Abstrafen oder Aufbauen? Die Nordkurve hat alles richtig gemacht!

Abstrafen oder Aufbauen? Die Nordkurve hat alles richtig gemacht!

25. Februar 2020 0 Von Susanne Hein-Reipen

Die Reaktion auf die deftige Heimpleite von Schalke 04 gegen RB Leipzig spaltet die königsblauen Gemüter: Die Nordkurve baute ihre Verlierer nach dem Schlusspfiff minutenlang wieder auf, für andere ist dieser Zuspruch für die „Versager“ genau der falsche Weg. Ein königsblauer Kommentar von Susanne Hein-Reipen…

Schon nach dem 0:3 wurde erkennbar, wie unterschiedlich die Zuschauer in der Veltins-Arena mit der sich abzeichnenden Klatsche gegen den ungeliebten Brauseclub umgehen: Auf den Sitzplatztribünen setzte eine massive Abwanderungswelle ein, so dass die Arena zum Abpfiff bereits halb geleert war.

Die Nordkurve hingegen stimmte zunächst den Mythos vom Schalker Markt, dann „Wir sind die Fans, die auch zu Dir steh’n, wenn Du verlierst“ und schließlich eine nicht einmal durch das 0:5 unterbrochene Dauerschleife von „Wir sind da, jedes Spiel, ist doch klar, ob ganz unten oder oben, scheißegal, wir sind da!“ an. Dieses Bekenntnis der Unterstützung gemischt mit zahlreichen Aufmunterungsrufen schallte auch der Mannschaft noch minutenlang entgegen, als sie sichtlich geknickt vor die Kurve trat.

https://www.facebook.com/sblondundblau/videos/186272082599307/
Trotz der 0:5-Klatsche: Kein böses Wort, kein Pfiff aus der Nordkurve…

Muss man „Versager“ noch feiern?!

Stellvertretend für die Mannschaft bedankte sich Jonjoe Kenny: „Unglaublich“ sei die Reaktion der Fans gewesen, „der Club und wir Spieler müssen uns immer wieder vor Augen führen, wie glücklich man sein muss, solche Fans zu haben!“. Auch sky-Experte Lothar Matthäus verlieh den Schalkefans die Note „Eins mit Sternchen“.

Doch in den sozialen Netzwerken hagelte es teilweise drastische Kritik: Es sei „krank, ein 0:5 abzufeiern“, „lächerlich und armselig“, „die sollen nicht für Schei**e noch Beifall bekommen“, „Realitätsverlust, solche Versager noch abzufeiern“. Und überhaupt, früher im Parkstadion hätte es datt alles nicht gegeben, da wären Pfiffe und zugedrehte Rücken noch das Netteste gewesen, was die Spieler nach einer solchen „Leistungsverweigerung“ zu erwarten gehabt hätten.

Der kleine, aber feine Unterschied…

Viele der wutentbrannten Kommentare verkennen, dass die Mannschaft keinesfalls abgefeiert oder bejubelt wurde. Wenn die Kurve feiert, sieht das ganz anders aus – und es hört sich anders, euphorischer und fröhlicher an. Das Liedgut der letzten halben Stunde dieses unseligen Samstagabends bestand ausnahmslos aus Liedern, die ungebrochene Liebe und Unterstützung für den Verein auch in miesen Phasen beschwören.

Die Nordkurve hat sich damit trotz der massiven eigenen Enttäuschung an die Aussage des legendären Charly Neumann erinnert, dass man in schlechten Zeiten Schalker sein müsse, in guten Zeiten gäbe es bereits genug davon. Ja, der Spruch ist (leider) mittlerweile abgedroschen, weil er inflationär auf jede kleine Belanglosigkeit draufgeknallt wird, aber nach der höchsten Bundesliga-Heimniederlage seit fast 40 Jahre passte er wie die Faust auf’s Auge.

Es ging nicht darum, die Leistung oder das Ergebnis des Spiels abzufeiern; Ziel war, der Mannschaft, die nach einer tollen Vorrunde und dem umjubelten Sieg über Gladbach in einem Tief steckt, den Rücken zu stärken. Ihr Selbstvertrauen für die kommenden Aufgaben einzuimpfen, gemeinsam aus der Krise zu kommen, denn mit Platz 6 ist die Ausgangsposition nach wie vor nicht schlecht. Die Fans in der Kurve haben ein gutes Gespür bewiesen.

Pfiffe, Beschimpfungen oder gar Gewaltandrohungen haben seltenst einen Spieler besser gemacht, zudem hat die Mannschaft sich den Kredit in der Hinrunde redlich erarbeitet. Und ohne dass die Verletztenmisere alles entschuldigen könnte: So gut ist die zweite Reihe auf Schalke (noch) nicht besetzt, dass die junge Mannschaft den Ausfall erfahrener Leitwölfe wie Benjamin Stambouli oder Daniel Caligiuri, der nicht nur im Derby oft als Kampfschwein das Heft in die Hand nimmt, ohne Qualitätsverluste auffangen kann.

In guten und in schlechten Zeiten: Blau und Weiß ein Leben lang

Wer jetzt bereits wieder den Kopf des Trainers fordert, den „Schei**-Millionären“ die Bundesligatauglichkeit abspricht oder die Nordkurve als kritiklose Dummbatzen beschimpft, hat erstens ein verdammt schlechtes Kurzzeitgedächtnis und zweitens Schalke nicht verstanden. Die bisherige Saisonleistung ist trotz der Delle der letzten Wochen noch deutlich über dem nach der vergangenen Grottensaison erwartbaren Strich, die Qualifikation für Europa noch gut möglich – und damit das so bleibt, braucht die Mannschaft jede Unterstützung, die sie bekommen kann.

Also, mach mit und weck‘ die Nordkurve in Dir…!