Schalke – Hannover 3:2: Schalke kämpft sich aus der Krise und zurück in die Herzen der Kurve

Schalke – Hannover 3:2: Schalke kämpft sich aus der Krise und zurück in die Herzen der Kurve

28. Oktober 2023 0 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 zeigt sich beim ersten Heimspiel unter Karel Geraerts insbesondere kämpferisch klar verbessert und fährt einen wichtigen 3:2 (1:0)-Heimsieg ein. Nach dem Schlusspfiff gibt’s einen dicken Applaus von den zuletzt enttäuschten Fans und die Aufforderung zum weiteren „Kämpfen und Siegen“. Susanne Hein-Reipen berichtet…

Ruhig ist es auf Schalke bekanntlich selten, aber so viel Theater und Schwarzmalerei wie in der vergangenen Woche zerrt selbst an chaosgewöhnten königsblauen Nerven. Entsprechend groß ist die Skepsis vor dem Duell mit den deutlich besser platzierten Hannoveranern, die mit nur einer Niederlage aus den vergangenen acht Spielen anreisen. Nicht nur die Fans haben Bauchschmerzen, auch die Spieler strahlen bei der Platzbegehung wenig Selbstbewusstsein aus.

Arsch aufreißen für Schalke!

Der Empfang für die Mannschaft zum Aufwärmen fällt deutlich verhaltener aus als sonst, Pfiffe bleiben allerdings trotz der miesen Leistung in Karlsruhe aus. Unterdessen verticken die Hugos vor dem Block stattliche Aufkleberpakete für 3 € – und zeichnen für ein großes Banner mit der unmissverständlichen Botschaft „Arsch aufreißen für Schalke!“ verantwortlich.

Die Ersatzbänke haben neue Plexiglasdächer bekommen, wobei offenbleibt, ob diese die Spieler gegen etwaige Regentropfen oder eher Wurfgeschosse schützen sollen. Im Fanspiel trennen sich der Schalke Fanclub UK und Königsblau Vlaanderen mit 2:2; ansonsten gibt es im Vorprogramm neben den Ergebnissen der Knappenschmiede- und Mädchenmannschaften und der Begrüßung eines neuen lebenslangen Mitglieds die durchaus erfreuliche Heimstatistik gegen die 96er und die Begrüßung einiger verdienter „alter Kämpen“ wie Huub Stevens und Norbert Nigbur.

Bei der Aufstellung der Gäste gibt’s ein Wiedersehen mit den Exschalkern Neumann und Teuchert, dann wird das Steigerlied geschmettert. Karel Geraerts hat die Schalker Startelf gegenüber der Vorwoche einmal kräftig durchgemischt und beginnt mit Fährmann, Kalas, Kaminski, Murkin, Matriciani, Tempelmann, Schallenberg, Mohr, Lasme, Drexler und Karaman. Kapitän Terodde findet sich zunächst ebenso auf der Bank wieder wie die beiden „jungen Wilden“ Ouédraogo und Kabadayi.

Viel Einsatz, wenig Selbstvertrauen

Beim Vereinslied „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“ gibt’s wie immer jede Menge blauweißer Schals und Fahnen, trotz der zuletzt sportlich sehr unbefriedigenden Darbietungen ist die Veltins-Arena mit 62.207 Zuschauern ausverkauft. Die Mannschaften laufen ein und schwören sich auf das Match ein, lautstark unterstützt von ihren Kurven mit „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen“, „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und „96 olé-olé“.

Dann starten beide Teams engagiert in das Spiel, wobei den Schalkern die Verunsicherung deutlich anzumerken ist. Nach einigem Hin-und-Her hat Lasme nach schöner Vorarbeit von Karaman die erste Einschussmöglichkeit für Schalke, doch Zieler bleibt Sieger im Eins-gegen-eins (8.). Die Nordkurve stimmt „Geh‘n mit dir auf jede Reise“ an, an der Seitenlinie macht Geraerts beim aktiven Coachen etliche Meter.

