Schalke – Hertha 5:2: Schalke zerstört Hertha und verlässt die direkten Abstiegsplätze

Schalke – Hertha 5:2: Schalke zerstört Hertha und verlässt die direkten Abstiegsplätze

15. April 2023 1 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 besiegt Hertha BSC Berlin in einem giftigen Abstiegsduell verdient mit 5:2 (2:1) und wird von seinen Fans frenetisch gefeiert. Nur die Sorge um die verletzt ausgewechselten Fährmann, Skarke und Brunner trübt einen atemberaubenden Fußballabend in Gelsenkirchen. Susanne Hein-Reipen berichtet…

Das Wetter ist gut, das Spiel ist spät und es geht um (fast) alles: Schon drei Stunden vor dem Spiel streben tausende Schalker Richtung Berger Feld, um die Parkgebühren zu umgehen und das Geld lieber in die eine oder andere Kaltschale zu investieren und sich mit Gleichgesinnten auf die Party gegen den selbsternannten „Big City Club“ einzustimmen. Einhelliger Wunsch: Unserem „Ex“ Kevin-Prince Boateng die große Klappe zu stopfen!

Ungewöhnliche Aufstellung

Bei Bekanntwerden der Startelfaufstellung gibt es viele erstaunte Blicke: Mit Fährmann, Brunner, Jenz, Kaminski, Matriciani, Latza, Kral, Skarke, Drexler, Bülter und Terodde gibt es gleich fünf neue Gesichter, von denen insbesondere Kaminski und Latza für heiße Diskussionen sorgen. Yoshida muss wegen eines Muskelfaserrisses kurzfristig passen, Zalazar, Krauß, Greiml, Ouwejan und Frey finden sich auf der Ersatzbank wieder.

Im Vorprogramm gibt’s neben dem Fanspiel unter anderem einen Podcast mit Michael Frey und eine Talkrunde zum „Jahr des Schiedsrichters“, das unter dem Motto „Liebe den Sport, leite das Spiel“ steht. Erst respektvolles Schweigen und dann lautstarken Applaus gibt es für die Erinnerung an den beim letzten Heimspiel gegen Leverkusen verstorbenen Schalker und den Dankesbrief seiner Familie an die Rettungskräfte und Fans. Ruhe in Frieden!

Einseitige Feindschaft

Symbolisch dann das Rauskommen der Mannschaft zum Warmmachen: Der zwei Spiele bitter vermisste Moritz Jenz geht voran! Das Stadionsprecherduo begrüßt unter anderem die Schalker Legenden Norbert Nigbur und 4:4-Naldo, dann gibt es die exzellente Heimbilanz gegen die „alte Dame“, die seit Jahrzehnten eine äußerst einseitige Feindschaft zu Königsblau pflegt. Pfiffe gibt’s bei der Aufstellung natürlich trotzdem, insbesondere Boateng müssen die Ohren geklungen haben. Dazu tauschen beide Fanblöcke einige „Liebenswürdigkeiten“ wie „Scheiße 04“ und „Hertha-Schweine“ aus. Für Unmut sorgen allerdings Becherwürfe auf unter dem Gästeblock sitzende Schalker.

Aber es gibt deutlich Wichtigeres als trotzige Hauptstädter: Steiger- und Vereinslied beispielsweise, die dieses Mal ungewöhnlich früh mit vollem Einsatz rausgebrüllt werden, während die Mannschaft sich noch warmschießt. Kann ja nicht schaden, wenn die Spieler den unverbrüchlichen Support noch einmal mitbekommen… Auch „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen“, ein langer und lauter Wechselgesang XXL „Schalke! – Nullvier!“ und der „Königsblaue S 04“ werden inbrünstig geschmettert.

Die Arena ist mit 61.981 Zuschauern, darunter knapp 3.000 Berliner, ausverkauft, denn einige Plätze mussten aus Sicherheitsgründen gesperrt werden. Beide Mannschaften kommen pünktlich aufs Feld, Schalke natürlich in Blau-Weiß, Hertha in Rot. Der Gästeblock zeigt derweil eine kleine Auswärtschoreo „Wir sind der Verein“ und kassiert die obligatorische „Pyrotechnik ist verboten“-Ermahnung von Sicherheitssprecher Rudi Esser.

Traumstart für die Knappen

Schnell wird klar: Hier ist heute Feuer drin! Bereits nach zwei Minuten platzt der erste Ball, als Matriciani und Richter ihn in die Zange nehmen. Und dann platzt fast die Arena: Kaminski erobert nahe des Mittelkreises im Kopfballduell das Leder und bedient Skarke, der kurz vor dem Strafraum von links nach innen marschiert und den Ball mit viel Gefühl an die Unterkante der Latte schlenzt, von der er zum frühen 1:0 ins Tor prallt (3.). JaaaaaaaaaAAAAAA!!!

