Schalke: Konzernbilanz 2020 die ehrlichste Bilanz aller Zeiten – Kostensenkung ist überlebensnotwendig!

Schalke: Konzernbilanz 2020 die ehrlichste Bilanz aller Zeiten – Kostensenkung ist überlebensnotwendig!

6. April 2021 1 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 hat die Konzernbilanz 2020 vorgelegt – wie erwartet mit einem deutlichen Umsatzrückgang und hohen Verlusten. Was sonst noch alles drinsteht und was der Knackpunkt für die Existenz des Vereins ist, erklärt Juristin Susanne Hein-Reipen.

Viel wurde im vergangenen Jahr über die königsblauen Finanzen geschrieben, doch dass Schalke lange einen wirtschaftlich riskanten Kurs gefahren ist, war nicht erst durch die Coronapandemie und die erforderliche Landesbürgschaft für einen Betriebsmittelkredit zur Überbrückung der Geisterspiele zu erkennen. Am Ende eines wirtschaftlich und sportlich katastrophalen Jahres stehen dann auch der erwartete Rekordverlust (- 52,6 Mio. Euro) und ein Umsatzrückgang um über 100 Mio. Euro auf 174,6 Mio. Euro. Hinzu kommt ein dramatischer Anstieg des „nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrages“ auf 71 Mio. Euro.

Konzernabschluss/Konzernbericht

Höchster Verlust der Vereinsgeschichte

Der Verlust von 52,6 Mio. Euro „toppt“ den Rekordverlust aus dem Vorjahr noch einmal um das Doppelte:

JahrUmsatzGewinn/Verlust
2010187,9 Mio. €+ 2,6 Mio. €
2011224,2 Mio. €+ 4,8 Mio. €
2012189,8 Mio. €–  8,9 Mio. €
2013206,8 Mio. €+ 0,5 Mio. €
2014215,3 Mio. €+ 4,2 Mio. €
2015264,5 Mio. €+ 22,5 Mio. €
2016265,1 Mio. €+ 29,1 Mio. €
2017240,1 Mio. €–  12,2 Mio. €
2018350,4 Mio. €+ 40,5 Mio. €
2019275,0 Mio. €–  26,1 Mio. €
2020174,6 Mio. €– 52,6 Mio. €

Innerhalb von zwei Jahren wurde Schalke nicht nur sportlich, sondern auch finanziell aus der Championsleague in die Abstiegszone geführt…

Woraus resultiert der Umsatzrückgang – und was sind die Folgen?

Viele Mindereinnahmen sind ursächlich auf die Geisterspiele zurückzuführen: Alleine im Spielbetrieb wurden 26,4 Mio. € weniger erlöst, statt 35,6 Mio. Euro stehen dort nur noch 9,2 Mio. Euro zu Buche. Dem folgend ist auch das Catering deutlich eingebrochen und konnte nur noch 2,7 Mio. Euro statt 15,1 Mio. Euro einnehmen.

Die schmerzhaften Mindereinnahmen aus den medialen Verwertungsrechten (- 28,2 Mio. Euro auf 80,6 Mio. Euro) und dem Sponsoring (- 23,6 Mio. Euro auf 49,7 Mio. Euro) beruhen hingegen nur zu einem kleinen Teil auf dem Zuschauerausschluss; hier schlägt das Verfehlen des internationalen Geschäfts und das schlechte Abschneiden in der Bundesliga durch.  

Die Geisterspiele hat Schalke nicht selbst verschuldet, zudem sind davon auch alle anderen Clubs betroffen. Der sportliche Misserfolg hingegen ist ein „hausgemachtes“ Problem und ein klarer Wettbewerbsnachteil, der sich durch den mutmaßlichen Abstieg in die zweite Bundesliga noch verschlimmern wird.

Fun Fact am Rande: In der Konzernbilanz ist wortwörtlich zu lesen „Die Umsatzerlöse werden nahezu ausschließlich im Inland erzielt.“, obwohl Marketingsvorstand Alexander Jobst geradezu gebetsmühlenartig die Wichtigkeit der Internationalisierung betont.

Deutlicher Rückgang der Spielerwerte – wie viel Transfereinnahmen darf man einplanen?

Der Wert des Kaders („entgeltlich erworbene Spielerrechte“ ist ebenfalls um ein gutes Drittel von 91,5 Mio. Euro auf 60,3 Mio. Euro gefallen – leider zum größten Teil nicht aufgrund von lukrativen Verkäufen, sondern in erster Linie wegen nötiger Abschreibungen.

Da der gesamte Transfermarkt coronabedingt stark geschrumpft ist und zudem alle Konkurrenten um Schalkes finanzielle Lage wissen, mutet die Aussage, der Verein plane „im Abstiegsfall mit signifikanten Transfererlösen, die aufgrund des Umbaus des Kaders für die 2. Liga realisiert werden können. Diese Annahme untermauert der Vorstand durch in der Vergangenheit äußerst werthaltige Angebote für Spieler des aktuellen Kaders sowie aktuell bestehende Transferklauseln.“ ziemlich riskant an.

