Wolfsburg – Schalke 0:0: Nicht Teroddes Tag, aber ein wertvoller Punkt
21. August 2022Nach einem teilweise kuriosen, teilweise nervenaufreibenden und spielerisch eher dürftigen Spiel darf sich Schalke 04 über den ersten Auswärtspunkt freuen: Susanne Hein-Reipen berichtet vom 0:0 beim VfL Wolfsburg…
Schon die Anreise der königsblauen Auswärtsmeute ist mit Pleiten, Pech und Pannen gespickt: Die Autofahrer aus dem Pott müssen sich in einen langen Stau bei Lauenau einreihen, die Bahnfahrer stecken in Hannover in komplett überfüllten Zügen fest. Trotzdem schaffen es die meisten rechtzeitig in die Volkswagen-Arena, wo sich die ansonsten bisweilen schikanöse Einlassprozedur dieses Mal als erfreulich unkompliziert entpuppt.
Akustische Folter
Nicht geändert aber hat sich die grausam übersteuerte Mikro- und Musikanlage: Weil von der Heimkurve erfahrungsgemäß wenig bis nix kommt, versucht der Stadionbrüller – von „Sprechen“ kann leider keine Rede sein – prophylaktisch, auch die Auswärtsfans zu übertönen. Dabei hat er allerdings die Rechnung ohne die Schalker gemacht.
Als erstes malträtiert „Rocking all over the world“ die Trommelfelle, während Maskottchen Wölfi dazu seine Zotteln schwingt. „Ist ein Veterinär an Bord? Klarer Fall von Tollwut!“ ätzt der Gästeblock. Auch „Sweet Caroline“ und die Wolfsburger Lieder „grün-weiß VFL, unsere Farben leuchten hell“ und „Immer nur Du“ sind schlichtweg unerträglich laut. „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“ hingegen wird zum allgemeinen Verdruss nach knapp zwei Strophen abgebrochen.
Ob die Schalker Mannschaftsaufstellung gar nicht durchgesagt wird oder im allgemeinen Geschrei untergeht, ist nicht ganz klar, aber Chefcoach Frank Kramer entscheidet sich für Schwolow, Ouwejan, Thiaw, Yoshida, Brunner, Latza, Kral, Bülter, Krauß, Zalazar und Terodde. Die Statistik spricht ganz knapp für Schalke (17 Siege/16 Remis/15 Niederlagen); die Aufstellung der Heimmannschaft wird vom Gästeblock mit Einheitsnachnamen aus der Anatomie und „Ihr seid nur ein H****sohnverein“ begleitet.
Heimspiel in Wolfsburg
Mit dem Einlaufen der Mannschaften wird klar: Ohne Musik hat Wolfsburg keine Chance, das wird heute ein akustisches Heimspiel für die knapp 6.000 Schalker in der mit 26.900 Zuschauern nicht ausverkauften Arena. Den Anfang macht eine ausdauernde Schleife von „Immer wenn du spielst, steh‘ ich in der Kurve…“. Die Heimkurve präsentiert derweil ein Banner „18 Vereine, 18 Apps? Stoppt den Wahnsinn!“ Das können auch die Schalker unterschreiben.
Auf dem Rasen holt sich Kapitän Latza im Duell mit seinem Gegenüber Arnold eine frühe gelbe Karte ab (4.). Beide Mannschaften gehen kämpferisch engagiert zur Sache, echte Torchancen bleiben bis auf einen Versuch von Bülter (7.) lange Zeit Mangelware. Erfreulich: In den Zweikämpfen hat Schalke nach schwachen Werten in den beiden ersten Spielen deutlich Oberwasser.
Oberwasser hat auch der Gästeblock, dessen „Hurra, hurra, die Schalker die sind da“ und „Wir lieben alle nur den FC Schalke, unsern Kumpel- und Malocherclub“ nicht zu überhören ist. Unübersehbar dabei ist auch die Großfahne für den unvergessenen Drüse, der im Dezember 2019 auf dem Weg zum Wolfsburger Stadion verstorben ist. RIP, Großer! Die Kurve der Wölfe titelt unterdessen „Akku leer, kein Ticket mehr? Hardtickets und Tageskassen unverhandelbar“.
Terodde scheitert vom Punkt
Für Verärgerung bei den Fans und Sportdirektor Schröder sorgt eine gelbe Karte für Thiaw (25.), der klar den Ball spielt, bevor ein Wolfsburger Knöchel im Weg ist. Auch Bornauw wird wegen einer Lappalie verwarnt (26.). Bei einem Schuss von Rückkehrer Paulo Otavio ist der bis dahin fast arbeitslose Schwolow auf dem Posten und lenkt den Ball über die Latte (29.).
Die nächste Viertelstunde ist erneut recht ereignisarm und bietet so ausreichend Gelegenheit, dem Heimpublikum die Vielfalt des Gelsenkirchener Liedguts nahezubringen. „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“, „Geh‘n mit dir auf jede Reise“, „Schalke, nur Du alleine“, „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“, „Vorwärts FC Schalke“ und „Wir kommen vom Berger Feld“, das Repertoire ist groß.
Kurz vor der Pause dann der Aufreger: Terodde geht im Zweikampf mit van de Ven im Strafraum zu Boden, Schiedsrichter Zwayer lässt trotz Protesten zunächst weiterspielen, trabt aber dann auf Anregung des VAR zur Seitenlinie und starrt konzentriert auf den Monitor, um sich die Szene noch einmal anzuschauen – und gibt Elfmeter für Schalke! Entgegen dem ungeschriebenen Gesetz, dass der Gefoulte nicht selber schießen sollte, tritt Terodde an – und Casteels hat keine Mühe, den nicht sonderlich hart halbrechts platzierten Ball abzufangen.
