Schalke – Wiesbaden 1:0: Fans pushen Schalke zum wichtigen Dreier

Schalke – Wiesbaden 1:0: Fans pushen Schalke zum wichtigen Dreier

17. Februar 2024 0 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 gewinnt gegen Tabellennachbarn SV Wehen Wiesbaden mit 1:0 (0:0) und holt drei immens wichtige Punkte gegen den Abstieg. Matchwinner sind dabei neben Kenan Karaman, der vom Punkt cool bleibt, die Fans, die die verunsicherte Mannschaft nach einer unterirdischen ersten Halbzeit mit Support und Applaus für jede gelungene Aktion über die Zeit tragen. Susanne Hein-Reipen berichtet…

Samstag 13:00 Uhr fühlt sich zu früh an für Fußball, vor allem, wenn man vor dem Anpfiff noch etwas vorhat. Schon früh weicht die „Ruhe vor dem Sturm“ der Nervosität, ob Schalke nach einer weiteren unruhigen Woche mit medialem Hauen und Stechen punkten kann.

Banner statt (Tennis)Bälle

An den Treppenaufgängen stehen die neuen „pfandtastischen Flaschenspender“, mit denen Zuschauer ihr Leergut zugunsten bedürftiger Menschen in Gelsenkirchen spenden können. Neu ist für die Spieler des SV Wehen auch die Arena, denn die beiden einzigen Aufeinandertreffen fanden in Wiesbaden statt. Entsprechend groß sind die Augen bei der Platzbegehung, viele Spieler machen Selfies.

Im weiteren Vorprogramm trennen sich die „Knappen der Tabakstadt 98“ und die „Almebuben Brenken“ im Fanspiel mit einem leistungsgerechten 2:2, es gibt News aus der Knappenschmiede und von den Damenteams. Als die Torhüter zum Aufwärmen auf das Feld kommen, hängt am K-Block ein schwarzes Banner NEUABSTIMMUNG. Anders als in vielen anderen Stadien hat die organisierte Fanszene auf Schalke bislang auf Spielunterbrechungen durch Tennisbälle oder Münzen verzichtet, die Meinung zu der Abstimmungsfarce der DFL ist trotzdem klar.

„VORSTAND UND AR SEHT ES EIN, AUCH EURE STIMME MUSS PRO NEUABSTIMMUNG UND GEHEN DEN INVESTORENDEAL SEIN!“

Die beiden Stadionsprecher Dirk und Jörg können wieder diverse Schalker Prominenz wie Norbert Nigbur, Helmut Kremers, Thomas Linke, Carsten Marquardt und „Meister“ Jiri Nemec begrüßen, die ihren Nachfolgern im königsblauen Dress die Daumen drücken. Grüße gehen raus an Willi Koslowski, denn der „Schwatte“, Mitglied der Schalker Meistermannschaft von 1958 und Schütze des allerersten  Schalker Bundesligatores überhaupt, kann heute seinen 87. Geburtstag feiern.

Nach der Aufstellung der Gäste folgt das Steigerlied, dann wird die Schalker Startelf rausgebrüllt: Mit Müller, Baumgartl, Kaminski, Kalas, Ouwejan, Schallenberg, Brunner, Idrizi, Seguin, Karaman und Churlinov wechselt Chefcoach Karel Geraerts zur Dreierkette; etlichen Fans ist die Aufstellung dennoch für ein Heimspiel gegen einen Konkurrenten zu defensiv.

Zum Einlauf der Mannschaften darf natürlich das Vereinslied „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“ nicht fehlen; die Nordkurve entrollt dazu ein riesiges Banner „VORSTAND UND AR SEHT ES EIN, AUCH EURE STIMME MUSS PRO NEUABSTIMMUNG UND GEGEN DEN INVESTORENDEAL SEIN!“ Man darf gespannt sein, ob es eine erneute Abstimmung geben wird und wie sich Schalke nach einem NEIN bei der ersten und dem umstrittenen JA bei der zweiten Wahl dann positionieren wird.

