Schalke – Bremen 0:1: Auch umstrittener Torwartwechsel und Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit können die Negativserie nicht stoppen

Schalke – Bremen 0:1: Auch umstrittener Torwartwechsel und Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit können die Negativserie nicht stoppen

30. Mai 2020 1 Von Susanne Hein-Reipen

Schalke 04 taumelt seit der schmerzhaften 0:5-Niederlage bei Bayern München seit nunmehr 11 Spielen sieglos durch die Bundesliga. Im Spiel gegen den Tabellenvorletzten aus Bremen verpuffte auch ein kurzzeitiger Hoffnungsschimmer nach der Pause. Susanne Hein-Reipen leidet wie viele Fans auf dem Sofa Höllenqualen…

Schalkefans bekommen glänzende Augen, wenn sie an den 17. Dezember 2011 denken. Mit einem verdienten 5:0 fegte Schalke seinerzeit Werder vom Platz. Senor Raul erzielte einen Hattrick, Tim Wiese im Tor der Bremer musste ausgerechnet an seinem 30. Geburtstag höhnische „Zum Geburtstag 5 Stück…“-Gesänge aus der Nordkurve ertragen.

Doch mit einem solchen Schützenfest rechnet derzeit auch der größte königsblaue Optimist in seinen kühnsten Träumen nicht, obwohl Bremen Tabellenvorletzter ist. Die Heimbilanz gegen die „Fischköppe“ in der jüngeren Vergangenheit ist eher mau, Performance und Bilanz der Knappen seit dem Rückrundenauftakt zum Weinen.

Vertrauensbruch von David Wagner

Und als wären 10 sieglose Spiele in Folge nicht schon schlimm genug, bricht Chefcoach David Wagner auch sein gerade einmal zwei Wochen altes Versprechen, dass Markus Schubert für den Rest der Saison im Tor bleibt, wenn er sich nicht verletzt. Als die Aufstellung bekanntgegeben wird, bestätigt sich, was bereits seit der Pressekonferenz gemutmaßt wurde: Im Tor steht wieder Bald-Bayer Alexander Nübel, der nach seinen groben Patzern in Köln Anfang März abgesägt wurde.

Die Personalie führt umgehend zu erbitterten Diskussionen in den königsblauen Foren und Netzwerken. Keiner bestreitet, dass Schubert seit dem Re-Start einige unglückliche Aktionen fabriziert hat, aber die Mehrheit der Fans ist der Auffassung, dass dies für so ziemlich alle Spieler in Königsblau gilt – und es wichtiger ist, Schubert statt Nübel aufzubauen. Andere finden, dass in der gegenwärtigen prekären Situation mit der Restchance auf die Euroleague-Qualifikation der aktuell Stärkere spielen müsse.

Auch Bastian Oczipka und Matija Nastasic, beide sonst unangefochtene Stammspieler, müssen draußen bleiben. Vor Nübel steht eine Dreierkette mit Todibo, Sané und Kabak; davor McKennie und Schöpf. Auf Außen stehen links Miranda und Caligiuri, rechts agiert Kenny hinter Matondo. Einzige echte Sturmspitze ist Gregoritsch.

Steht auf, wenn Ihr Schalker seid!

Das Vereinslied „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“, sonst immer der erste Stimmungshöhepunkt vor dem Anpfiff und Garant für abertausende hochgereckte Schals, verhallt in der leeren Arena. Was die Nordkurve wohl zur „Leistung“ der letzten Partien und dem nunmehr vierten (!) Torwartwechsel der Saison sagen würde…?

Das Spiel beginnt erwartet vorsichtig, aber bereits in der 4. Minute räumt Gregoritsch Vogt rüde ab und sieht gelb. In der Folgezeit erspielen sich die Gäste zwei Ecken, die jedoch keine Gefahr für das Schalker Tor bringen; auch der erste echte Torschuss des Spiels geht auf das Konto des SVW (Klaassen, 13.).

Schalke findet in der ersten Viertelstunde offensiv schlicht nicht statt und überlässt den Gästen den Ball. Steht endlich auf, wenn Ihr Schalker seid!

Bremen bestimmt das Spiel und geht in Führung

Bremen bleibt am Drücker und hat in den ersten 20 Minuten 82 Prozent Ballbesitz. Nur „gut“, dass die Nordkurve nur auf dem Sofa verzweifelt ins Kissen beißen kann, sonst würde jetzt wohl schon „wir woll’n Euch kämpfen seh’n!“ durch die Arena schallen.

Langkamp bekommt Gelb für ein Foul an McKennie. Eine der wenigen gelungenen Schalker Aktionen geht von Todibo aus, der mehrere Bremer aussteigen lässt, aber seine Flanke findet keinen Abnehmer. Kurze Zeit später schubst die Leihgabe vom FC Barcelona Sargent weg und meckert Schiedsrichter Zwayer an. Ebenso logische wie überflüssige Konsequenz: Gelb. Den fälligen Freistoß schnappt sich Nübel.

