Was würde eine Genossenschaft für Schalke 04 bedeuten?

Was würde eine Genossenschaft für Schalke 04 bedeuten?

3. Juli 2020 5 Von Susanne Hein-Reipen

Für den Fall der Ausgliederung der Profimannschaft soll der FC Schalke 04 laut Handelsblatt zur Rechtsform der Genossenschaft tendieren. Unsere Juristin Susanne Hein-Reipen erläutert, was das bedeuten würde.

Neuland im deutschen Fußball

Genossenschaft?!? In der ersten Bundesliga sind 5 eingetragene Vereine (Schalke, Freiburg, Mainz, Düsseldorf, Union), 5 Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHs/Leverkusen, Mönchengladbach, Wolfsburg, Hoffenheim, Leipzig), 6 Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaAs/ BVB, Köln, Bremen, Hertha, Paderborn und Augsburg), 2 Aktiengesellschaften (AGs/Bayern Frankfurt) und genau 0 Genossenschaften unterwegs. Die gleichen Rechtsformen findet man in der zweiten Bundesliga – auch hier Genossenschaft Fehlanzeige, einzig der FC St. Pauli hat eine solche mal für die Stadionvermarktung in Erwägung gezogen, diesen Plan aber bislang nicht umgesetzt.

Auch in den Satzungen von DFB und DFL tauchen Genossenschaften nicht auf, dort ist immer nur die Rede von „lizenzierten Vereinen und Kapitalgesellschaften“ – und Genossenschaften sind juristisch gesehen keine Kapitalgesellschaften…

Was ist eine Genossenschaft?

Doch wer nun meint, Genossenschaften würden keine große Rolle spielen, irrt: In Deutschland gibt es über 7.500 Genossenschaften mit zusammen 20 Millionen Mitgliedern. Die größten und bekanntesten Genossenschaften sind die Genossenschaftsbanken wie die Volks- und Raiffeisenbanken, Wohnungsbaugenossenschaften und landwirtschaftliche Genossenschaften.

Was also ist eine Genossenschaft? Auskunft gibt das Genossenschaftsgesetz (GenG), das bereits aus dem Jahr 1889 stammt: In allerfeinstem Juristendeutsch heißt es dort

§ 1 Wesen der Genossenschaft

(1) Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern (Genossenschaften), erwerben die Rechte einer „eingetragenen Genossenschaft“ nach Maßgabe dieses Gesetzes.

Eine Genossenschaft ist demnach eine Gesellschaft mit Mitgliedern, die einen gemeinsamen Zweck mit einem gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb fördern wollen. Insofern ähnelt eine Genossenschaft einem Verein, der ebenfalls ein Zusammenschluss seiner Mitglieder zu einem gemeinsamen Zweck ist. Anders als bei den Idealvereinen, deren (Haupt)zweck gerade kein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb sein soll, ist die wirtschaftliche Betätigung bei Genossenschaften ausdrücklich zulässig – und eine eingetragene Genossenschaft ist nicht nur eine juristische Person, sondern gemäß § 17 (2) GenG auch ein sog. „Formkaufmann“ im Sinne des Handelsgesetzbuchs und damit grundsätzlich ein Wirtschaftsunternehmen.

„Zwitter“ zwischen Verein und Kapitalgesellschaft

Auch das Erfordernis einer Satzung, eines Vorstands und einer „Generalversammlung“ (beim Verein: Mitgliederversammlung) haben Verein und Genossenschaft gemeinsam, eine Genossenschaft mit mehr als 20 Mitgliedern braucht zudem zwingend einen Aufsichtsrat. Interessant: Bei einer Genossenschaft müssen die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder selbst Mitglied in der Genossenschaft sein, was bei Vereinen nicht gesetzlich vorgeschrieben ist.

Mit den Kapitalgesellschaften wiederum teilt sich die Genossenschaft den Erwerb von Anteilen – jedes Genossenschaftsmitglied kann einen oder, sofern die Satzung das zulässt, mehrere Geschäftsanteile erwerben. Alle Geschäftsanteile zusammen bilden das Eigenkapital der Genossenschaft. Die Höhe eines Geschäftsanteils ist ebenso wie ein etwaiges Mindestkapital in der Satzung festzulegen, dort sind auch Regelungen zu einer etwaigen Nachschusspflicht der Gesellschafter und zur Gewinnverteilung festzulegen. Der Regelfall ist die Verteilung des Jahresgewinns bzw. Verlustes auf die Mitglieder, dieser kann aber beispielsweise zugunsten einer Rücklagenbildung ausgeschlossen werden. Anders als z. B. Aktien sind Genossenschaftsanteile nicht frei handelbar, sondern bei Kündigung an die Genossenschaft zurückzugeben, die dann maximal den Wert der eingezahlten Anteile auszahlt.

