Hoffenheim – Schalke 2:0: Fans reif für die Championsleague, Mannschaft nur zweitklassig

Hoffenheim – Schalke 2:0: Fans reif für die Championsleague, Mannschaft nur zweitklassig

10. April 2023 1 Von Susanne Hein-Reipen

Trotz grandioser Unterstützung durch über 15.000 mitgereiste Fans verliert der FC Schalke 04 das „Sechspunktespiel“ bei der TSG Hoffenheim verdient mit 0:2 (0:1) und rutscht auf den letzten Tabellenplatz ab. Susanne Hein-Reipen über einen königsblauen Ostersonntag…

Auswärtsfahrer wissen: Das Freundlichste, was man über die auf die grüne Wiese geworfene Prezero-Arena, formerly known as Wirsol- und Rhein-Neckar-Arena sagen kann, ist, dass sie gut von der A 6 aus zu erreichen ist. Ansonsten verfügt sie über das Flair eines Einwohnermeldeamtes und bietet nix, wo sich Fans gemütlich auf das Spiel einstimmen könnten.

Vorglühen unter Schalkern

Doch Schalker sind erfinderisch und so ergreifen die Sportfreunde Kurpfalz 04 die Gelegenheit, die ein später Anstoßtermin und ein folgender Feiertag mit sich bringen und organisieren im Vereinsheim der SG Waibstadt einen Fantreff, der keine Wünsche offenlässt: Prima Location, gutgelaunte Schalker aus ganz Deutschland, Bier, Würstchen, Traumwetter, Schalker Mukke. Sogar die Trompetenattacke, Großfahnen und ein paar blau-weiße Rauchtöpfe sind am Start. An dieser Stelle Grüße nach Kaldenkirchen featuring Zahnpastaschnaps.

Um 17:04 Uhr wird bestens gelaunt Richtung Sinsheim gestartet, wo sich bereits eine riesige königsblaue Karawane auf die Stadionparkplätze wälzt. Anders als im heimischen Gelsenkirchen kann die Damenwelt glatt durch die „Fraueneingänge“ ins Stadion schweben, die Herren stehen länger an. Der Materialcheck ist gründlicher als in jedem anderen Stadion der Liga, schließlich darf unter keinen Umständen ein blasphemisches Fitzelchen gegen Mäzen Dietmar Hopp in die Arena kommen. Das Personal, das akribisch Fahnen und Banner beäugt und betastet, fehlt dafür beim Catering, unbesetzte Kassen und eine besch…eidene Organisation stellen die durstigen Schalker auf eine harte Probe.

Wir sind hier, wir sind laut…

Die Ansage, dass es sich bei der Pre-Zero-Hütte um ein Nichtraucherstadion handelt, wird vom Schalker Anhang mit dezentem Gelächter zur Kenntnis genommen. Auch Maskottchen „Hoffi“ löst nur leises Kopfschütteln aus, denn im Bio-Unterricht war nie von Elchen im Kraichgau die Rede.

Lästiger ist da schon der übermotivierte Stadionsprecher, der Interviews vergangener TSG-Siege über Schalke einspielt und einmal mehr krampfhaft versucht, den Gästeblock – oder besser: Die von den Königsblauen besetzte Hälfte der Arena – mit übersteuertem Mikro und extralauter Musik zu übertönen. Gegen 15.000 Schalker sieht er naturgemäß noch weniger Land als sonst, so dass sich Torhüter und Mannschaft über einen mehr als lautstarken Empfang freuen dürfen, während die Hoffenheimer ein gellendes Pfeifkonzert und einige höhnische Sprüpche der Marke „Kniet nieder ihr Bauern, Schalke ist zu Gast!“ und „Warum seid ihr H*ren so leise?“ bekommen. Durch tausende blaue und weiße Fähnchen wird auch optisch deutlich, dass Schalke hier und heute ein Heimspiel hat. Die Arena ist mit 30.150 Zuschauern erst zum zweiten Mal in dieser Saison restlos ausverkauft.

Ohne Jenz und ohne Greiml

Einen kleinen Dämpfer bekommt der Schalker Optimismus beim Verlesen der Aufstellung: Es beginnen Fährmann, Brunner, Yoshida, Matriciani (Fuß-ball-gott!), Ouwejan, Krauß, Kral, Zalazar, Skarke, Bülter und Frey, der erhoffte „Chef-Stabilisator“ Jenz und sein Vertreter Greiml müssen beide passen.

