Schalke – Paderborn 3:3: Mal wieder die volle Palette Schalker Wahnsinn
9. März 2024Der FC Schalke 04 verspielt im Heimspiel gegen den SC Paderborn eine 2:0-Führung, doch ein wunderschönes Tor von Youngster Keke Topp rettet beim 3:3 (1:0) einen wichtigen Punkt. Die 61.475 Zuschauer in der ausverkauften Veltins-Arena gehen mit zerrütteten Nerven, aber bestens unterhalten nach Hause. Susanne Hein-Reipen berichtet…
Sonniges Frühlingswetter strahlt über dem Berger Feld, als die Schalkefans ihrem „Tempel“ zustreben. Rund um die Trainingsplätze, auf denen die Jugendmannschaften der Knappenschmiede fleißig sind, kommen Biertrinker und Aufkleber-Liebhaber gleichermaßen auf ihre Kosten.
Im Zeichen des Sondertrikots
Beim Fanspiel feiern „Kuzorras Enkel“ einen furiosen 6:3-Erfolg gegen „Unter Tage 04“. Moderator Dirk Oberschulte-Beckmann trägt dabei ebenso wie Maskottchen Erwin das dunkelblaue „Für immer mein Verein“-Sondertrikot zum 120jährigen Vereinsjubiläum, das unter der Woche so begehrt war, dass binnen weniger Minuten wieder einmal der Schalker Online-Shop in die Knie ging.
Während die Keeper beginnen sich warmzumachen, steht U 17-Trainer Thomas Bertels am Mikro von Jörg Seveneick Rede und Antwort. Sein Herz schlug selbst als langjähriger Paderbornprofi schon für Schalke, also setzt er natürlich auf Heimsieg. Die Termine und Ergebnisse der anderen Knappenschmiedeteams für das Wochenende runden das Gespräch ab.
Als die Mannschaft zum Warmmachen aufläuft, steht fest: Der lange verletzte Assan Ouédraogo steht wieder im Kader! Am Mikro freuen sich derweil die jungen Designer des Sondertrikots und Vorstandsvorsitzender Matthias Tillmann über den durchschlagenden Erfolg des Trikots, das Symbole aus unterschiedlichen Epochen des Vereins trägt. Die Nordkurve bringt sich schon einmal mit einem kleinen Pogo zu „Stadion geh’n mit’m Pappbecher Bier“ und „Hier regiert der S 04!“ auf Betriebstemperatur.
Blau und Weiß, wie lieb ich Dich
Der Blick auf die Tabelle spricht eher für die auswärtsstarken Paderborner, die Bilanz von zwei Siegen und einem Unentschieden in den bisherigen drei Heimspielen gegen die Westfalen eher für Schalke. Als Ehemalige sind heute unter anderem die Kremers-Zwillinge dabei.
Die Aufstellung der Gäste juckt kaum einen Schalker, denn alle warten aufs Steigerlied, heute zur Abwechslung mal unter königsblau-weißem Himmel geschmettert. Dann folgt die Aufstellung von Schalke: Mit Müller, Soppy, Kalas, Schallenberg, Murkin, Seguin, Kabadayi, Ouwejan, Karaman, Lasme und Terodde vertraut Karel Geraerts nach dem Motto „never change a winning team“ der Startelf vom furiosen Heimsieg über St. Pauli.
Zu den Klängen des Vereinslieds „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“ kommen die Mannschaften aufs Feld, die Paderborner ganz in Weiß, Schalke mit zum Sondertrikot passenden dunkelblauen Stutzen und weißer Hose. Einschwören und los geht’s!
Kampfbetonter Beginn
Schon sehr bald nach dem Anpfiff wird klar: Beide Mannschaften hängen sich voll rein, insbesondere die Schalker Spieler attackieren sehr früh. Das gefällt natürlich nicht nur der Nordkurve, die lautstark mit „S! 0! 4!“ und „Jeden Tag und jede Nacht, singen wir immer wieder blau-weiße Lieder…“ einsteigt.
Nach knapp zehn Minuten dann der erste aussichtsreiche Angriff: Eine Flanke von Ouwejan landet mit Bilbijas Hilfe im Strafraum, Lasme blockt gegen Ansah und ermöglicht so Kalas eine Direktabnahme, die jedoch leider ein gutes Stück zu hoch ausfällt.
Die Nordkurve geht jetzt von „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ über „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“ zum Wechselgesang Schalke! – Nullvier! über. Auf dem Feld muss Schallenberg nach einem Zusammenprall mit Ansah behandelt werden, kann aber mit leichtem Brummschädel weiterspielen.
