BVB schlägt Schalke im Geister-Derby mit 4:0: Fiese Klatsche auf der Couch

BVB schlägt Schalke im Geister-Derby mit 4:0: Fiese Klatsche auf der Couch

16. Mai 2020 1 Von Susanne Hein-Reipen

Der BVB fiedelt Schalke im leeren Signal-Iduna-Park leichtfüßig und auch in dieser Höhe verdient mit 4:0 weg. Susanne Hein-Reipen, normalerweise überall da anzutreffen, wo Königsblau spielt, sucht auf dem heimischen Sofa das Derby-Fieber…

11 Uhr. Normalerweise – in einer besseren Welt ohne Corona und mit Fußballspielen mit Fans – würden wir uns spätestens jetzt auf den Weg zum Busparkplatz P 6 machen, um mit vielen anderen Schalkern mit den Shuttle-Bussen des Teams Fanbelange zur Eroberung der verbotenen Stadt aufzubrechen. Stattdessen stehe ich mit Maske zwischen anderen Vermummten auf dem Wochenmarkt, um die Obst- und Gemüsevorräte aufzufrischen. Immerhin: Der Tomatendealer meines Vertrauens lobt meinen Schalker Mundschutz und wünscht viel Erfolg.

12 Uhr. In der besseren Welt treffen sich viele gutgelaunte Schalker mit reichlich Wegbier, -nordsturm und diversen anderen Alkoholika und witzeln gemeinsam über die Farbe der anrollenden Busse. In den Bussen läuft Schalker Mukke, die Stimmung ist bombig. Auch die Sonderzüge und ein paar konspirative U-Boote rollen gutgefüllt gen Lüdenscheid-Nord. Im Hier und Jetzt klingelt der Paketbode an der Tür und lässt mit viel Sicherheitsabstand ein Paket fallen: Die „Nur im Wir“-Solidaritätstrikots von Schalke für den Verzicht auf die Erstattung der Dauerkarten sind endlich da! Das Timing werten wir einmal als gutes Omen.

13 Uhr. Beim letzten Auswärtsderby vor gut einem Jahr standen wir jetzt kurz vor der Ankunft an der Wellblechhütte. Massenweise Polizei, allgemeines Hallo, jeder ankommende Bus wurde begrüßt; vor dem Bosch-Bus gab es Cola-Mariacron (okay: Mariacron-Cola): Hoch die Tassen für den Auswärtssieg! Nun ist Mariacron Samstagmittag allein zu Hause vielleicht nicht das ratsamste Getränk, also sauge ich zum Zeittotschlagen bis zum Beginn der Übertragung die Wohnung. Immerhin: In meinem Flur kann ich mich bewegen, ohne dass mir ein Polizist misstrauisch hinterherguckt.

14 Uhr. Statt durch Wagenburgen aus Polizeimannschaftswagen hindurch und mit viel Gegröle der schwarzgelben Eingeborenen zum Gästeeingang zu marschieren, beziehe ich Stellung auf der Couch. So niedrig war mein Puls 90 Minuten vor Beginn eines Derbys seit 30 Jahren nicht mehr.

Der bisweilen leicht schikanösen Eingangskontrolle durch die „liebenswerten“ BXB-Ordner weine ich keine Träne hinterher, dem frischgezapften Pils und der Currywurst schon eher, die weitaus besser schmeckt als es die farbliche Gestaltung des Schälchens vermuten lässt. Die Schale der Erdbeeren ist politisch korrekt, die Früchte schmecken auch lecker, aber nich‘ nach Fußball.

Wagner rührt Beton an

14.30 Uhr. An einem normalen Spieltag würde jetzt auf dem Stadionvorplatz der Bär steppen und die Polizei Blau-Weiße und Schwarz-Gelbe daran hindern, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen; im Innenraum wären bereits die ersten Grabstätten, H*rensöhne und ähnliche Freundlichkeiten fällig. Immerhin: Die Aufstellung kommt! David Wagner beginnt mit Schubert, McKennie, Nastasic, Serdar, Raman, Caligiuri, Kenny, Todibo, Oczipka, Harit und Sané.

Klingt nach gepflegtem Beton, aber die sonstigen sofortigen heißen Diskussionen kranken an den fehlenden Mitschalkern und daran, dass nach 10 Wochen Pause keiner weiß, welcher Spieler wie gut in Form ist. Hoffentlich hat David Wagner zumindest eine grobe Idee davon.

