geunkt zum Insolvenzrichter laufen muss, ist auf die vielzitierten „stillen Reserven“ zurĂŒckzufĂŒhren: Das ist Vermögen, das nicht bzw. mit einem geringen Wert in der Bilanz steht und deshalb mit Gewinn verkauft werden kann. Im Profifußball sind das klassischerweise die Marktwerte selbst ausgebildeter bzw. ablösefrei verpflichteter Spieler. Der Hintergrund: Spieler tauchen unter dem Posten „entgeltlich erworbene Spielerwerte“ mit ihren Anschaffungskosten in der Bilanz auf – hat ein Spieler aber nichts gekostet, steht dort nur ein symbolischer Euro, obwohl der tatsĂ€chliche Marktwert deutlich höher ist. Bei zugekauften Spielern hingegen wird die Transfersumme auf die Vertragslaufzeit abgeschrieben, die Gewinnspanne bei einem Weiterverkauf ist entsprechend niedriger bzw. kann sogar zu einem Verlust werden, wenn der Spieler durch schlechte Leistungen oder Verletzungen an Wert eingebĂŒĂŸt hat. Rund 10,2 Mio. Euro musste Schalke in diesem Bereich im 1. Halbjahr außerplanmĂ€ĂŸig abschreiben, weil die sportlichen „Leistungen“ die Transferwerte in den Keller rauschen ließen.

UmsÀtze steigen auf 106,7 Mio. Euro

Die UmsĂ€tze hingegen sind sogar leicht auf 106,7 Mio. Euro angestiegen (Vorjahreszeitraum 102,1 Mio. Euro), was maßgeblich auf die Transfers von Weston McKennie und Suat Serdar zurĂŒckzufĂŒhren ist. Ohne diese insgesamt 30 Mio. Euro sĂ€he es dĂŒsterer aus, denn die Erlöse aus dem Spielbetrieb, Catering und Sponsoring sind durch die Geisterspiele natĂŒrlich deutlich gesunken. Auch im Merchandising ging es aufgrund der Coronapandemie und den schlechten sportlichen Darbietungen bergab, die Erlöse aus den medialen Verwertungsrechten hingegen blieben stabil.

Personalaufwand ist immer noch hoch

Immer noch hoch ist der Gesamtpersonalaufwand von 53,6 Mio. Euro (Vorjahreszeitraum 48,3 Mio. Euro), da zwar fast keine Erfolgs- oder PunktprĂ€mien, aber zahlreiche ĂŒberteuerte Großverdiener und kurzfristige Leihen und Verpflichtungen wie Sead Kolasinac, Klaas-Jan Huntelaar, Shkodran Mustafi und Christian Gross bezahlt werden mussten. Es wird extrem spannend, wie diese Zahl nach dem radikalen Kaderumbau durch Rouven Schröder im zweiten Halbjahr aussehen wird. Im Zwischenbericht wird dazu vermeldet „im Rahmen des Kaderumbaus konnte der Personalaufwand wie beabsichtigt drastisch gesenkt werden“ (S. 24).

Auf Schalke wurde leider lange Geldverbrennung betrieben

Verbindlichkeiten gestiegen, aber Besserung ist absehbar

Gestiegen von 217 auf 237,6 Mio. Euro sind auch die Verbindlichkeiten, aber hier ist deutliche Verbesserung in konkreter Aussicht: Am 16.11. werden die bereits eingenommenen 26,5 Mio. Euro fĂŒr den Verkauf der E-Sports-Lizenz erfolgswirksam gebucht und senken die Verbindlichkeiten. Zudem konnten die Finanzverbindlichkeiten von 149 Millionen Euro auf 143,8 Millionen Euro reduziert werden, was auch eine leicht verringerte Zinsbelastung zur Folge hat.

Dringend im Auge zu behalten ist die FĂ€lligkeit der Unternehmensanleihe im Sommer 2023, die vermutlich zumindest zum Teil refinanziert werden muss, da die „Portokasse“ keine 34 Mio. Euro liquide Mittel aufweist.

Was bringt die Zukunft?

Beim Blick in die Finanzglaskugel gibt es sowohl Aspekte, die Mut und Hoffnungen machen als auch Risiken, die – wenn es richtig besch
eiden lĂ€uft – die gefĂŒrchtete Insolvenz in greifbare NĂ€he rĂŒcken lassen könnten. Der Zwischenbericht formuliert dazu „Diese Ereignisse und Gegebenheiten deuten auf das Bestehen einer wesentlichen Unsicherheit hin, die bedeutsame Zweifel an der FĂ€higkeit des Vereins zur FortfĂŒhrung der UnternehmenstĂ€tigkeit aufwerfen kann und die ein bestandsgefĂ€hrdendes Risiko darstellt.“ (S. 8.).