Karaman cool vom Punkt
Schalke erobert sich zunehmend mehr Spielanteile und hat durch Murkin (21., 22.) und Lasme (25.) weitere Abschlüsse, musikalisch nach vorne getrieben durch „Wir komm‘n vom Berger Feld“, Attacke und „Auf geht‘s Blau-Weiß, holt euch den Sieg für uns“. Soppy muss ebenfalls kurz behandelt werden, kann aber auch weiterspielen.
Dann kochen die Emotionen hoch: Ballgewinn Schalke im Mittelfeld, Seguin knallt aus gut 30 Metern drauf, der Ball wird abgefälscht und landet bei Lasme, der ihn in den Strafraum zu Karaman weiterleitet. Dieser wiederum möchte Bilbija überlupfen und trifft dessen linken Arm – und Schiedsrichter Robert Kampka befindet sofort auf Handelfmeter. Diese Chance lässt sich Karaman nicht entgehen und vollstreckt mit rechts eiskalt zur 1:0-Führung unter die Latte (32.).
Die ohnehin gute Stimmung klettert noch einige Grade weiter nach oben, inbrünstig werden „S04, nur mit dir“ und „Uns‘re Fahnen weh‘n im Wind, weil wir deutscher Meister sind“ angestimmt. Ansah (36.) und Lasme (39.) kommen mit Angriffen nicht durch, Kalas sieht Gelb, weil er Bilbija beim Kopfballduell im Gesicht trifft (42.). Das gleiche Schicksal ereilt kurz darauf in der fünfminütigen Nachspielzeit Ansah, dessen Ellenbogen Schallenberg kurz umhaut (45.+2.).
Umjubeltes 2:0 durch Lasme
Müller, der nicht nur bei Freistößen lautstark von hinten alles dirigiert, spielt gut mit und stürzt rechtzeitig aus seinem Kasten, um vor dem Strafraum per Fuß zu klären (45+4.). Kurz darauf hält er gegen Bilbija die Führung fest (45+6.), dann geht es mit Applaus in die Kabinen.
Die allermeisten Schalker in den Schlangen vor Kiosken und Toiletten sind denn auch mit dem Auftreten im ersten Durchgang zufrieden, „schließlich ist Paderborn keine Laufkundschaft!“. In der Fanbox gilt wieder die Devise „Nicht schön, aber mit viiiel Gefühl“; bei „Fanbelange aktuell“ geht es um das Osterferienprogramm, die Auswärtstour nach Berlin und – natürlich – das Sondertrikot: Bis Montag kann die Kollektion noch vorbestellt werden, wenn man etwas Geduld mit der Lieferung hat. Die „matchworn“ Trikots des Spiels werden zugunsten von Schalke hilft! versteigert.
Wenn das Schalker Ufo auf dem Würfel erscheint, weiß jeder: Gleich geht’s weiter! Beide Mannschaften kommen personell unverändert wieder auf den Rasen; die Schalker schwören sich kurz erneut ein. Aus der Nordkurve ist „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen“ und „Schalke nur du alleine“ zu hören; Seguin kassiert seine fünfte gelbe Karte und muss somit in Berlin zuschauen (47.).
Eine Ecke für Schalke verpufft ohne Torgefahr, aber kurz darauf spielt Murkin einen schönen Pass aus der eigenen Hälfte in den Lauf von Lasme, der noch ein paar Schritte macht und das Leder aus sieben Metern zum 2:0 in das rechte obere Eck setzt (50.). JaaaaaaAAAAAA!
Schalke plötzlich vogelwild
Nunmehr strahlt den Schalkefans richtig die Sonne aus dem Popo, „Steht auf“ und „Gelsenkirchen Neun-Zehn-Hun-Dert-Vier, für Deine Farben leben und sterben wir“ werden abgefeiert. Doch das Geschehen auf dem Spielfeld verlagert sich trotz der Führung zusehends in Richtung der Gäste: Bilbija verpasst das Tor noch knapp (53.), Zehnter macht es besser: Getümmel im Schalker Strafraum, Kabadayi will eine Flanke von Obermaier aus der Gefahrenzone köpfen, dort lauert aber Zehnter und befördert den Ball mit einem sehenswerten Schuss volley zum 1:2-Anschlusstreffer ins rechte Kreuzeck (60.).