Nobby und Boris müssen draußen bleiben

15 Uhr. Im Stadion würde jetzt schon längst die Luft brennen, im Fernsehen laufen Zweitligaspiele ohne Zuschauer. Immerhin: Meine Toilette ist um Welten sauberer aus die überheizten Dinger in Lüdenscheid-Nord – und Nobby und Boris müssen draußen bleiben. David Wagner erklärt einem mit meterlangem Stab hingestrecktem Mikrophon, er habe „keine Ahnung“, wie das heute aussehen werde. Na super. Sogar Watzke, der von Anfang an pro Geisterspiele getrommelt hat, gibt zu, dass das Szenario etwas Surreales hat.

15.15 Uhr. Keine Pyro, keine Plakate, aber mit etlichem Werbegedöns beginnt endlich die Übertragung. Lucien Favre guckt, als würde er am liebsten laufen gehen; auch einigen Spielern scheint das Szenario nicht ganz geheuer zu sein. Die Mannschaften kommen zeitversetzt nacheinander aufs Feld, die Ersatzspieler hocken mit Mundschutz und Abstand am Spielfeldrand. Immerhin: Jemand scheint Norbert Dickel übersetzt zu haben, was „You’ll never walk alone“ bedeutet; stattdessen läuft dezent „Heja BVB“ im Hintergrund.

15.30 Uhr. Aytekin pfeift an, statt sofortigem leidenschaftlichen Support beider Lager gibt’s nur gespenstisch hallende Rufe. Kurzer Switch auf die Tonspur mit Zuschauergeräuschen, aber das hört sich angesichts der gähnenden Leere nicht nur gespenstisch, sondern geradezu abartig an. Wer sich da einbilden kann, einen normalen Kick zu sehen, der glaubt auch an seine Qualitäten als Liebhaber, wenn die Frau nebenbei die Steuererklärung macht.

In der 4. Minute taucht Haaland erstmals vor dem Schalker Tor auf, doch Markus Schubert erwischt den Ball rechtzeitig. Auf der Gegenseite wird Amine Harit unsanft gebremst, den fälligen Freistoß setzt Derby-Daniel Caligiuri in die gelbe Mauer.

Wenig später schießt Haaland Jonjoe Kenny aus nächster Nähe den Ball an die Hand, Aytekin lauscht gebannt dem Kölner Keller – vermutlich versteht er ihn besser als je zuvor, da das sonst an dieser Stelle übliche „Ihr macht unseren Sport kaputt“ und „Schei** DFB“ ausfällt – und bestätigt: Kein Elfer. Puh. Auch Hakimis und Guerreiros Vorstöße verpuffen, doch was im Stadion für ein wildes Wechselbad der Gefühle sorgen würde, wirkt vor der Geisterkulisse seltsam unwichtig.

David Wagners Beton-Taktik wirkt bislang gut, die Schalker Abwehr lässt nix anbrennen. Ein Freistoß von Hakimi nach Foul von Serdar an Hazard in durchaus aussichtsreicher Position landet in der Mauer (23.), die anschließende Ecke setzt Haaland ans Außennetz. Kurz darauf wühlt sich Caligiuri durch den Dortmunder Strafraum, muss sich jedoch der Übermacht von Bürki und drei gelben Verteidigern geschlagen geben (26.).

Haalands erster Derbytreffer zum 1:0

Leider macht es Haaland im Gegenzug nach einer Bilderbuch-Flanke von Brandt besser und vollstreckt mit links ins linke untere Toreck, das 1:0 für den BVB in der 29. Minute. Sch…ade, aber live vor Ort würde ich mich deutlich mehr aufregen. Das Jubeltänzchen fällt auch eher spärlich aus, ein Derbytreffer bedeutet sonst Ekstase pur für Spieler und Fans.

Der Führungstreffer gibt den Fehlfarbenen leider Auftrieb, auch Dahoud und Hakimi legen den Vorwärtsgang ein. Jean-Clair Todibo, den Schalke gerne behalten würde, wenn es finanziell irgendwie darstellbar ist, trägt bei einem Laufduell mit Dahoud eine Blessur in der Wade davon und muss behandelt werden, kann aber zunächst weiterspielen.

2:0 vor dem Pausenpfiff

Ein Schuss des sehr aktiven Hakimi wird zur Ecke geblockt. Den Nachschuss zimmert Dahoud aus 25 Metern Richtung Tor, doch der wiedergenesene Salif Sané kann per Kopf klären. Wenig später nimmt das Verhängnis trotzdem seinen Lauf: Haaland stört Schubert beim Abschlag, der daraufhin zu kurz gerät und vor den Füßen von Dahoud aufklatscht, der den Ball sofort zu Brandt weiterleitet, der wiederum zu Guerreiro durchsteckt, der frei in die rechte Ecke einschießen kann. 2:0, 45. Minute, psychologisch ganz doofer Zeitpunkt. Leider nicht unverdient, aber in meinem Wohnzimmer gibt es zumindest keine feixenden Zecken.

