Union – Schalke 1:1: Ein tolles Tor von Kenny und Folterfußball

Union – Schalke 1:1: Ein tolles Tor von Kenny und Folterfußball

7. Juni 2020 0 Von Susanne Hein-Reipen

Auf einem Arbeitszeugnis stände „sie haben sich bemüht“: Union Berlin und Schalke trennen sich in einem spielerisch sehr schwachen Spiel mit 1:1. Für Königsblau ist das der erste Punkt seit dem Corona-Neustart – und die schwärzeste Serie seit über 25 Jahren. Susanne Hein-Reipen mit den Einzelheiten.

Ganz Fußballdeutschland weiß: Ein Schalker kommt selten allein. Wenn Schalke auswärts antritt, ist normalerweise eine satt vierstellige Zahl an Fans dabei, die nicht selten das Heimpublikum an die Wand singen. Besonders begehrt sind Touren in Städte, wo es ebenfalls eine lebendige Fanszene und supporttechnisch Gegner statt Opfer gibt, daher hatten sich viele königsblaue Auswärtsfahrer besonders auf den allerersten Besuch in der berühmten Alten Försterei gefreut: Ein neuer „Ground“ und ein Wiedersehen mit den Eisernen, mit denen uns seit dem Pokalfinale 2001 zwar keine direkte Fanfreundschaft, aber doch gegenseitige Sympathie verbindet.

Das Hinspiel Ende November hatte Schalke nach einem packenden Fight mit 2:1 gewonnen, dabei lieferten trotz ungünstiger Bedingungen am Freitagabend bei miesem Wetter und langer Anreise tausende Unioner einen mehr als respektablen Auftritt im Pott ab. Der Gegenbesuch fällt nun leider Corona zum Opfer.

Verletzungspech, die üblichen Verdächtigen und eine Bubi-Bank

Mindestens ebenso unerfreulich wie Geisterspiele finden Schalker die Schlagzeilen, die ihr Herzensverein diese Woche machte: Zu der sportlichen Talfahrt gesellten sich ein hochnotpeinlicher Härtefallantrag, der überraschende Abschied des langjährigen Finanzvorstands Peters Peters und immer drängendere Gerüchte über eine drohende Insolvenz.

Und auch das in dieser Saison bereits reichlich vorhandene Verletzungspech bleibt den Knappen treu: Kapitän Omar Mascarell kann nicht wie erhofft im Schlussspurt wieder einsteigen, Suat Serdar und Amine Harit fehlen ebenfalls, dazu mussten sich Jean-Clair Todibo und kurzfristig auch noch Guido Burgstaller (Außenbandanriss) und Matija Nastasic (muskuläre Probleme) abmelden. Da auch Weston McKennie (5. Gelbe) und Benjamin Stambouli (Trainingsrückstand nach langer Verletzungspause) nicht mitspielen können, stellt sich die Mannschaft fast von alleine auf: Nübel, Miranda, Kabak, Raman, Gregoritsch, Matondo, Caligiuri, Kenny, Oczipka, Sané und Schöpf bilden die Startelf. Besonders die erneute Aufstellung von Gregoritsch und Schöpf und das Fehlen von Kutucu kommen in den königsblauen sozialen Netzwerken nicht gut an. Kutucu sitzt gemeinsam mit Schubert, Boujellab, Becker, Thiaw, Mercan und Bozdogan auf der Bank – bis auf Schubert ausnahmslos Absolventen der Knappenschmiede mit einem Durchschnittsalter von 20 Jahren.

Not gegen Elend?

Die aktuelle Formkurve beider Mannschaften lässt nix Gutes erwarten, Union (1 Punkt) und Schalke (0 Punkte) sind die schwächsten Teams seit dem Corona-Neustart. Nach der Seitenwahl knien alle Spieler am Mittelkreis nieder, auch die Trainer und Betreuer gehen auf die Knie, nach Weston McKennies „Justice for George“-Armbinde der Vorwoche ein weiteres richtiges und wichtiges Zeichen der Solidarität gegen Rassismus und Polizeigewalt. Von draußen schallen gelegentlich Fangesänge offenbar dort postierter rot-weißer Fans ins Stadion.

Leider haben die Schalker vor dem Fernseher schon bald ein Deja-Vu-Erlebnis zu den vorherigen Spielen: Schon nach 4. Minuten marschiert Bülter unter freundlichem Zugucken der Schalker Spieler über den halben Platz und bedient Malli, dessen Schuss Beute von Nübel wird. KÖNNTET IHR BITTE MAL MITSPIELEN?!

Frühe Führung für Union

Aber die Eisernen bleiben am Drücker, einen Freistoß von Trimmel köpft Ujah am rechten Pfosten vorbei, dann klingelt es hinter Nübel: Miranda lässt sich von Ujah vernaschen, dieser leitet den Ball zu Andrich weiter und der verlädt den herausstürzenden Nübel mit einem platzierten Schuss in die lange Ecke. 1:0 in der 11. Minute.