Demokratische Unternehmensform

Der große Unterschied zwischen Kapitalgesellschaften und Genossenschaften ist, dass bei Kapitalgesellschaften die Höhe der Beteiligung maßgeblich für die Teilhabe- und Stimmrechte ist; bei Genossenschaften hingegen hat jedes Mitglied unabhängig von der Höhe seines Anteils eine Stimme – was grundsätzlich nicht schlecht zu der Idee des Schalker Leitbilds passt, als Kumpel- und Malocher-Club Anhängern aus allen gesellschaftlichen Schichten die Teilnahme am Vereinsleben zu ermöglichen. In den USA hat das NFL-Team der Green Bay Packers ein ähnliches Modell und gehört 360.000 Anteilseignern statt einem Eigentümer oder Investor; in der Bundesliga hätte Schalke damit ein echtes Alleinstellungsmerkmal, eine GE-nossenschaft quasi.

Ein weiterer nicht uncharmanter Punkt ist, dass jede eingetragene Genossenschaft einem Prüfungsverband als Mitglied angehören muss, zu dessen Aufgaben die Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen bei seinen Mitgliedern gehört. Dieser prüft jährlich den Jahresabschluss sowie die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung. Dadurch können Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt werden; die Insolvenzrate bei Genossenschaften beträgt 0,1 % und ist damit im Vergleich zu anderen Rechtsformen äußerst gering. Zudem sind die Abschlüsse von Genossenschaften jährlich im elektronischen Bundesanzeiger zu veröffentlichen.

Verträgt sich eine Genossenschaft mit der 50+1-Regelung?

Da bislang keine Fußball-Genossenschaften existieren, wurde dieses Modell noch nicht ernsthaft diskutiert, aber die grundsätzliche Gleichheit aller Genossenschaftsmitglieder spricht stark dagegen, dass der Verein die erforderliche Stimmenmehrheit behalten kann. Zwar kann die Satzung nahezu beliebige Regeln zur Begrenzung der maximal von einer Person zu erwerbenden Anteile treffen, die Möglichkeiten von Mehrstimmrechten sind jedoch gemäß § 43 GenG äußerst eng begrenzt. Denkbar und deutlich problemloser unter die DFL-Statuten subsumierbar wäre hingegen die Gründung einer Lizenzspieler-GmbH, an welcher der Verein mindestens 50,01 und die Genossenschaft maximal 49,99 % der Stimmen besitzt. Diese könnte man notariell gegen weitere Gesellschafter absichern, falls die 50 + 1-Regelung fällt.

Eine weitere Tücke der Genossenschaft ist, dass Genossenschaftsanteile bei einer Kündigung zwar mit großzügigen Fristen, aber letztendlich zu erstatten sind, was bei „Massenkündigungen“ beispielsweise aufgrund eines Skandals oder Abstiegs zu Liquiditätsproblemen führen könnte.

Bringt das genug Kohle?

Fraglich ist natürlich, wie viel Kapital mit einer solchen Genossenschaft eingesammelt werden könnte. Genossenschaften ähneln eher einem gemeinsamen Crowdfunding als einem Investment. Würden z. B. 100.000 Schalker Anteile zu je 1.004 € erwerben, ständen 100,4 Mio. Euro zur Verfügung – das klingt angesichts von knapp 200 Mio. Euro Verbindlichkeiten erst einmal wenig, wäre aber dennoch eine gute Finanzspritze, ohne fremden Investoren Zugriff auf den Verein zu ermöglichen.

Alexander Jobst hat allerdings den Ausgliederung-so-schnell-wie-möglich-Gerüchten eine klare Absage erteilt: „Corona kann nicht das Sprungbrett für eine geänderte Rechtsform sein.“ Erst wenn man überzeugt sei, dass eine Änderung der Rechtsform Sinn ergäbe, werde man das öffentlich kundtun und diskutieren – wohl wissend, dass einer Ausgliederung egal welcher Art 75 % der Mitglieder auf einer eigens dazu einberufenen Mitgliederversammlung zustimmen müssten.

Sehr gut vorstellbar und sinnvoll ist, dass die Vereinsführung zunächst versucht, die finanzielle Situation ohne Ausgliederung in den Griff zu bekommen, worauf bei einem strikten Sparkurs aufgrund der Umsatzstärke des FC Schalke 04 durchaus Hoffnung besteht; parallel dazu können sich die durch die schaurige Rückrunde und die Rücktritte von Clemens Tönnies und Peter Peters erhitzten Gemüter wieder etwas beruhigen. Sollte sich dennoch herausstellen, dass Schalke ohne Ausgliederung in die Insolvenz zu gehen droht, wäre ein Genossenschaftsmodell mit einer ausgewogenen und transparent diskutierten Satzung mutmaßlich der Weg, den viele Schalker noch am ehesten bereit wären mitzugehen.