Clemens Tönnies und der Rassismus-Vorwurf: Wie reagiert Schalke jetzt?

Clemens Tönnies und der Rassismus-Vorwurf: Wie reagiert Schalke jetzt?

5. August 2019 3 Von Carsten Schulte

Es sind nun drei Tage vergangen, seit die „Neue Westfälische“ mit ihrem Bericht eine Aussage des Schalker Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies öffentlich machte. Beim „Tag des Handwerks“ hatte Tönnies seinen mittlerweile weit diskutierten Satz formuliert, man solle doch statt immer höheren Steuern einfach Kraftwerke in Afrika finanzieren. „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.“

Im Originalartikel ist nicht weiter erklärt, in welchem Kontext und vor allem in welcher Tonalität diese Aussage getroffen wurde. War es ein Teil seines vorbereiteten Redemanuskripts, war es ein spontaner Einfall? Gesprochen mit Ernst oder einem Lächeln? In der Aussage würde dies keinerlei Unterschied machen, aber zumindest etwas über die Absichten offen legen.

Zugunsten von Tönnies könnte man annehmen, dass er einen misslungenen Versuch unternommen hatte, jovial zu sein, nahbar. Tönnies ist für eine gewisse „Hemdsärmeligkeit“ bekannt. Auf Schalke gibt er sich gerne als der „Clemens“, der auch schon mal mit Bratwurst in der Nordkurve steht. Einer von uns, sozusagen, statt ein millionenschwerer Großunternehmer.

Diese Nähe, dieses Kumpelhafte, wird auf Schalke traditionell unterstützt und erwünscht und Tönnies lebt diesen Teil des Klubs auch gerne und öffentlich. In so einem Kontext kann man vermuten, dass Tönnies in einer „Bierlaune“ die Grenzen des schlechten Geschmacks und des blanken Rassismus überschritten zu haben – nur eben nüchtern.

Bisher war Tönnies aber eigentlich nicht mit derart rassistischen Sprüchen aufgefallen. Was zumindest die Vermutung stützen könnte, dass er mit einem schlechten Altherren-Witz Punkte sammeln wollte. (Was die Sache inhaltlich nicht besser machen würde, aber …).

[poll id=“4″]

Das Problem: Der Fußball hat auch ohne Tönnies viel zu tun mit dieser Form von „Alltagsrassismus“ und anderen „Rechts“-Themen. Initiativen für Integration und gegen Rassismus sind mannigfaltig. Auf Schalke selbst arbeitet eine Fan-Initiative seit mehr als 25 Jahren gegen Rassismus und Gewalt. Mehrfach wurde sie dafür ausgezeichnet. Welchen Bärendienst erwies Tönnies dieser eigenen königsblauen Initiative?

Das Thema ist im Fußball allgegenwärtig. Manche Klubs sind noch immer dabei, sich gegen solche Tendenzen zu wehren (Borussia Dortmund beispielsweise hat lange dem rechten Treiben zugesehen, dann aber begonnen, etwas dagegen zu tun), Energie Cottbus redet und distanziert sich oft, kommt aber kaum weiter, der SV Babelsberg (Stichwort Seebrücke) lebt seine Haltung gegen Rechts offen und nachhaltig aus. Der DFB führt einmal jährlich einen Aktionstag gegen Rassismus („Rote Karte gegen Rassismus“) durch, bei dem die Kapitäne der Klubs vorbereitete Aussagen verlesen und Rote Karten gezeigt werden.

Auf Schalke legt man viel Wert auf das eigene Leitbild, das Fans und Klub einiges bedeutet. Schalkes Vereinsmotto „Wir leben dich“ spiegelt diese Einstellung wider. Zuletzt auf der Mitgliederversammlung hatte Finanzvorstand Peter Peters noch ziemlich deutlich über rassistische oder antisemitische Sprüche aus der Kurve gesprochen. Er könne „kotzen“, wenn er das höre. Und schlug sogar eine Meldestelle für solche Vorfälle vor. Auch Peters steckt nun in einer sehr unglücklichen Situation, weil er nun seinen eigenen Aufsichtsratschef meinen dürfte. Und die ziemlich klaren Meinungen von Hans Sarpei („Weltbild eines Großwild-Jägers„) oder Gerald Asamoah („geschockt und verletzt„) dürften auf Schalke auch nicht gerade ungehört verhallen.