Die Nordkurve setzt begeistert nach: „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und „Für Deine Farben leben und sterben wir“ sind angesagt. Auf dem Feld gibt es mehrere Ecken für Hertha, die jedoch keine Gefahr für Fährmann im Schalker Kasten darstellen. Auch eine erste Ecke für Schalke verpufft – aber dann darf wieder gejubelt werden: Drexler setzt sich durch und schickt Skarke auf rechts, der eine Bilderbuchflanke an den zweiten Pfosten schickt, die Bülter unbehelligt von der schlafenden Berliner Abwehr zum 2:0 ins Eck einnicken kann (14.). Ist. Das. Schön!

Oh Schreck: Fährmann muss früh raus

Die Stimmung ist nach der frühen Führung natürlich blendend, der Wechselgesang und „Hier – regiert – der – S 04!“ erklingen. Das Spiel wogt nun mit viel Einsatz und einigen Schnitzern auf beiden Seiten hin und her. In der 22. Minute lenkt Fährmann bravourös einen Distanzschuss von Jovetic an den rechten Pfosten. Bei dieser Aktion scheint sich der Schalker Torhüter jedoch wehgetan zu haben, denn er macht danach einige Stretchingübungen für den Oberschenkel.

Christensen schnappt sich einen Abschluss von Bülter (24.), dann ist für Cigerci bereits Schluss, für ihn kommt der Ex-Schalker Serdar, begrüßt mit einem lautstarken Pfeifkonzert. An nahezu allen Schalker Offensivaktionen ist Bülter in bestechender Form beteiligt, für ihn gibt es Sonderapplaus und „Um die halbe Welt sind wir gefahr’n“.

Dann wird es jedoch bittere Gewissheit: Fährmann hat Probleme mit den Adduktoren und sinkt trotz Behandlung und lautstarker „Ralf Fährmann, ohoho“-Sprechchöre mehrfach im Strafraum zusammen – es geht nicht weiter für den Schalker Rückhalt, er verläßt mit hängendem Kopf den Platz, Schwolow kommt. Der Gästeblock „begrüßt“ den von ihnen ausgeliehenen Keeper mit höhnischen „Jetzt geht’s looos“-Rufen, wird jedoch schnell von der Nordkurve mit „Stadion geh’n, im Pappbecher Bier“ und „Geh‘n mit Dir auf jede Reise“ übertönt.

Die Wiederauferstehung

Boateng kassiert für ein Foul gegen Latza Gelb und „Kevin *urensohn, *urensohn“-Rufe, trotzdem darf der Gästeanhang kurz jubeln, denn in der Nachspielzeit des ersten Durchgangs kommt der Ball von Lukebakio über Boateng zu Jovetic, der ihn aus 14 Metern zum 2:1-Anschlusstreffer ins rechte Eck schlenzt. Hier gab es für Schwolow nichts zu halten.

Das Schalker Publikum schickt sein Team trotzdem mit Applaus in die Kabinen – muss jetzt im zweiten Durchgang wieder gezittert werden? In der Fanbox macht „Jesus“ Mut: „Ich bin wiederauferstanden und Ihr könnt das auch!“ Na dann… Thomas Kirschner plaudert für das Team Fanbelange unter anderem über den Knappenkidscup und das anstehende Auswärtsspiel in Freiburg und blickt auf den mehr als gelungenen Support in Hoffenheim zurück. Als wäre Hertha nicht ohnehin DAS abschreckende Beispiel schlechthin gegen eine Ausgliederung, zeigt der Gästeblock eine erneute Pyro-Aktion und ein Banner „Ausgliederung ist kein Allheilmittel! E.V. in Gelsenkirchen erhalten!“

Zum Wiederanpfiff ersetzt Karaman den ebenfalls leicht angeschlagenen Skarke, und noch während einige Nörgler über diesen Wechsel die Augen verdrehen, rechtfertigt Joker Karaman seine Einwechslung: Er setzt sich stark auf rechts durch, tankt sich in den Strafraum und schickt dort den perfekten Querpass in den Fünfer, wo Terodde nur noch zur 3:1-Führung einschieben muss (48.). Die Wiederauferstehung des Simon Terodde! Kein Schalker, der dem Aufstiegshelden diese Bude nach seiner langen Durststrecke nicht von Herzen gönnt.

So geht Abstiegskampf!