Die Nordkurve schüttelt sich einmal kurz und fordert sofort wieder „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und „Immer wieder S 04“. Als erster Wechsel kommt Matriciani für Soppy (63.), der den ihm entgegengebrachten Applaus artig ans Publikum zurückgibt. Bei den Gästen kommt mit Stürmer Grimaldi für Innenverteidiger Curda ein weiterer Offensiver.
Drei kurz aufeinanderfolgende Ecken für Schalke, von denen Seguin eine direkt an die Querlatte setzt, sorgen für ein wenig Entlastung, während sich Maskottchen Erwin fleißig als Einpeitscher versucht. Nach einem Zweikampf mit Klefisch geht Terodde zu Boden und muss behandelt werden. Schiedsrichter Kampka starrt derweil mit ernster Miene minutenlang auf den VAR-Bildschirm und befindet das Geschehen für nicht elferwürdig.
Im direkten Gegenzug hingegen GIBT es Elfer für Paderborn, denn ein Distanzschuss von Ansah landet an Kalas‘ Arm. Müller ist an Kinsombis Schuss zwar noch dran, kann den Ball aber nicht mehr aus der linken Ecke fischen und es steht 2:2 (78.).
Einmal Hölle und zurück
„Wie kann man eine 2:0-Führung so aus der Hand geben?!“ spricht ein Schalker in M aus, was alle denken. Beide Trainer greifen nun ganz tief in die Wechselkiste; bei Schalke ersetzen Idrizi, Latza und Topp Kabadayi, Ouwejan und Lasme; bei den Gästen kommen mit Conteh, Klaas, Hansen und dem Ex-Schalker Leipertz sogar vier frische Kräfte.
Die Nordkurve gibt die Hoffnung auf eine erneute Schalker Führung nicht auf und fordert neben dem obligatorischen Aufstehen „Vorwärts FC Schalke, schieß ein Tor für uns“. Churlinov kommt für Terodde – und zum Entsetzen aller Schalker geht Paderborn mit 3:2 in Führung (86.). Vorangegangen war nach einem Ballverlust von Murkin eine Stafette über Obermair, Conteh, Leipertz und Klaas, der das Leder ins linke Eck befördert.
Der Frust des Publikums ist nun riesig und entlädt sich unter anderem in einem gellenden Pfeifkonzert gegen SCP-Schlussmann Boevink, der am Elfmeterpunkt den sterbenden Schwan gibt. Konsequenterweise gibt es acht Minuten Nachspielzeit obendrauf – und zwei Minuten später zeigt Keke Topp, warum ihm die Zukunft gehört: Karamans Kopfballverlängerung legt sich die Nummer 42 mit der Hacke über zwei Gegenspieler hinweg in seinen Laufweg, vernascht im Vorbeigehen noch Kinsombi, geht in die Mitte und vollendet aus gut zehn Metern zum 3:3 (90+2.)! Die Jubelwelle hebt fast das Dach von der Veltins-Arena, aber der Youngster verzichtet auf jegliche Mätzchen und stürmt sofort Richtung Anstoßpunkt. Das 4:3 bleibt jedoch beiden Mannschaften verwehrt, bis in der 90+9. Minute der Abpfiff ertönt.
Ein gewonnener oder zwei verlorene Punkte?
Sowohl bei den Spielern als auch den Fans herrschen gemischte Gefühle: Soll man sich über den Punkt freuen oder über zwei vergebene ärgern? Mit nunmehr 30 Punkten bleibt Schalke auf Rang 14, sonst wäre Platz 12 möglich gewesen – die Gäste verleiben mit 39 Punkten auf Rang 6, hätten aber punktetechnisch mit dem HSV auf Relegationsplatz 3 gleichziehen können.
Als die Mannschaft vor die Kurve tritt, empfängt sie jedenfalls deutlicher Applaus für die über weite Strecken gute kämpferische Leistung, natürlich verbunden mit der Aufforderung „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen!“, bevor es zu „Zeig mir den Platz in der Kurve“ auf die Stadionrunde geht.
Chef-Coach Geraerts sieht es in der Pressekonferenz ähnlich: „Ich werde aber das Positive aus diesem Spiel mitnehmen. Wir haben mentale Stärke gezeigt, sind zurückgekommen und haben noch das 3:3 erzielt. Nach dem Magdeburg-Spiel hätte jeder die vier Punkte gegen St. Pauli und Paderborn unterschrieben. Natürlich hätten wir die 2:0-Führung nicht aus der Hand geben dürfen, trotzdem bin ich stolz darauf, dass die Mannschaft zurückgekommen ist.“