Ohne Sprint zu Toilette oder Verpflegungsstand und Erörterung der Lage der Schalker Nation mit den umstehenden Königsblauen wirkt die Pause irgendwie viel länger. Eine gute Nachricht gibt es trotzdem: Beide Fanlager waren so vernünftig, nicht in Horden vor dem Signal-Iduna-Park aufzutauchen und die Distanzbemühungen zu konterkarieren, es bleibt friedlich.

In den zweiten Durchgang startet Schalke mit Guido Burgstaller für den angeschlagenen Todibo und Rabbi Matondo für den bemühten, aber blassen Raman. Die erste Aktion geht an Serdar, doch sein Schuss wird leichte Beute von Bürki – und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Bei einem schnellen Gegenstoß wandert der Ball blitzschnell von Haaland über Brandt zu Hazard, dieser vollstreckt zum 3.0 (48.). Aua.

Aufholjagd ohne Support?

Erinnerungen an das Derby vor zweieinhalb Jahren werden wach, als Schalke sogar vier Tore aufholte, doch eine solche Energieleistung dürfte in einem ausgestorbenen Stadion anders als in einem Hexenkessel mit einer wildgewordenen Gästekurve, die ihre Mannschaft nach vorne peitscht, ein Ding der Unmöglichkeit sein.

Delaney kassiert die erste Gelbe des Geisterspiels für ein zu rustikales Einsteigen gegen Serdar; Guido Burgstaller wühlt sich in den Strafraum und zieht aus der Drehung ab, aber Bürki ist auf dem Posten. Die Schalker stecken nicht auf, aber die Ideen fehlen; auch, weil Harit in der Kreativzentrale nahtlos an die überschaubaren Darbietungen vor der Corona-Pause anknüpft.

Guerreiro schnürt den Doppelpack

Und so kommt es, wie es kommen muss: Doppelpass Haaland und Guerreiro, der Portugiese streichelt das Leder mit dem Außenrist an Schubert vorbei zum 4:0 in die Maschen (63.). Vielleicht ist das Ganze ja doch auf dem Sofa besser zu ertragen als mit schwarzgelben Hohngesängen? Wie ein echtes Derby fühlt es sich immer noch nicht an. Ist unschön, aber nicht das Drama, als das ich das Spiel jetzt live vor Ort empfinden würde.

Die Fans, die auch zu Dir steh’n wenn Du verlierst, fehlen bitterlich

Die Schalker Kurve würde jetzt vermutlich in den „Jetzt erst recht!“-Trotzmodus schalten und entweder „Wir sind die Faaaans, die auch zu Dir steh’n, wenn Du verlierst…“ oder „S 04, wir sind da, jedes Spiel, ist doch klar…“ anstimmen, aber natürlich bleibt alles stumm. Auch der Jubel der Schwatzgelben erschüttert nur das eine oder andere Wohnzimmer.

Caligiuri und Serdar stemmen sich noch gegen die Niederlage, aber der Gegner ist heute zu stark. Beide haben nach ihren Verletzungen achtbare Leistungen abgeliefert und werden von David Wagner mit Lob empfangen, als sie in der 74. bzw. 76. Minute gegen Alessandro Schöpf und Juan Miranda ausgewechselt werden. Auch Favre wechselt und lässt Sancho für den mittlerweile leicht angeschlagenen Haaland ran.

Neue Normalität, alte Probleme

Rabbi Matondo wirft noch einmal den Turbo an, wird aber von Hummels ausgebremst und sieht anschließend Gelb. Der letzte königsblaue Wechsel befördert Timo Becker für Kenny auf das Feld, beim BVB kommen Schmelzer und Götze für Doppelpacker Guerreiro und Dahoud, dann ertönt überpünktlich der Abpfiff.

4:0-Klatsche im Derby, leider verdient, denn die alten Probleme von Schalke – wenig Ideen und Durchschlagskraft vorne, kaum Sicherheit hinten – haben auch die Corona-Pause überdauert. Dank der Siege von Wolfsburg und des Punktes von Freiburg rutscht Schalke durch dieses beschi**ene Geisterspiel von Platz 6 auf Platz 8 und damit erstmals in dieser Saison aus den internationalen Rängen. SO macht Fußball keinen Spaß!