Personalaufwand 111 Mio. Euro – ist das viel oder wenig?

Der Personalaufwand des Vereins ist von 123,7 Mio. Euro auf 110,9 Mio. Euro gesunken – das ist zwar „die richtige Richtung“, aber angesichts der einbrechenden Umsätze leider nicht genug.

Die Gehälter des Lizenzspielerkaders sind der mit Abstand größte Einzelposten innerhalb des Gesamtpersonalaufwands sind – und leider trotz (!) zweimaligen Gehaltsverzichts und weitgehend ohne Erfolgsprämien noch auf einem Niveau, das ohne internationale Einnahmen kaum wirtschaftlich zu vertreten ist. Diese Kostenstruktur an die Umsätze und finanziellen Bedingungen der zweiten Liga anzupassen, ist die wichtigste der anstehenden Aufgaben.

Spielerverträge haben auf Schalke enorm viel Geld verbrannt (Foto: Hein-Reipen)

Negatives Eigenkapital 71 Mio. Euro – ist das schlimm…?

Zur Erläuterung: Eigenkapital weist das Verhältnis von Vermögen und Verbindlichkeiten aus – ist es negativ, übersteigen die Schulden das Vereinsvermögen, ist es positiv, sind mehr Werte als Verbindlichkeiten vorhanden. Minus 71 Mio. (schlimmer war es nur einmal im Jahr 2012, als 75,7 Mio. Euro negatives Eigenkapital zu Buche standen) sind daher schon eine klare Mahnung zur Vorsicht.

Dass Schalke trotzdem nicht zum Insolvenzrichter laufen muss, ist auf die vielzitierten „stillen Reserven“ zurückzuführen: Das ist Vermögen, das nicht bzw. mit einem deutlich geringeren Wert in der Bilanz steht und somit verhindert, dass eine bilanzielle Überschuldung zu einer tatsächlichen und damit zum Insolvenzfall wird. Im Profifußball sind das klassischerweise die Marktwerte selbst ausgebildeter bzw. ablösefrei verpflichteter Spieler. Der Hintergrund: Spieler tauchen als Wirtschaftsgüter auf zwei Beinen unter dem Posten „entgeltlich erworbene Spielerwerte“ mit ihren Anschaffungskosten in der Bilanz auf – hat ein Spieler aber nichts gekostet, steht dort nur ein symbolischer Euro, obwohl der tatsächliche Marktwert deutlich höher ist. Bei zugekauften Spielern hingegen wird die Transfersumme auf die Vertragslaufzeit abgeschrieben, die Gewinnspanne bei einem Weiterverkauf ist entsprechend niedriger bzw. kann sogar zu einem Verlust werden, wenn der Spieler durch schlechte Leistungen oder Verletzungen auf Schalke an Wert eingebüßt hat.

Die Realisierung „stiller Reserven“ führt regelmäßig zu bilanziellen Gewinnen und hat beispielsweise durch die Verkäufe von Neuer, Draxler und Leroy Sané die Bilanzen 2012, 2015 und 2016 gerettet. 2017 wurde kein Absolvent der Knappenschmiede verkauft, prompt stand ein Verlust zu Buche, 2018 sorgte Thilo Kehrers für schwarze Zahlen, 2019 waren die Zahlen ohne Transfers wieder tiefrot.

Drastischer kann man die sportliche und wirtschaftliche Wichtigkeit der Knappenschmiede für den Verein nicht mehr verdeutlichen – dementsprechend hat Christina Rühl-Hamers den Etat der Knappenschmiede auch explizit vom verordneten Sparkurs ausgenommen.

Verbindlichkeiten moderater gestiegen als befürchtet – Kurzfristigkeit trotzdem gefährlich

Die Gesamtverbindlichkeiten sind von 197,9 Mio. Euro auf 216,9 Mio. Euro, davon 149 Mio. Euro verzinsliche Finanzverbindlichkeiten, gestiegen – an diesem Punkt war nicht zuletzt aufgrund des mit der Landesbürgschaft abgesicherten Betriebsmittelkredits Schlimmeres erwartet worden. Ohne Corona, so Christina Rühl-Hamers, „hätten wir die Verbindlichkeiten auf deutlich unter 200 Millionen senken können.“

Von diesen Verbindlichkeiten ist nach dem Verbindlichkeitenspiegel der überwiegende Teil mittelfristig innerhalb von einem bis fünf Jahren zurückzuzahlen – aber rund 83,7 Mio. Euro haben eine Restlaufzeit von unter einem Jahr, werden also in 2021 fällig, angesichts der sinkenden Einnahmen eine absolute Herkulesaufgabe.