Erste Halbzeit gefällt nur Masochisten

Mit dem Anpfiff durch Schiedsrichter Deniz Aytekin legt die Nordkurve sofort mit dem Support los; „Geh‘n mit dir auf jede Reise“ und „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ sind angesagt. Auf dem rasen ist beiden Mannschaften die Wichtigkeit der Partie und die entsprechende Nervosität deutlich anzumerken, wobei die Gäste etwas besser ins Spiel kommen und in der 14. Minute eine Großchance zur Führung haben. Nach einem Ballverlust von Brunner gegen Günther kommt Kovacevic zum Schuss und Kalas muss für den bereits geschlagenen Müller auf der Linie retten. Puh!

Die Nordkurve schüttelt sich einmal kurz und startet den Wechselgesang SCHALKE! -NULLVIER mit der Südkurve, in der ungewöhnlich viele leere Sitze sind, danach folgt „Wir komm‘n vom Berger Feeeld, Malocher ohne viel Geld…“. Die Blauen auf dem Rasen entwickeln über Churlinov, Idrizi und Seguin erste zaghafte Vorstöße. Bereits nach knapp 25 Minuten werden die Schalker Ersatzspieler zum Warmmachen geschickt.

Torlos zum Pausentee

Einen Wiesbadener Freistoß plus Nachschuss bekommt die Schalker Abwehr geklärt (27.), dann gibt es untermalt von „Auf geht‘s Schalke schieß ein Tor“ und „Für deine Farben“ zwei – wirkungslose – Ecken für Königsblau. Auch Karaman (35.) und Churlinov (37.) können Stritzel im Tor der Gäste nicht ernsthaft in Bedrängnis bringen.

Bei einem schnellen Gegenstoß der Wiesbadener ahnen die Schalkefans schon wieder Böses, doch Kalas und Müller klären mit vereinten Kräften zur Ecke, diese bringt nichts ein (37.). Die Nordkurve stimmt „Eine Stadt erstrahlt in Blau“ und „Immer wenn du spielst“ an und fordert „Vorwärts FC Schalke, schieß‘ ein Tor für uns“. In der einmütigen Nachspielzeit wird eine weitere Ecke für die Knappen ausgespielt, aber der Ball landet nach einer Stafette über Freund und Feind letztlich in den Armen von Stritzel (45+1.), dann ertönt der Pausenpfiff. Trotz der über weite Strecken wenig erbaulichen Darbietung gibt es nahezu keine Pfiffe.

Was bringt die zweite Halbzeit?

Beim Halbzeitbierchen dominiert denn auch die Hoffnung, dass die zweiten 45 Minuten besser werden. In der Fanbox gibt es allerlei königsblaues Liedgut nach dem Motto „nicht schön, aber laut und gutgelaunt“; beim Halbzeittalk mit Thomas Kirschner von der Direktion Fanbelange wird für die Pfandspende und den hybriden „MitGEredet“-Talk mit Vorstandsvorsitzendem Matthias Tillmann geworben, zudem wird die Auswärtsinfo für die kommende Begegnung in Magdeburg, für viele Schalker ein neuer Ground, angekündigt.

Beide Teams kommen personell unverändert wieder auf das Spielfeld; die Nordkurve schickt Grüße Richtung Twente Enschede und Nürnberg: „Schalke und der FCN“, während eine Suchmeldung durchgegeben wird. Zu „Auf geht‘s Schalke schieß ein Tor“ tankt sich Karaman Richtung Strafraum durch, sein Distanzschuss wird zur Ecke geblockt, die nichts Zählbares einbringt (48.). Auf der Gegenseite scheitert Agrafiotis zweimal an einem Schalker Abwehrbein und Müller.

Karaman ganz cool vom Punkt mit dem Tor des Tages

Musikalisch sind eine Attacke und „Wir lieben alle nur den FC Schalke“ angesagt, die etwa 1.500 Gäste aus Wiesbaden haben der Schalker Stimmpower wenig entgegenzusetzen. Catic ersetzt Günther, an der Seitenlinie macht sich zudem Torjäger Terodde für sein 300. Zweitligaspiel bereit – doch bevor es dazu kommen kann, köpft Baumgartl eine Hereingabe weiter zu Churlinov, der im Strafraum ziemlich unsanft mit der offenen Sohle von Vukotic Bekanntschaft macht (59.). Aytekin befindet ohne Zögern auf die fünfte gelbe Karte für den Serben und Elfmeter für Schalke.