Zwayer befindet jedoch sofort auf Wiederholung, denn der Wolfsburger Keeper hatte bereits beim Anlauf vor der Linie gestanden. Macht Terodde, in der zweiten Liga auch als Strafstoßschütze eine sichere Bank, es jetzt besser…? Zum Frust der Schalkefans ist dem nicht so, selbe Ecke, wieder nicht hart geschossen, wieder ist Casteels da. Damit ist die Chance auf die Führung zu einem günstigen Zeitpunkt dahin, es geht mit dem 0:0 in die Kabinen.
Wolfsburg erhöht den Druck
Die Elfmeter sind natürlich dann das beherrschende Pausenthema der Schalkefans: Kann Simon nur zweite Liga? Hätte er besser Bülter schießen lassen, der gegen Mönchengladbach sicher verwandelt hat?
Im offiziellen Pausenprogramm gibt es das „Veltins Kronkorken Fanspiel“ und eine Ehrung der zahlreichen EM-Teilnehmerinnen der Wolfsburger Fußballdamen. Für Stürmerin Alexandra Popp gibt’s auch von zahlreichen Schalkern Applaus.
Zum Wiederanpfiff ersetzt Kramer den gelbbelasteten Latza durch Flick, Kovac tauscht Bornauw gegen Baku und der Gästeblock höhnt „Warum seid ihr H**** so leise?“ in Richtung der Heimkurve. Terodde ist sichtlich bemüht, seine Fehlschüsse wieder gut zu machen, steht aber in der 47. Minute klar im Abseits.
Akustisch bleiben die Schalker mit „Eine Stadt erstrahlt in Blau“ und „Wir kommen aus Gelsenkirchen“ bestimmend, auf dem Rasen kippt das Geschehen zunehmend in Richtung der Wölfe, die durch Kaminski (55.) und Lacroix (56.) zwei gute Chancen haben. Und Kovac erhöht den Druck weiter: Nach dem Doppelwechsel Kruse für Svanberg und Philipp für Marmoush hat der umstrittene Stürmer sofort zwei gute Schussmöglichkeiten.
Königsblaue Abwehrschlacht
Die Schalkefans merken, wie ihre Mannschaft zunehmend ins Schwimmen gerät und versuchen, mit „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und „Schalke, ich bin für Dich geboren“ zu unterstützen. Bülter geht in einem Zweikampf etwas zu engagiert ans Werk und sieht Gelb (65.). Beim folgenden Freistoß von Arnold reagiert Guilavogui am schnellsten und das Leder schlägt hinter Schwolow ein (66.). In das Gekreische des Stadionsprechers über die vermeintliche 1:0 Führung hinein platzt jedoch erneut das VAR-Symbol – Guilavogui stand im Abseits, es bleibt beim 0:0!
Kurz darauf erhört Kramer das Flehen der Schalkefans nach frischem Personal und ersetzt den wie immer engagierten, aber glücklosen Zalazar und den ausgepumpten Terodde durch Larsson und Polter (71.). Dieser könnte sich bereits zwei Minuten später zum Helden des Spiels krönen, scheitert aber aus aussichtsreicher Position an Casteels.
Der Gästeblock stimmt „Königsblauer S 04“ an und hofft, dass das Abwehrbollwerk hält, zumal mehrere Spieler konditionell am Ende zu sein scheinen und wegen Krämpfen behandelt werden müssen. Im Abwehrzentrum verdient sich Thiaw gute Noten und klärt gegen Paredes (78.) und Philipp (83.). Eine Großchance von Baku landet in den Armen von Schwolow (85.), dann nimmt Kramer mit zwei weiteren Wechsel – Aydin für Krauß und Calhanoglu für Ouwejan – wieder ein paar Sekunden von der Uhr.
Fünf Minuten Nachspielzeit gibt es obendrauf, jede einzelne fühlt sich im Gästeblock wie eine Ewigkeit an. Die Wolfsburger sind sauer, weil Bülter behandelt werden muss, aber ihr Kapitän Arnold hatte den Stürmer ausgeknockt – und dann ertönt der jedenfalls aus Schalker Sicht erlösende Abpfiff!
Ein Punkt ist ein Punkt ist ein Punkt
Schalke erkämpft sich somit den ersten Auswärtspunkt und wird für den Einsatz beim Gang in die Kurve beklatscht, der zuletzt gescholtene Schwolow bekommt einen Sonderapplaus. Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen!
Klar ist auch: Der Einsatz stimmt, spielerisch ist noch viel Luft nach oben, auch konditionell muss Kramer unbedingt nachlegen. Der lobt in der Pressekonferenz ebenfalls Schwolow für seine Paraden und gelobt „Wir wissen, woran wir noch zu arbeiten haben und wir wissen auch, dass das, was wir an Aufwand betreiben, die Basis ist. Im richtigen Moment müssen wir dann auch mal zubeißen.“
Terodde hadert derweil mit seiner Leistung: „Der vergebene Elfmeter ist extrem bitter, gerade kurz vor der Halbzeit wäre das ein sehr wichtiger Zeitpunkt gewesen. Ich habe in der Vergangenheit Verantwortung übernommen, das habe ich heute auch versucht. Die Jungs vertrauen mir da. Jeder Stürmer weiß, wie ich mich gerade fühle. … Ich bin froh, dass wir nicht verloren und einen Punkt mitgenommen haben.“ Unterstützung gibt es von seinem Sturmkollegen Bülter, „Wir wissen alle, was wir an Simon haben, was er schon alles für uns geleistet hat, deswegen kein Vorwurf an ihn. Man sieht, dass wir eine Einheit sind, jeder versteht, worum es geht und dass man mit einem Punkt in Wolfsburg auch mal zufrieden sein muss.“