Beim Gedenken an eine kürzlich verstorbene TSG-Anhängerin namens Christiane schweigen auch die Schalker respektvoll. Das Hoffenheimer „Fan-Lied“ wird – wie immer – mit Untertiteln performed, was – wie immer – bei den sangesfreudigen und textsicheren Schalkern für Spott sorgt. Vor allem die Tafel „Lästerei und Neiderei gehen uns am A… vorbei, 1899 Hoffenheim“ ruft angesichts der bekannt dünnhäutigen Reaktionen von Dietmar Hopp auf Provokationen jeder Art zuverlässig für Erheiterung. Auch das Badnerlied, Pflichtprogramm bei Spielen im Südwesten, darf nicht fehlen. Doch eigentlich ist es völlig nebensächlich, was die Hoffenheimer singen: Sobald die Schalker die Stimmen erheben, sind sie lauter! Immer wieder, immer wieder, immer wiiiiieder S 04…

Steht auf, wenn Ihr Schalker seid

Schalke hat Anstoß und direkt die erste Aktion: Lautstark supported durch „Hurra, hurra, die Schalker die sind da“ und „Kohle unter unsren Füßen“ verlängert Zalazar eine Flanke von Brunner zum zweiten Pfosten, wo sie von Bülter mit einem Ausfallschritt an die Latte gesetzt wird (1.). Das wäre es doch gewesen… Die TSG lässt sich ebenfalls nicht lumpen und kommt über Bebou, Angelino und Baumgarten in den Schalker Fünfer (2.), doch der Abschluss liegt zu hoch.

Bei der ersten Hoffenheimer Ecke legt sich Geiger mit dem Gästeblock an, weil er mutmaßlich auf den Rasen geflogene Gegenstände zurückwerfen will. Die Ecke bringt nichts ein; einen weiteren Vorstoß der Hausherren köpft Fährmann aus der Gefahrenzone (8.). Die erste gelbe Karte des Spiels kassiert Baumgartner für eine fiese Grätsche gegen Krauß (10.), vom Gästeblock natürlich sofort mit einigen „Nettigkeiten“ aus dem Freudenhaus kommentiert. Bei „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ springen nahezu die komplette Nordkurve und Gegengerade und einzelne Schalker auf der Haupttribüne auf, weiter geht’s mit „Geh‘n mit dir auf jede Reise“.

Kral mit unglücklichem Eigentor

Zwei Schalker Ecken sind zu ungefährlich, Fährmann klärt souverän gegen Becker (20.), doch dann ist es passiert: Kaderabek zu Angelino, der bringt das Leder nach schnellem Doppelpass mit Baumgartner direkt vor das Tor, wo es Kral mit Becker im Nacken ins eigene Netz lenkt. Das 1:0 für die TSG in der 22. Minute, schade.

Der Schalker Anhang braucht nur wenige Sekunden, um den Frust abzuschütteln und den nervigen Hoffenheimer Torjingle wieder mit „Steht auf“, „Vorwärts FC Schalke, schieß‘ ein Tor für uns“ und „Wir lieben alle nur den FC Schalke“ zu übertönen. Auch die Mannschaft geht direkt wieder nach vorne, aber Yoshidas Kopfball nach Flanke von Ouwejan klatscht nur an den rechten Pfosten (24.); danach ist die TSG am Drücker, aber Baumgartner und Angelino kommen nicht durch. Fährmann rettet gegen Kramaric (31.), danach grätscht Krauß eine weitere Chance des Kroaten weg (34.).

Noch vor der Pause ersetzt Chefcoach Thomas Reis den noch nicht richtig fit wirkenden Ouwejan durch Aydin, Geiger sieht noch Gelb für eine Grätsche gegen Krauß, dann geht es mit „Schalke 04, für jetzt und alle Zeit“ in die Kabinen. Die Schalker sind nicht zufrieden mit dem spielerischen Auftritt, doch noch eint alle die Hoffnung auf Besserung im zweiten Durchgang, auch wenn die offensive Harmlosigkeit Bauchgrummeln bereitet. Ansonsten vertreibt man sich die Zeit halt mit Treppensteigen, denn Toiletten oder Verpflegungsstände sucht man im Oberrang des Gästeblocks vergeblich.