Neuauflage der Anleihe

Ein Baustein zur Bewältigung soll eine neue Anleihe zur Refinanzierung der auslaufenden Anleihe sein, bei der Inhaber der „alten“ Anleihe ein freiwilliges Umtauschangebot erhalten. Freiwerdende Anteile können Mitglieder und Fans dann über die Homepage des Vereins zu zeichnen – ein vernünftiger Schritt.

Baustopp Berger Feld II

Angesichts der Zahlen ebenfalls sinnvoll ist der Baustoppfür das Projekt Berger Feld II: Die Teilprojekte „Tor auf Schalke“ und das Gebäude mit Profi- und Nachwuchsleistungszentrum und der neuen Geschäftsstelle werden nicht mehr umgesetzt.

Die Trainingsplätze und das Parkstadion sind bereits fertig (Foto: Hein-Reipen)

Vereinsstatus kommt auf den Prüfstand

In den Vorjahren wurde unter „Ziele und Strategien“ regelmäßig der Vereinsstatus als „werthaltiges Alleinstellungsmerkmal“ gelobt – diesmal heißt es „Aktuell ist der FC Schalke 04 einer von insgesamt noch vier eingetragenen Vereinen in der Bundesliga (neben 1. FSV Mainz 05, SC Freiburg und Union Berlin). Zur Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit muss die strategische Ausrichtung der vergangenen Jahre überprüft werden.“

Dies ist angesichts der Debatten des letzten Jahres nicht verwunderlich, ändert aber nichts an der auch von Christina Rühl-Hamers bei „mitgeredet digital“ klar benannten Tatsache, dass nicht die Rechtsform, sondern dauerndes Über-die-Verhältnisse-Leben die Ursache der finanziellen Misere ist. Schalke hatte bessere Einnahmen als sehr viele Wettbewerber, hat aber die Millionen teilweise haarsträubend leichtfertig verpulvert.

Schalke plant mit dem Abstieg – und „signifikanten Transfererlösen“

Christina Rühl-Hamers hat sich „kaufmännische Vernunft“ auf die Fahne geschrieben – künftig soll kein Geld mehr ausgegeben werden, das nicht da ist. Dazu passt, dass angesichts der desaströsen Tabellenlage mit dem Abstieg und einer auch bei Wiederzulassung der Zuschauer geringeren Auslastung geplant wird – ob allerdings die erhofften „signifikanten Transfererlöse“ zur drastischen Senkung der Personalkosten realisiert werden können, darf wie bereits ausgeführt angesichts der gezeigten Leistungen und dem aufgrund der Pandemie stark geschrumpften Transfermarkt und der teilweise absurd hohen Verträge bezweifelt werden.

Abschlussprüfer mahnt: Bestand des Unternehmens Schalke gefährdet

Dieses Risiko sehen offensichtlich auch die unabhängigen Abschlussprüfer der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, denn sie attestieren:

Wesentliche Annahmen der zugrunde gelegten Planung für die Saison 2021/2022 sind die Realisation von signifikanten Transfererlösen und erheblich reduzierter Personalkosten im Lizenzspielerbereich, annähernd auf 2. Liga Niveau, die Generierung von zuschauerabhängigen Erlösen (insbesondere Catering und Ticketing) aus einer Rückkehr zum normalen Stadionbetrieb sowie die Realisierung noch zu kontrahierender Sponsorenerträge. (…) Für den Fall, dass die auf Basis dieser Annahmen geplanten Zuflüsse von finanziellen Mitteln nicht realisiert werden können, beabsichtigen die gesetzlichen Vertreter zusätzliche liquiditätsgenerierende Maßnahmen, wie die Verwertung von Rechten und/oder zusätzlichen Finanzierungsmaßnahmen. Diese erfordern teilweise ebenfalls die Zustimmung der gegenwärtigen Kreditgeber. Dies deutet auf das Bestehen einer wesentlichen Unsicherheit hin, die bedeutsame Zweifel an der Fähigkeit des Vereins zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen kann und die ein bestandsgefährdendes Risiko im Sinne des § 322 Abs. 2 Satz 3 HGB darstellt.

Damit steht erstmalig schwarz auf weiß in der Konzernbilanz, was bislang immer hinter blumigen Formulierungen und Erfolgsmeldungen versteckt wurde: Die Kosten müssen DRINGEND runter, sonst gehen finanziell die Lichter aus. Ohne Transfererlöse und drastisch reduzierte Kaderkosten läuft Schalke Gefahr, dass hohen Ausgaben und Tilgungen nicht mehr aus den gesunkenen Einnahmen gestemmt werden können. Äußerst hilfreich wäre natürlich auch die zumindest teilweise Wiederzulassung von Zuschauern und alles, was die Einnahmenseite wieder verbessert.

An dieser Stelle deshalb Peter Knäbel und Christina Rühl-Hamers gutes Gelingen und viel Erfolg für den Kaderumbau!