Schon wegen dieser schwierigen Lage könnten Fans eigentlich eine etwas klarere Haltung erwarten, als bisher vorgestellt wurde. Am Tag nach der kritischen Äußerung in Paderborn veröffentlichte der FC Schalke ein dünnes Fünf-Satz-„Statement“ von Clemens Tönnies, in dem der schrieb, es tut ihm sehr leid. Wortgleich mit der Unternehmensmitteilung, die der Fleischkonzern selbst veröffentlichte. Der Schalke-Vorstand betonte am gleichen Tag auf der Schalker Webseite, dass die „Entschuldigung“ wichtig und richtig gewesen sei. Zwei Sätze war dem Vorstand das wert.

Es schien, als sei damit alles erledigt. Allerdings hatten zwischenzeitlich mehrere Schalker Fans den Ehrenrat angerufen. Der soll sich nun mit den Aussagen beschäftigen. Und in der Sache ist klar: Die (bestenfalls gedankenlos) dahingesagte Äußerung von Tönnies steht in krassem Widerspruch zu Schalkes Leitbild und den oft bemühten Werten des Klubs. Genügt eine Entschuldigung? Wie muss der Klub reagieren? Sicher ist: Deutschland 2018/2019 steckt mitten in einer Veränderung. Die oft anstrengende Debatte um #metoo und andere Themen spiegelt einen gesellschaftlichen Prozess, der wegführt von „Kleinreden“, von Verächtlichmachung. Und das ist wichtig und längst überfällig. Die Zeiten der Altherren-Witzchen, der gedankenlosen und eben nicht harmlosen Scherzchen, dem Klaps auf den Po der Bedienung – all das wird immer mehr ein Teil der alten Gesellschaft. Tönnies kommt nicht aus dieser Zeit, er muss sich anpassen und sich bemühen, denn er wurde anders sozialisiert. Die über 40-Jährigen heute haben im Kindergarten noch „Zehn kleine Negerlein“ gesungen. Was noch in den Achtzigerjahren ganz normal war, ist heute zu Recht verpönt und vergessen. Gesellschaft verändert sich, aber das ist ein langsamer Prozess.

Natürlich hatte Tönnies‘ Aussage gar nichts mit Schalke zu tun, sondern fiel in seiner Funktion als Unternehmer auf „Auswärts“-Boden. Aber wie das so ist im Leben: Äußerungen und Handeln eines Klubverantwortlichen fallen auch immer auf den Klub zurück – Ort und Anlass hin oder her. Schalkes Imageschaden ist spürbar, das Thema zieht längst größere Kreise. Und ein bisschen verkompliziert das die Sache. Denn nun ist aus dem „Tag des Handwerks“ wieder die Frage geworden, wie „der Fußball“ mit Rassismus umgeht. Nun wird die Schalker Entscheidung zu einer Grundsatzfrage, wie auch Klubverantwortliche eben diese Verantwortung wahrnehmen und übernehmen.



Schließlich werden Fans stets genauestens beobachtet und Unbotmäßigkeiten jeder Art gerne öffentlichkeitswirksam mit Strafen versehen. Schon kritische Banner werden beim DFB mit Geldbußen belegt und wenn Fußballspieler rassistisch beleidigt werden, stehen Fans und Zuschauer sofort am Pranger – und es hagelt Solidaritätsadressen von Verbänden und Verantwortlichen.

Hier herrscht seltsame Stille. Zwar hat sich Ligapräsident Reinhard Rauball bereits kritisch geäußert, aber sowohl die Veranstalter des „Tag des Handwerks“ möchten lieber nichts weiter dazu sagen wie auch Tönnies‘ Kooperationspartner Arminia Bielefeld. Dort wolle man die Angelegenheiten außerhalb des Klubs lieber nicht kommentieren.

Was nun? Aus unterschiedlichen Ecken ist der eigentlich korrekte Hinweis zu hören, dass man für Fehler um Entschuldigung bitten müsse, dann aber auch einen neuen Anfang nehmen dürfe. Und das ist ja eigentlich richtig. Aber genügt hier die Bitte um Entschuldigung? Sind ein paar Worte angemessen? Oder braucht es hier ein stärkeres Zeichen?

Und müsste sich nicht auch Schalke selbst etwas stärker positionieren? Mit dieser Frage (und noch einigen mehr) muss sich jetzt der Ehrenrat des Klubs beschäftigen. Er muss jetzt ein Maß finden, das allen gerecht wird. Dafür ist der Ehrenrat eines Vereins zuständig, aber ein bisschen unfair ist es doch, dass nun ein ehrenamtliches Gremium Fragen beantworten soll, die eigentlich andere beantworten müssten.

Keine schöne Lage, in die Tönnies sich und den Klub da gebracht hat.