Schalke – Leipzig 1:6: Grausame erste Halbzeit lässt selbst die Nordkurve verstummen

Schalke – Leipzig 1:6: Grausame erste Halbzeit lässt selbst die Nordkurve verstummen

25. Januar 2023 2 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 hat das letzte Heimspiel der Hinrunde auch in dieser Höhe verdient mit 1:6 (0:4) gegen RB Leipzig verloren. Die Königsblauen agieren im ersten Durchgang so blutleer und desolat, dass sogar die treuen Fans in der Nordkurve geschockt schweigen. Susanne Hein-Reipen über einen arg gebrauchten Tag auf Schalke…

Dienstags 18 Uhr 30 ist im Stauland NRW nicht die ideale Anstoßzeit, dafür wird es mit 56.841 Zuschauern noch recht voll. Im Fanspiel trennen sich die Fanclubs Monasteria und Schalker Knappen Coesfeld mit einem leistungsgerechten 3:3; in der Nordkurve grüßt traditionell beim Spiel gegen den Dosenclub das „Gegründet von Kumpeln und Malochern“-Banner. Ebenfalls zur Tradition gehören mittlerweile die Sprechchöre gegen Timo Werner.

Jeden Tag und jede Nacht…

Weiter im Vorprogramm geht es mit einem Interview mit Jakob Fimpel, Coach der königsblauen U 23; anschließend wird der neue „Sicherheitssprecher“ Rudi Esser vorgestellt. Für Schmunzeln sorgt Jörg Seveneick, der zum Thema „Fußball in Leipzig“ über Chemie, Lok und alles Mögliche referiert, nicht aber über Rote Brause. Die Heimstatistik fällt allerdings mit nur einem Sieg in bislang fünf Begegnungen nicht berauschend aus.

Bei der Aufstellung der Gäste wird wieder Timo W. besonders „gewürdigt“, dessen Schwalbe die Schalker Fans vermutlich auch in 50 Jahren weder vergessen noch verziehen haben. Dann folgen das bei Abendspielen so beliebte Steigerlied in der verdunkelten Arena und das Vereinslied „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“. Die Nordkurve hat richtig Bock auf Support und stimmt lautstark „Schalke und der FCN“ und „Jeden Tag und jede Nacht“ an, bevor zum Einlaufen der Mannschaft die Aufstellung der Knappen zelebriert wird. Schwolow, Brunner, Yoshida, Matriciani, Uronen, Krauß, Latza, Kozuki, Larsson, Bülter und Frey setzt Reis mit Ausnahme von Frey für Terodde auf die Startelf, die in Frankfurt gute Ansätze gezeigt hat.

K. O. nach einer Viertelstunde

Auch nach dem Anpfiff geht es mit einer Dauerschleife von „Jeden Tag und jede Nacht“ weiter, dann folgt „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“, aber der sehnlich erhoffte frühe Treffer fällt auf der falschen Seite: Werner und Silva spazieren durch den freundlichen Geleitschutz der Schalker Abwehr, der Portugiese kann ungehindert aus 20 Metern flach links einschieben (7.).

Einige **rensohn-Nettigkeiten später schaltet die Kurve wieder auf Support um: „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen“ und „Geh‘n mit dir auf jede Reise“ lautet die Parole. Auf dem Rasen hingegen haben die Gäste zum Leidwesen des Schalker Publikums klar Oberwasser, Szoboszlai und Laimer sind schlicht zu schnell für die Defensive der Knappen. Olmo zu Henrichs, dessen Gegenspieler Uronen ihn vogelfrei herumlaufen lässt – und es steht 0:2 (15.).

Anleihen im Tierreich

Der Rückstand frustriert die Schalkefans, die prompt aus den Bullen verbal andere Nutztiere machen. Leider wirken aber auch die Kicker in Königsblau eher wie Lämmer auf dem Weg zur Schlachtbank…

Trotz der energischen Aufforderung „Steht auf“ hat RB nun fast im Minutentakt Chancen, die Führung weiter auszubauen. Laimer scheitert an Schwolow (18.), ebenso Silva (19.), das vermeintliche 0:3 durch Olmo zählt wegen Abseitsstellung nicht (22.). Das obligatorische „Ihr macht uns‘ren Sport kaputt“ in Richtung des VAR gibt’s trotzdem.

Werner, Olmo und Szoboszlai überrennen die Schalker Abwehr noch mehrere Male, zum Glück in dieser Phase nicht mit hundertprozentiger Konsequenz. Schalke Entlastungsangriffe sind rar und meistens schnell zu Ende, bevor sie überhaupt richtig angefangen haben. „Herrje, haben sie sich nach dem Lob für den Auftritt in Frankfurt schon wieder wie Götter gefühlt?!“ motzt ein Schalker in Block M und erntet beifälliges Nicken.

Doppelschlag vor der Pause

Die Nordkurve gibt trotzdem nicht auf und stimmt „Wir kommen vom Berger Feld, Malocher ohne viel Geld…“ und „Schalke 04 für jetzt und alle Zeit“ an. Krauß, bis dahin neben Kozuki und Frey einer der wenigen Lichtblicke bei Schalke, kommt an der Seitenlinie zu Fall und muss behandelt werden. Das Spiel läuft indes weiter, Brunner verliert den Ball an Laimer, der Olmo in Szene setzt. Seinen Schuss von der Strafraumgrenze kann Schwolow nur zur linken Seite abwehren, wo sich Silva über eine Steilvorlage zum 0:3 (44.) freut.