Hannover kommt durch zwei Ecken und Schüsse von Halstenberg und Teuchert ebenfalls zu ersten Torannäherungen, doch Fährmann kann klären (20.). Der Gästeblock bereitet sich derweil mit „Wer nicht hüpft, der ist Braunschweiger“ mental auf das Derby vor, die Nordkurve performed „Auf geht‘s Schalke schieß“ ein Tor“ und „Für deine Farben leben und sterben wir“. Bereits nach gut zwanzig Minuten schickt Geraerts die Ersatzspieler zum Warmmachen hinter das Tor.

Umjubelte Führung vor der Pause

Murkin, neben Tempelmann Aktivposten im Schalker Spiel, sieht Gelb wegen Ziehens gegen Voglsammer. Hannover wird nun stärker und bringt insbesondere Mohr mehrfach in Bedrängnis, Fährmann klärt, was zu klären ist. „Wenn er jetzt noch Spielaufbau könnte“ seufzt ein Schalker in Block M, als ein weiterer Abschlag des Urgesteins nahe der Mittellinie im rechten Seitenaus landet.

Die Nordkurve supportet mittlerweile mit dem Wechselgesang mit der Südkurve, „Schalke, nur Du alleine“ und „Vorwärts FC Schalke, schieß‘ ein Tor für uns“, doch zunächst riecht es nach einem torlosen Remis zur Halbzeit. Eine weitere Schalker Ecke bringt nichts ein – aber dann reißt es auch die bis dahin eher friedlich-passiven anderen Tribünen von den Sitzen: Matriciani flankt von der rechten Seite in den Strafraum, Halstenberg und Karaman steigen hoch und Lasme ist der lachende Dritte, der den Ball unbedrängt volley zum 1:0 einnetzen kann (42.). Jaaaaaaaaaaa!!!

Außer einem Vorstoß von Voglsammer, der an Fährmann und der Fahne des Linienrichters zerschellt, passiert im ersten Durchgang inklusive zweier Minuten Nachspielzeit nichts mehr. Die Pausenführung trägt den Spielern vernehmbaren Applaus und den Schalkern ein gutes Gefühl ein. In der Fanbox wetteifern Sänger jeglichen Alters und Talents um die Aufmerksamkeit des Publikums, dann plaudert Thomas Kirschner für „Fanbelange aktuell“ über das anstehende Freundschaftsduell beim 1. FC Nürnberg. Geplant sind zahlreiche gemeinsame Aktionen von Rotbiertasting und Führungen durch die historischen Felsengänge oder das Reichsparteitagsgelände über Fantreffen am Clubhaus bis zu Stadiontouren und einer großen Choreo mit Schalverkauf.

Kalte Dusche nach Wiederanpfiff

Beide Mannschaften kommen personell unverändert wieder auf den Rasen, die Nordkurve schickt einen akustischen Gruß nach Enschede, dann folgen die Attacke und „Stadion geh’n, im Pappbecher Bier…“.

Vorstöße von Drexler (50.) und Lasme (51.) werden entschärft – und dann ist es passiert: Köhn klaut Matriciani den Ball und bedient Leopold im Strafraum, wo die Schalker Abwehr offenbar noch nicht ganz wach ist. Leopold kann den Ball seelenruhig annehmen und sich die Ecke aussuchen und erzielt mit einem platzierten Linksschuss das 1:1 (52.).

Der Gästeblock freut sich und schickt ein unüberhörbares „Sechsundneuuuuunzig“ herüber; den Schalkern geht die Düse, dass ihre Mannschaft jetzt wieder das große Flattern bekommt. Sofort wird lautstark „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ und „Immer wieder S 04“ angestimmt; mit einem Kopfball von Drexler (55.) und einer schönen Ballstafette über Tempelmann und Mohr zu Lasme (56.) geht es weiter.