Karaman schnappt sich den Ball und verwandelt ohne Zögern mit dem rechten Fuß in die rechte Ecke zum 1:0 (60.); beim anschließenden Jubel fallen den Schalkern nicht nur Steine, sondern ganze Gebirge vom Herzen. Ein Leben laaang…

Nach dem Treffer darf Terodde für Churlinov ran; bei Wiesbaden ersetzen Froese und Rieble Kovacevic und Goppel. Die Nordkurve ist erleichtert über die Führung und pusht die Mannschaft mit „Steht auf“, Schalke, ich bin für dich geboren“ und „Schalke, nur du alleine“ weiter. Die offizielle Zuschauerzahl von 60.542 wird allgemein belächelt, weil von den „gezählten“ Dauerkarteninhabern unübersehbar etliche heute die heimische Couch vorgezogen haben.

Zittern bis zum Schluss

Auf dem Rasen hat Schalke zwar durch die Führung etwas Auftrieb bekommen, kann die zunehmende Passivität der Gäste aber nicht wirklich ausnutzen. Stattdessen taucht Wehen durch einen weiteren Doppelwechsel – Fechner und Lee für Jacobsen und Agrafiotis – noch einmal gefährlich vor Müller auf, doch der Schalker Keeper bleibt Sieger nach der Ecke (78.).

Geraerts greift nunmehr auch zu einem Dreifachwechsel: Topp, Tempelmann und Matriciani ersetzen Karaman, Idrizi und Brunner (81.), das Spiel plätschert dennoch zunächst ohne nennenswerte Aktionen vor sich hin. Die Schalker Fans stört das herzlich wenig, „Immer wieder, immer wieder, immer wiiiiieder S04“ wogt durch die Arena. Schallenberg sieht gelb (97.), Matriciani wird für eine Bilderbuchgrätsche gegen Lee abgefeiert, Froese wird ebenfalls verwarnt – und es gibt zum Verdruss des Schalker Publikums, die einen Last-Minute-Schock wie im Hinspiel befürchten, sechs Minuten obendrauf.

Die Nachspielzeit zerrt mit Chancen für Lee und Bätzner noch einmal kräftig am königsblauen Nervenkostüm, doch jeder eroberte Ball, jede gelungene Aktion wird gefeiert. Eine Gelbe für Tempelmann und der letzte Wechsel Mohr für Ouwejan nehmen weitere Sekunden von der Uhr. Vukotic versucht sich noch an einer Schauspieleinlage, dann ist Schluss, die drei Punkte bleiben in Gelsenkirchen!

Wichtige Punkte für die Tabelle – und für’s Selbstvertrauen?

Durch den Sieg rückt Schalke mit 26 Punkten auf Rang 14 auf einen Punkt an Wehen mit 27 Zählern heran. Rostock auf Relegationsrang 16 ist nunmehr vier Zähler zurück; Kaiserslautern (21 Punkte/Platz 17.) und Braunschweig (23. Punkte/15) müssen am Sonntag noch auswärts in Nürnberg bzw. auf St. Pauli ran.

Zu hoffen bleibt, dass neben der tabellarischen Stabilisierung auch das sichtbar angeknackste Selbstvertrauen der Kicker von dem Sieg profitiert. Auch wenn es spielerisch harte Kost war, die Daten mit 8:3 Ecken und einer fast 6 Kilometer höheren Laufleistung als die Gäste zeigen einen leichten Aufwärtstrend.

Auch die Kurve honoriert die drei Punkte mit viel Applaus und dem „Mantra“ „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“, als die Mannschaft erleichtert vor sie tritt. Zu den Klängen von „Zeig mir den Platz in der Kurve“ geht es dann, teilweise mit dem Nachwuchs, auf die Stadionrunde; Darko Churlinov macht einen jungen Fan mit seinem Trikot glücklich. Am nächsten Samstag geht es mit dem Topspiel in Magdeburg weiter…