Die Unioner freuen sich, die Schalker Spieler wirken noch mutloser und resignierter als zuvor, auch Wagner reagiert äußerlich nicht. Nur Benjamin Stambouli, als „moralische Unterstützung“ ebenso wie Mascarell und Langer mit nach Berlin gereist, schreit sich auf der Tribüne die Kehle heiser.

Die nächste Chance der Hausherren, ein Schuss von Hübner (15.) verfehlt den Kasten ebenfalls nur knapp. Eine weitere Flanke von Ujah kann Sané gerade noch vereiteln, die nächste kommt durch, aber Nübel streckt sich (24.). Matondo rasselt mit gleich mehreren Eisernen zusammen und muss behandelt werden.

Aus dem Nichts: Der Ausgleich

Während in den königsblauen Wohnzimmern wahlweise Heulen und Zähneklappern oder Wut und Frust herrscht, fasst sich Jonjoe Kenny ein Herz und zimmert das Leder aus knapp 20 Metern von rechts auf und in das Tor – Wahnsinn, ein königsblauer Treffer! Dieses 1:1 (28.) ist nach dem bisherigen Spielverlauf durchaus schmeichelhaft, aber vielleicht gibt es den königsblauen Häschen auf dem Feld ja neuen Mut…?

Die erste gelbe Karte der Partie sieht Trimmel, der Miranda „mit Schmackes“ auf den Fuß steigt, eine Minute später folgt Andrich, der den gefühlt halb so schweren Matondo abräumt. Immerhin: jetzt gibt auch das zuvor völlig unsichtbare Schalker Mittelfeld gelegentliche Lebenszeichen von sich; Raman, Schöpf und Kenny starten einen weiteren Angriff, doch die Köpenicker Abwehr ist aufmerksam. Bis zum Pausenpfiff durch Schiedsrichter Stieler passiert trotz gut zweiminütiger Nachspielzeit nicht mehr viel.

Was bringt der zweite Durchgang?

Beide Mannschaften starten personell unverändert in die zweiten 45 Minuten. In der ersten Viertelstunde geschieht außer einer Schalker Ecke, langen Bällen ins Nichts und ein wenig Herumgerenne im Mittelfeld auf beiden Seiten herzlich wenig; dann erhört Wagner die vielen Stoßgebete der Schalkefans und schickt Ahmed Kutucu für Benito Raman aufs Feld.

Ein besonders krasser Fehlpass von Gregoritsch veranlasst Kommentator Fuss zu der Bemerkung „der sieht Mitspieler, wo keine sind“. Unterdessen verzweifeln die Fans an den Bildschirmen ob der Darbietung ihrer Mannschaft. In der 66. Minute versucht sich Bastian Oczipka an einem Distanzschuss, aber Gentner lenkt den Ball zur Ecke, diese bringt nichts ein. Dasselbe Schicksal erleidet auf der Gegenseite ein Distanzschuss von Bülter.

Bei Union kommt Prömel für Malli; der Ex-Schalker Marvin Friedrich sieht Gelb wegen überharten Einsteigens gegen Matondo, der anschließende Freistoß landet im Nirgendwo. Auch Miranda kassiert Gelb für ein hohes Bein, Boujellab kommt für Matondo (82.). Beide Mannschaften sind bemüht, aber komplett verunsichert, jedem Fußballliebhaber dreht sich bei dem hilf- und planlosen Gestocher der Magen um. Immerhin: Sie ergeben sich nicht kampflos.

Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel

Kutucu marschiert einmal den rechten Flügel entlang, die anschließende Flanke verfehlt Gregoritsch aber deutlich. Union erhält in rascher Folge zwei Ecken; bei der Zweiten rettet Nübel stark gegen den freistehenden Schlotterbeck.  In der Nachspielzeit bekommt auch Schalke noch eine Ecke, doch die verpufft ebenso wie ihre Vorgänger.

Der Schlusspfiff ist eine Erlösung für Spieler wie Fernsehzuschauer. Der Punkt ist für beide Mannschaften zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Für Schalke ist das nunmehr 12. (!) Spiel ohne Sieg die längste Serie seit 1993, ohne die 30 Punkte der Hinrunde müsste auf dem Berger Feld richtig gezittert werden, so werden 10 Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz bei vier noch ausstehenden Spielen trotz der grausigen Rückrunde wohl hoffentlich für den Verbleib in Liga 1 reichen.

Die nächsten beiden Partien für Schalke sind ein Heimspiel gegen Leverkusen, die in der Veltins-Arena leider schon oft die Punkte entführt haben, und das Spiel bei der Frankfurter Eintracht, traditionell ebenfalls kein gutes Pflaster für Schalke. Wenn die Schalker Kassen besser gefüllt wären, müsste es eigentlich Schmerzensgeld für treue Fans geben…