Schalkes Halbjahresbilanz: Mit einem blauen Auge davongekommen oder existenzielle Bedrohung?

Schalkes Halbjahresbilanz: Mit einem blauen Auge davongekommen oder existenzielle Bedrohung?

6. Oktober 2020 0 Von Susanne Hein-Reipen

Deutlicher Umsatzrückgang, moderater Anstieg der Verbindlichkeiten: Just an dem Tag, als Manuel Baum und Naldo als neues Trainergespann und weitere Personalien auf Schalke vorgestellt wurden, veröffentlichte der Verein auch den Konzernzwischenbericht für das erste Halbjahr 2020. Steuerjuristin Susanne Hein-Reipen prüft die ersten Auswirkungen der Corona-Krise auf die bekanntermaßen ohnehin sehr angespannte finanzielle Lage der Königsblauen auf Herz und Nieren…

Die Bilanz 2019 wartete bereits mit einem Rekordverlust von 26,1 Mio. Euro auf, im Juni verließ der langjährige Finanzvorstand Peter Peters den Verein und Alexander Jobst zeichnete ein sehr düsteres Bild der Finanzen. Dass Schalke eine Landesbürgschaft in Höhe von 35 Mio. Euro benötigte, um einen Betriebsmittelkredit aufnehmen zu können, sprach ebenfalls Bände. Entsprechend ängstlich wurden die Halbjahreszahlen erwartet.

Sieht doch gar nicht sooo übel aus…

Auf den ersten Blick scheinen die Finanzdaten im Konzernzwischenbericht auf den 30. Juni 2020 sogar besser auszufallen als befürchtet: Einem erwartbaren Umsatzrückgang stehen auch deutliche Kosteneinsparungen gegenüber, so dass „nur“ ein Verlust („Halbjahresfehlbetrag“) von 9,7 Mio. Euro und damit sogar weniger Miese als im ersten Halbjahr 2019 (18,3 Mio. Euro) zu Buche stehen. Auch der Anstieg der Verbindlichkeiten fällt mit 7,4 Mio. Euro auf nunmehr 205,3 Mio. Euro (31.12.2019: 197,9 Mio. Euro) recht moderat aus.

…ABER die Aussichten sind düster

Doch Schalke weist in dem Bericht und der begleitenden Pressemitteilung bereits selber darauf hin, dass für das Gesamtjahr 2020 mit einem Jahresfehlbetrag im mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich, mithin also ca. 50 Mio. Euro Verlust und einem ähnlichen Anstieg der Finanzverbindlichkeiten kalkuliert werde. Die Ursachen des Umsatzrückgangs liegen sowohl in der dürftigen sportlichen Performance als auch den Auswirkungen der Corona-Pandemie.

Bei jedem Geisterspiel fehlen 6 Mio. Euro!

Die Nichtteilnahme am europäischen Geschäft und das schwache Abschneiden in der Bundesliga führen zu deutlich gesunkenen TV-Einnahmen (minus 13,9 Mio. auf 48,0 Mio. Euro) und ausbleibenden Transferentschädigungen (nur noch 4,8 Mio. Euro). Schlimmer noch schlägt Corona zu:  Allein die vier „Geisterheimspiele“ der Rückrunde bescheren Schalke durch Mindereinnahmen bei den Tickets, den Sponsoringerlösen, im Catering und beim Merchandising einen Umsatzrückgang von 23,7 Mio. Euro zum Vorjahreszeitraum – d. h. jedes Spiel ohne Zuschauer führt zu Mindereinnahmen von fast 6 Mio. Euro! Zudem fehlen Mieteinnahmen für externe Veranstaltungen in der Veltins-Arena.

Kostensenkung nur begrenzt möglich

Schalke verweist darauf, man habe „dank einer schnellen Reaktion mit umfangreichen Kostensenkungsmaßnahmen – wie beispielsweise dem Gehaltsverzicht im Lizenzspielerbereich sowie anderen Bereichen des Konzerns, flächendeckender Kurzarbeit sowie dem Stopp von Investitionsprojekten – geschafft, die Auswirkungen auf das Ergebnis in Grenzen zu halten“. Das ist unstreitig richtig, lässt sich aber leider nicht beliebig fortführen: Der Gehaltsverzicht war zunächst bis zum Saisonende begrenzt, ein weiterer wird frühestens nach dem Transferschluss verhandelt. Mit Fährmann, Uth, Bentaleb und dem „halben“ nach Hoffenheim verliehenen Rudy sind vier absolute Spitzenverdiener auf das Berger Feld zurückgekehrt, des Weiteren waren die Prämien in der Rückrunde aufgrund des schlechten Abschneidens historisch niedrig. Hinzu kommen Gehalts- oder Abfindungszahlungen für Wagner und die mit ihm entlassenen Cotrainer zusätzlich zu den Aufwendungen für Baum und Naldo; zudem wurden 15 % des Gehaltes der Rückrunde nur gestundet.