Schalke versucht es mit ein paar Bällen der Marke „hoch und weit bringt Sicherheit“, kann Pavlenka im Gästetor aber nicht in Bedrängnis bringen. Dafür schlägt es hinter Nübel ein: Todibo verspielt den Ball, der über Klaassen und Rashica bei Bittencourt landet. Dieser versenkt ihn mit einem sehenswerten Schlenzer von der Strafraumgrenze ins linke obere Eck, 0:1 in der 32. Minute. An der Seitenlinie steht ein reg- und ratloser David Wagner.

Fünf Minuten später gibt es tatsächlich den ersten Schalker Torschuss zu bestaunen, aber McKennies Kopfball nach Miranda-Flanke verfehlt das Tor. Auf der Gegenseite segelt ein Schuss von Bittencourt über das Gehäuse. McKennie kassiert für ein Foul an Friedl seine 5. gelbe Karte und muss bei Union Berlin zuschauen. Die dreiminütige Nachspielzeit verpufft ohne nennenswerte Aktion – wären Zuschauer in der Arena, ginge es jetzt mit einem gepfefferten Pfeifkonzert zum Pausentee. Der Aufsichtsrat sitzt mit königsblauen Masken vor der Loge von Tönnies und guckt sich das Trauerspiel an.

Aufbäumen in Halbzeit Zwei

David Wagner reagiert und bringt Benito Raman (für Matondo) und Bastian Oczipka für den gelb-rot gefährdeten Todibo; bei Bremen kommt Osako für den angeschlagenen Bittencourt. Und die erste Aktion gehört tatsächlich den Schalkern, aber McKennie zieht nach einem Sprint durchs Mittelfeld zu überhastet ab.

Und Schalke scheint gute Vorsätze zu haben: Der agile Miranda flankt zu Schöpf, drei Bremer stoppen die Schalker 28. Kurze Zeit danach marschiert Miranda auf links und kann von osako nur unfair gebremst werden. Der folgende Freistoß von Caligiuri landet bei Gregoritsch, aber der Winkel ist zu spitz. Kurze Zeit später hat McKennie großes Glück, dass Zwayer ihn nach einem Ellbogencheck gegen Osako nicht duschen schickt, Wagner ersetzt ihn sicherheitshalber durch Boujellab.

Bei einem Kopfball von Raman kann Pavlenka retten, Gregoritsch semmelt eine Ecke weit über den kasten. Aber immerhin: Schalke hatte in den ersten zehn Minuten der zweiten Halbzeit bereits ein Vielfaches an Offensivaktionen als im gesamten ersten Durchgang.

Schalke läuft die Zeit davon

Mit Ahmed Kutucu für Gregoritsch kommt eine weitere frische Offensivkraft, Bremen tauscht Rashica gegen Selke. Osako kassiert Gelb für ein Foul gegen Miranda. Bremen verlegt sich jetzt aufs Mauern und ersetzt Stürmer Sargent durch den defensiven Bargfrede. Wagner schöpft das Wechselkontingent voll aus und schickt auch noch Guido Burgstaller (für Miranda) auf den Rasen.

Burgstaller wühlt sich gleich in den Bremer Strafraum, wird aber sofort von gleich vier Grün-Weißen ausgebremst. Boujellab steigt Klaassen schwungvoll auf den Fuß und sieht gelb. Der Schalker Angriffsschwung der ersten Minuten nach der Pause ist wieder etwas erlahmt, beide Mannschaften neutralisieren sich weitgehend.

Schrecksekunde für königsblaue Fernsehzuschauer: Eggestein bedient Osaka, der völlig frei vor Nübel auftaucht, angesichts des herausstürmenden Keepers aber für Klaassen querlegen möchte und an dessen „Leibwächter“ Oczipka scheitert.

Für diverse kleine Verletzungspausen und Diskussionen gibt es vier Minuten obendrauf, Kohfeldt tauscht den erst nach der Pause eingewechselten Osako gegen Groß, um noch ein paar Sekunden von der Uhr zu nehmen. Im Mittelfeld gibt’s ein giftiges Duell zwischen Kabak und Selke, das beiden Kontrahenten Gelb einträgt.

Vorhang auf für ein kleines bisschen Horrorshow

Beim Schlusspfiff reißen die Bremer die Arme hoch, die Schalker wirken komplett frustriert. Als einzige Mannschaft gelang Schalke in den nunmehr 4 Spielen seit dem Re-Start kein Punkt und nur ein einziger Treffer. Zusammen mit der Negativserie vor der Pause sind es nunmehr 11 Spiele ohne Dreier bei 5:25 Toren und der letzte Platz in der Rückrundentabelle. Von Platz 5 nach dem Auftaktspiel gegen Gladbach ging es runter auf Platz 10; der 1. FC Köln kann durch einen Sieg am Montag ebenfalls noch vorbeiziehen.  

Und die Hoffnung, dass David Wagner einen Weg aus der Krise findet und das Vertrauen der Mannschaft genießt, bekommt angesichts des Dargebotenen von Personalentscheidungen, Auftreten und Taktik große Risse – quo vadis, Schalke?

Die verwaiste Veltins-Arena (Foto: Hein-Reipen)