Noch bedrohlicher klingt es auf S. 31: „
Der Abstieg hat fĂŒr die Knappen deutliche Einnahmeverluste zur Folge, da zukĂŒnftig insbesondere sowohl die Einnahmen aus der medialen Vermarktung als auch die Einnahmen aus dem Spielbetrieb, dem Sponsoring und dem Merchandising deutlich geringer ausfallen werden. Die Strukturen des FC Schalke 04 sind auf die Teilnahme in der Bundesliga ausgerichtet und es besteht das Risiko, dass dem FC Schalke 04 der Wiederaufstieg nicht unmittelbar und nicht zeitnah gelingt. Dies könnte erhebliche negative Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz, und Ertragslage des FC Schalke 04 haben. Es besteht das Risiko, dass die Ausgaben infolgedessen den reduzierten Einnahmen nur bedingt oder ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum angepasst werden können und sich daraus die wirtschaftliche Situation des S04 bis hin zur ExistenzgefĂ€hrdung verschlechtert und gegebenenfalls zur Insolvenz fĂŒhrt“.

Zum Aufstieg verdammt?

Das liest sich nach „Wenn Schalke nicht sofort wieder aufsteigt, gehen die Lichter aus“ – doch an dieser Stelle kann Entwarnung gegeben werden: Eine kurzfristige Insolvenz des Vereins ist nicht zu befĂŒrchten, auch wenn der erhoffte Sprung zurĂŒck in die Bundesliga nicht auf Anhieb gelingt. Mittelfristig wĂ€re es aber natĂŒrlich nicht nur zum Abbau der Verbindlichkeiten sehr wichtig, wieder erstklassig zu spielen. Das sportliche Abschneiden der Profimannschaft bestimmt bei einem Fußballverein nun einmal auch das wirtschaftliche Schicksal maßgeblich.

Fast volles Haus gegen Dynamo Dresden – gut fĂŒr die Stimmung und die Kasse

Auf der Habenseite des FC Schalke 04 stehen ungebrochen noch ĂŒber 160.000 Vereinsmitglieder und ein Vielfaches an Fans und Sympathisanten, die endlich auch wieder Ticketeinnahmen in die Kassen spĂŒlen können. Der drastische Kaderumbau hat die Personalkosten, die schon seit den Zeiten von Rudi Assauer gemessen am sportlichen Ertrag regelmĂ€ĂŸig zu hoch waren, endlich deutlich reduziert. Sowohl im Vorstand als auch im Aufsichtsrat sind ganz ĂŒberwiegend Leute in der Verantwortung, die sich klar und deutlich auf die Fahnen geschrieben haben, auf die Großmannssucht und riskanten Investitionen der Vergangenheit zu verzichten und auf kaufmĂ€nnische Vernunft zu setzen. Zudem hĂ€tte Schalke, wenn es hart auf hart kĂ€me, noch die Möglichkeit, die Marketingrechte ganz oder teilweise zu verĂ€ußern und als ultima ratio eine Ausgliederung mit nachfolgendem Anteilsverkauf in die Wege zu leiten. Schalke wird in den einschlĂ€gigen Rankings internationaler WirtschaftsprĂŒfungsgesellschaften immer noch unter den 15 wertvollsten Clubs Europas eingeordnet.

Schalke selber prognostiziert fĂŒr das GeschĂ€ftsjahr 2021 einen Verlust „im niedrigen zweistelligen Millionenbereich“ – das wĂ€re unter den gegebenen Bedingungen ein mehr als respektables Ergebnis und eine deutliche Verbesserung zum Rekordverlust 2020 (52,6 Mio. Euro). Mit den Einnahmen aus dem Verkauf der E-Sports-Lizenz werden zudem die Gesamtverbindlichkeiten vermutlich wieder auf  unter 200 Millionen sinken; ein sehr erfreulicher Trend, der zusammen mit der aktuell hoffnungsfroh stimmenden Entwicklung in der zweiten Bundesliga Mut macht. Der Patient Schalke ist zwar finanziell noch nicht â€žĂŒber den Berg“, hat aber die Intensivstation verlassen und trainiert fleißig, um weiter fitter zu werden