Der erneute Zwei-Tore-Vorsprung beruhigt auch die Schalker Nerven. Die Nordkurve setzt zu einer langen Schleife von „Immer wieder S 04“ an, Kaminski setzt einen Kopfball knapp über das Berliner Tor (54.), dann verlassen Dardai und unter lautstarken pfiffen der stark rotgefährdete Boateng den Platz, für sie kommen Ngamkam und Kanga. Schwolow pariert eine Kopfballverlängerung von Tousart souverän, Krauß kommt für Drexler (65.). Moritz Jenz hat Krämpfe, beißt aber auf die Zähne.

Auf die Zähne beißen möchte auch Brunner, der im Zweikampf mit Ngankam unglücklich auf die linke Schulter gefallen ist, doch er muss mit schmerzverzerrtem Gesicht vom Feld geführt werden. Schalke ist kurz in Unterzahl, dann wird er 1:1 durch Uronen ersetzt. Ngamkam sieht Gelb wegen eines fiesen Tritts gegen Karaman, dann nimmt sich Matriciani „liebevoll“ des deutsch-kamerunischen Stürmers an.

Die Nordkurve performed währenddessen „Eine Stadt erstrahlt in Blau“, „Wir lieben alle nur den FC Schalke“ und die „Asozialen Schalker“, dann ist wieder Jubeln angesagt: Latza hebt den Ball über die komplette Berliner Abwehr hinweg genau in den Lauf von Bülter, der lässt Uremovic stehen und hebt den Ball über den herausstürmenden Christensen zum 4:1 in die Maschen (78.). Die Arena steht Kopf, auch Terodde springt vor Freude über das zweite Tor seines Buddies fast aus der Hose. Der Gästeblock, ohnehin kaum zu hören, ist jetzt völlig verstummt, ein höhnisches „Auf Wiederseh’n“ gibt’s gratis obendrauf.

Schalke lässt nichts mehr anbrennen

Allen ist klar: Der Drops ist gelutscht, auch wenn die Gäste durch einen ansehnlichen Konter über Lukebakio und Ngankam durch Richter noch auf 4:2 verkürzen können (84.). Der Torschütze muss danach kurz behandelt werden, Krauß und Jenz sehen noch Gelb, weil sie Lukebakio in die Mangel nehmen (86./87.), der „Mythos vom Schalker Markt“ und „Schalke ist der geilste Club der Welt“ dröhnen in den Gelsenkirchener Nachthimmel. Einen Heber von Karaman klärt Richter für den bereits geschlagenen Christensen auf der Linie (88.).

Durch die vielen Verletzungspausen und Unterbrechungen gibt es satte 8 Minuten Nachspielzeit obendrauf – Uremovic holt sich die fünfte Verwarnung ab, aber den Schlusspunkt setzt Kaminski: Der polnische Innenverteidiger schweißt den fälligen Freistoß mit dem linken Fuß perfekt über Mauer und Keeper hinweg zum 5:2-Endstand ins Tor (90+2.). Die restlichen Minuten versinken in einem stadionweiten Jubel- und Wechselgesang.

Totgesagte leben länger

Der Abpfiff wird gefeiert. Moritz Jenz sinkt zu Boden und nimmt im Liegen den Dank aller Mitspieler entgegen, die wissen, dass er mindestens eine halbe Stunde trotz Krämpfen den Laden zusammengehalten hat.

Durch diesen Sieg verlässt Schalke zumindest vorübergehend die direkten Abstiegsplätze und springt auf den Relegationsplatz. Echte BigPoints gewonnen – diese können zusätzlich veredelt werden, wenn es in den Samstag-Partien keine faustdicken Überraschungen gibt.

Hertha wird beim Gang vor den Block kurz abgestraft, Schalke feiert genüsslich mit „Wir sind da, jedes Spiel, ist doch klar“ und empfängt die Mannschaft in der noch bis auf den letzten Platz besetzten Kurve. Auf dem Würfel wird ein erschöpfter wie erleichterter Reis eingeblendet. „Auf geht’s Schalke Kämpfen und Siegen!“ lautet einmal mehr die Parole, dann wird die Mannschaft mit gemeinsamer Welle und einem inbrünstigen Mythos auf die Ehrenrunde geschickt. Zu den Klängen des Königsblauen S 04 stoßen auch einige Kinder der Kicker dazu. Watt für’s königsblaue Herz!

Schalke hat heute eine wichtige Schlacht gewonnen und Boden gut gemacht, aber der Kampf geht natürlich weiter, angesichts des Restprogramms vermutlich bis zum letzten Spieltag. An dieser Stelle gute Besserung an alle Verletzten und Angeschlagenen!