Doppelschlag erlöst alle Schalker

Kaminski sieht Gelb für eine Grätsche gegen Teuchert (63.), dann kommt als erster Wechsel Ouédraogo für Drexler (64.). Einen Vorstoß der Gäste durch Dehm später ist auch für Torschütze Lasme Schluss, er verlässt für Terodde das Feld (71.).

Nur eine Minute später macht sich Joker Ouédraogo bereits bezahlt: Vor dem Strafraum legt er präzise für Tempelmann auf, der aus 20 Metern mit viel Karacho abzieht, so dass der Ball neben dem verdutzten Zieler zum 2:1 einschlägt (72.). Der Torschütze rast vor die Kurve, tritt in Kung-Fu-Manier die Eckfahne um und brüllt seine Erleichterung heraus, umjubelt gleichermaßen von seinen Mitspielern wie den Fans.

Nunmehr reagiert auch Leitl und wechselt Tresoldi und Muroya für Schaub und Dehn ein; Schalke lässt sich dadurch aber nicht beirren.  Murkin blockt im Mittelfeld gegen Voglsammer, das Leder landet bei Karaman, der cool wie ein Eiswürfel in den Strafraum marschiert und in die rechte Ecke vollendet (77.). Das 3:1 bringt die Nordkurve endgültig zur Eskalation, „Schalke ich bin für dich geboren“ und „Wir lieben alle nur den FC Schalke“ sind vermutlich auch noch in Lüdenscheid zu hören.

Zweifelhafter Elfer ändert nichts mehr am Heimsieg

Mit Ouwejan für Mohr und einem Dreifachwechsel bei Hannover schicken beide Trainer noch einmal frische Spieler ins Rennen, die Nordkurve stimmt inbrünstig den Mythos vom Schalker Markt an. Als kleiner Störenfried in der Glückseligkeit erweist sich Schiedsrichter Timo Gerach, der für einen normalen Zweikampf zwischen Fährmann und Voglsammer, bei dem der Schalker Keeper klar den Ball trifft, auf Gelb und Elfmeter befindet (88.). Diese Chance lässt sich Halstenberg nicht entgehen und verkürzt mit dem Ende der regulären Spielzeit auf 3:2 (90.).

Doch ohne Zittern geht es bekanntlich nicht und so gibt es sechs Minuten Nachspielzeit obendrauf, die jedoch außer mit gelben Karten für Kunze und Ouédraogo ohne Herzkasper über die Runde gebracht werden. SIEG!

„Ihr könnt nach Hause fahr’n“ schallt den Hannoveranern entgegen, die sich schnell bei ihrer Kurve bedanken und in der Kabine verschwinden.

Ganz wichtige Punkte für Tabelle und Moral

Für Schalke bedeuten die Punkte 8, 9 und 10 den Anschluss an das untere Mittelfeld – und wichtiger noch, das Ende der erschreckenden Abwärtsspirale der letzten 4 Spiele. Wie bereits in Karlsruhe trommelt Geraerts Mannschaft und Trainerteam kurz am Mittelkreis zusammen, bevor es Richtung Kurve geht.

Dort werden die Spieler von einer nahezu vollbesetzten Kurve mit Fahnen und Schals und „Schalalala, Schalke 04“ mit sattem Applaus willkommen geheißen, kein Vergleich mit dem schweigenden „Liebesentzug“ des halbleeren Blocks in Karlsruhe. „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ mahnt aber, dass die heutige kämpferisch couragierte Leistung keine Eintagsfliege bleiben darf. Abheben verboten!

„Hoffentlich hat sich die Mannschaft heute richtig Selbstvertrauen geholt und zeigt den ganzen Heckenschützen, was eine Harke ist!“ spricht ein Schalker bei der Ehrenrunde zu den Klängen von „Zeig‘ mir den Platz in der Kurve“ aus, was viele denken. Die Leistung war nicht fehlerfrei, aber ein guter, ein Hoffnung machender Neuanfang, der gerne bei den Gastspielen auf St. Pauli (Dienstag 31.10./DFB-Pokal) und in Nürnberg (Samstag, 4.11.) fortgesetzt werden darf.