Massiver Anstieg der Verbindlichkeiten steht bevor

Sowohl die Gesamt- (205,3 Mio. Euro) – als auch die Finanzverbindlichkeiten (120,8 Mio. Euro) als auch das negative Eigenkapital („Nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“; 28,1 Mio. Euro) sind bereits leicht gestiegen, werden aber im zweiten Halbjahr durch den im September aufgenommenen „Corona-Kredit“ und einen plangemäßen Kredit für das Bauprojekt Berger Feld II im „einen mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich“ ansteigen. Schalke drohen damit erneut über 250 Mio. Euro Verbindlichkeiten und ein Rekord-Negativkapital – erschwerend kommt noch hinzu, dass rund 85 Mio. Euro Verbindlichkeiten eine Restlaufzeit von unter einem Jahr haben, also kurzfristig fällig werden, auch wenn sich die Einnahmesituation bis dahin nicht erholt hat.

Eine ganze Saison mit Geisterspielen?

Das sportliche Abschneiden der Lizenzspielermannschaft, normalerweise wichtigstes Merkmal eines Profivereins, war selten so schlecht zu prognostizieren wie dieses Mal, dazu kommen die kaum absehbaren Dauer und Auswirkungen der Corona-Pandemie. Schalke geht für die Saison 2020/2021 von Platz 12 in der Bundesliga, einem Ausscheiden in der 2. Runde des DFB-Pokals und ausschließlich Geisterspielen aus. Auch zusätzliche Veranstaltungen in der VELTINS-Arena wie Konzerte, Festivals etc. werden nicht eingeplant – kommt es doch besser, würden die Verluste weniger drastisch ausfallen.

Ausgliederungsdebatte wird forciert

Es ist davon auszugehen, dass die ohnehin seit Monaten schwelende Ausgliederungsdebatte aufgrund der finanziellen Situation schärfer werden wird, obwohl auch zahlreiche bereits in Kapitalgesellschaften ausgegliederte Clubs nicht nur in Deutschland, sondern weltweit durch die Corona-Beschränkungen ebenfalls in finanzielle Schiefläge geraten sind und es keinen ungünstigeren Zeitpunkt für eine solche Maßnahme geben könnte als bei anhaltendem sportlichen Misserfolg inmitten einer Pandemie, in der auch potentielle Investoren von Unsicherheit und Umsatzrückgängen betroffen sind.  

So steht es im Leitbild…

Vom alljährlichen früheren Loblied auf die Rechtsform des eingetragenen Vereins (z. B. im Konzernbericht 2018: „Mit seiner Rechtsform grenzt sich der Verein in einer Welt von investorenfinanzierten und konzerneigenen Clubs ab und verfügt über ein werthaltiges Alleinstellungsmerkmal“) ist jedenfalls nichts mehr zu lesen; stattdessen gibt es den lapidaren Hinweis „Die strategische Ausrichtung der letzten Jahre wird aufgrund der Entwicklungen der Corona-Pandemie zurzeit intensiv überprüft, auch die langfristigen Ziele sind Bestandteil der Diskussionen.“ In diesem Zusammenhang werden auch der „vor Corona“ von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG auf 814 Mio. Euro taxierte Unternehmenswert und eine mögliche Umqualifizierung zum wirtschaftlichen Verein erwähnt.

Auf Christina Rühl-Hamers wartet viel Arbeit

Kein Zweifel: Unter Langeweile wird die jüngst zur Nachfolgerin von Peter Peters ernannte Christina Rühl-Hamers nicht leiden. Die 44-jährige Diplomkauffrau, Steuerberaterin und Wirtschaftsprüferin ist die erste Frau, die als Vorstand die Finanzen eines Bundesligavereins verantwortet.

Ob es dabei gut oder eher hinderlich ist, dass sie bereits seit 2010 als „Direktorin Finanzen“ für die operative Arbeit unter Peter Peters tätig war, wird sich zeigen: Einerseits ist sie sehr gut mit der Materie vertraut, andererseits könnte die Schalker Finanzstrategie dringend frischen innovativen Wind vertragen, der ggf.  von dem erhofften unvoreingenommenen externen Finanzexperten, den Schalke über drei Monate lang von einer Beratungsagentur suchen ließ, eher zu erwarten gewesen wäre. Abzuwarten bleibt auch, welches Standing Frau Rühl-Hamers gegenüber ihren Mitvorständen und dem Aufsichtsrat entwickeln kann.

Eine volle Nordkurve in Action – emotional, sportlich und finanziell wichtig