Fährmann ist bester Schalker

Zum Wiederanpfiff kommt bei Hoffenheim der Ex-Schalker Kabak für Vogt, natürlich „herzlich“ begrüßt durch die Schalker Fans. Danach ist „Eine Stadt erstrahlt in Blau“ angesagt, während die heimische Südkurve mit einigen Stroboskop-Blitzen „Come on Boyz“ fordert. Bülter killt derweil im Duell mit Kabak die Eckfahne und sorgt somit für eine kleine Verzögerung, bis eine neue aufgestellt ist. Die Zwangspause nutzt der Schalker Anhang für den „Königsblauen S 04“ und die „Asozialen Schalker“.

Schalke zeigt sich offensiv ein wenig verbessert, aber Brunner köpft Baumann an (52.), Bülter trifft neben den Kasten (53.) und Kaderabek klärt Vorstöße von Zalazar und Frey 54., 56.). Brooks blockt gegen Skarke (58.) und Kral (60.), dann reagiert TSG-Coach Matarazzo und bringt mit Rudy und Bischof für geiger und Kramaric zwei frische Spieler. Das Millionengrab Rudy, der zudem noch mit einigen dummen Sprüchen gegen seine Schalker Zeit nachgetreten hat, hat der Gästeblock auch sehr lieb…

Fährmann, der Schalke bereits im ersten Durchgang vor einem höheren Rückstand bewahrt hat, rettet erneut mit den Fingerspitzen vor Baumgartner. Der österreichische Mittelfeldspieler geht kurz danach im Zweikampf mit Yoshida im Strafraum zu Boden, Schiedsrichter Jöllenbeck befindet auf Elfmeter (68.). Das Duell Bebou gegen Fährmann kann der Schalker Schlussmann zunächst für sich entscheiden (69.), doch der VAR befindet auf Wiederholung, da Fährmann nicht mehr auf der Linie gestanden haben soll. Den zweiten Versuch verwandelt Bebou zur 2:0-Führung für Hoffenheim (70.). Der Frust des Gästeblocks entlädt sich in Unfeinheiten gegen Dietmar Hopp und „Wenn wir wollen, schlagen wir Euch tot“.

Bundesligadebüt für Topp

Nunmehr reagiert auch Thomas Reis mit einem Dreifachwechsel: Nachwuchshoffnung Keke Topp darf sein Debüt feiern, auch Latza und Terodde kommen, dafür verlassen Frey, Skarke und Krauß das Spielfeld, kurz darauf ersetzt Drexler noch Zalazar, bei der TSG darf Tohumcu für Bebou ran.

Der Schalker Anhang liefert unverändert unermüdlichen Supports mit „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“, „Wir kommen aus Gelsenkirchen“ und dem „Endzeit-Klassiker“ „Wir sind da, jedes Spiel, ist doch klar“, aber die Luft ist weitgehend raus. Vorstöße von Topp und Terodde führen ebenso wenig zum Erfolg wie die von Angelino und Bischof auf der anderen Seite; dennoch gibt es rund sechs Minuten Nachspielzeit obendrauf, die jedoch außer einer gelben Karte für Kabak, der Bülter auf den Fuß latscht, nichts bringen, es bleibt beim 2:0.

Schulterschluss trotz schwacher erster Halbzeit

Schalke fällt durch die Niederlage wieder auf Platz 18 zurück und hat nunmehr zwei Punkte Rückstand auf Relegationsplatz 16 bzw. fünf auf den rettenden Platz 15, Hoffenheim auf Platz 14 hat sich durch den dritten Sieg in Folge etwas Luft verschafft.

Doch wer nun meint, diese brenzlige Situation, die ungeliebte rote Laterne oder der insbesondere in der ersten Halbzeit teilweise sehr uninspirierte Auftritt würde die treuen Schalkefans zu Pfiffen oder Liebesentzug hinreißen: Nichts da. Über 10.000 Fans schwören der Mannschaft minutenlang lautstark die Treue, ob ganz unten oder oben oder 350 km entfernt, wir sind da. Schalke kann man halt nicht rational erklären, Schalke muss man fühlen!

Deutlich (selbst)kritischer zeigen sich nach dem Spiel Thomas Reis und Cedric Brunner: „Die erste Halbzeit hatte mit einem Kampf um den Klassenerhalt nichts zu tun!“ motzt Reis in der Pressekonferenz. Brunner spricht von „einer Frechheit, in solch einem wichtigen Spiel so eine Nicht-Leistung abzurufen.“ Einsicht ist da hoffentlich der erste Weg zur Besserung, die Gelegenheit dazu gibt es bereits am nächsten Freitag im nächsten Abstiegsduell gegen die Hertha aus Berlin.