Schalke ist weiter nur zu zehnt, RB nutzt das eiskalt für das 0:4 durch Werner (45+2.). Für Krauß geht es nicht weiter, für ihn kommt Drexler ins Spiel und erlebt als erste Amtshandlung den Pausenpfiff. Deutliche Pfiffe gibt es auch von den Rängen.

Die Stimmung in der Pause ist naturgemäß sehr bedrückt, denn die Mannschaft hat so ziemlich alles vermissen lassen, was man kämpferisch erwarten darf. Die launigen Liedchen in der Fanbox kommen daher nicht wirklich gut an. Für das Team Fanbelange berichtet Thomas „Kirsche“ Kirschner vom Mitgliederkongress im Dezember und der „Wiedereinweihung“ des restaurierten Flutlichtmastes am kommenden Samstag.

Kurzes Aufbäumen wird sofort honoriert, reicht aber nicht

Zum Wiederanpfiff bringt Thomas Reis Aydin und Ivan für die überforderten Uronen und Larsson; in der Nordkurve herrscht frustrierte Totenstille. Schwolow klärt gegen Orban; Henrichs verzieht.

Doch Schalke scheint sich zumindest nicht mehr ohne Gegenwehr abschlachten lassen zu wollen; Aydin wagt den ersten Vorstoß, dann über Bülter und Frey zu Kozuki, der geschickt zwischen Gvardiol und Halstenberg hindurchtauscht und cool zum 1:4-Anschlusstreffer vollstreckt (56.). Sein erstes Profitor im zweiten Spiel, nicht schlecht. Sofort ist auch der Support wieder da, Schalkefans sind halt treue Seelen…

Das Spiel ist jetzt vorübergehend ausgeglichener, die Nordkurve versucht, das Team mit den „Asozialen Schalker“ und „S04 wir sind da, jedes Spiel, ist doch klar“ weiter nach vorne zu pushen.

Jeder noch so kleine Vorstoß wird begeistert bejubelt. Frey (62.) und ein dickes Pfund von Aydin (63.) treffen leider nicht ins Schwarze. Bei Leipzig kommen rasch hintereinander Forsberg, Poulsen und Haidara für Szoboszlai, Werner (freundlichen Gesang einfügen) und Lainer. Frey ackert im Strafraum und hat in der 73. Minute etwas Pech, dass sein Schuss knapp über den Kasten geht. Kurz darauf sieht er Gelb.

Es wird bitter

Reis lässt Terodde für Kozuki und Mohr für Frey ran (80.), doch die Waage kippt leider wieder zugunsten der Gäste: Terodde bekommt einen Freistoß nur unzureichend geklärt – und Olmo hebt den Ball über Schwolow hinweg zum 1:5 in den Kasten (83.). Puh…

Mit Raum (für Halstenberg) und Kampl (für Schlager) schöpft RB-Coach Rose das Wechselkontingent aus. Der agile Olmo nervt indes Abwehr und Torwart weiter, doch der Schlusspunkt ist Poulsen vorbehalten: Nach Vorlage von Kampl erhält der dänische Joker liebevollen Geleitschutz von Latza und trifft aus spitzem Winkel an Schwolow vorbei ins lange Eck zum 1:6-Endstand (89.). Kampl sieht noch seine fünfte gelbe Karte, dann ist das Spiel aus Schalker Sicht endlich zu Ende.

Wie soll es weitergehen?

Die Arena ist zu diesem Zeitpunkt längst halb leer, selbst an den Seiten der Nordkurve klaffen Lücken, das Tifo-Material ist bereits eingesammelt. Die Nordkurve schweigt, die Spieler zögern, schleichen dann aber doch Richtung Kurve. Demonstrativ vorneweg: Thomas Reis, der den Fans Beifall zollt. Die Mannschaft guckt kurz in die schweigende Menge und flüchtet schnell Richtung Kabine. Schade ist, dass die Stadionregie diese Momente nicht für sich wirken lässt, sondern auf Teufel komm raus den „Königsblauen S 04“ abspielen muss.

Unnötig zu erwähnen, dass diese Niederlage weder Punktekonto noch Tordifferenz gut getan hat – doch viel schlimmer ist die Art und Weise, wie die Mannschaft in der ersten Halbzeit aufgetreten ist. Thomas Reis spricht in der Pressekonferenz zu Recht von einer „absolut enttäuschenden Leistung“: „Wenn du, wie in der ersten Halbzeit, keine Zweikämpfe annimmst und den Gegner laufen lässt, dann haben wir, wenn wir diese Leistung wiederholen würden, nichts in der Bundesliga zu suchen. Wir wussten, dass die Leipziger fußballerisch stark sind. Für mich war entscheidend, dass wir die Zweikämpfe nicht wirklich bestritten und Begleitschutz gegeben haben und den Gegner bis zum Sechzehner haben kommen lassen. Am Sonntag müssen wir ein anderes Gesicht zeigen.“

Dem ist nichts hinzuzufügen! Wenn Schalke überhaupt noch eine Chance auf den Klassenerhalt haben will, muss JEDES Spiel von Beginn an mit vollem Einsatz angegangen werden – die Fans stehen, das hat der heutige Abend einmal mehr gezeigt, wie ein Mann hinter der Mannschaft, solange die sich bemüht!