Schalke 04 und der Big-Points-Fluch: Tabellenspitze in der Nachspielzeit vergeigt und trotzdem gefeiert

Schalke 04 und der Big-Points-Fluch: Tabellenspitze in der Nachspielzeit vergeigt und trotzdem gefeiert

6. Oktober 2019 3 Von Susanne Hein-Reipen

Für knapp 20 Minuten grüßt Schalke 04 in der Blitztabelle von Platz 1, dann trifft Jonas Hector in der 90.+2. Minute zum nicht gänzlich unverdienten 1:1-Ausgleich. Der königsblaue Frust weicht jedoch nur Minuten später dem gesunden Realismus der Nordkurve: Dass Schalke zu den fünf punktgleichen Mannschaften an der Spitze gehört, hätten vor der Saison alle freudig unterschrieben. Susanne Hein-Reipen über alles, was auf Schalke so los war…

Es war das Schalker Aufregerthema der letzten zwei Wochen: Die bislang kostenlosen Arenaparkplätze A bis E sind künftig für alle, die nicht mindestens zwei Stunden vor Spielbeginn anreisen, gebührenpflichtig – und die 5 Euro je Auto sollen bei der Ausfahrt erhoben werden. Die Auffahrt funktioniert problemlos, freundliche Herren reichen einen kleinen himmelblauen Ausfahrschein in den Wagen. Die leise bange Frage bleibt: Wie funktioniert das bei der Ausfahrt…?

Wenn alle für uns spielen…

Die Musik am Clubheim auf Parkplatz 7 rollt teilweise die Fußnägel hoch: „Trifft denn der Ebbe Sand heute noch, Sand heute noch, Sand heute noch…? Jaaaa, er trifft noch!“ auf die Melodie vom Holzmichel grenzt an Folter. Die Stimmung ist trotzdem prima – und verbessert sich mit nahezu jedem Treffer der Nachmittagsspiele, denn alle spielen für Schalke. Bayern verliert, Leipzig, Lüdenscheid und Freiburg spielen nur Remis – mit einem eigenen Sieg wäre Schalke Tabellenführer! Doch Königsblaue wissen: Genau diese Konstellation war in der Vergangenheit eine fast 104prozentige Garantie dafür, diese Steilvorlage mit Anlauf zu versemmeln…

Hinzu kommt: Der Effzeh lag uns in den letzten Jahren nicht wirklich gut; die letzte Tabellenführung war gar noch unter Felix M. Optimistischere Gemüter verweisen darauf, dass die Mannschaft unter David Wagner bislang eine erfreulich gute Mentalität zeigt und schließlich auch kaum jemand mit dem verdienten Sieg bei Tabellenführer RB Leipzig gerechnet habe.

Nordkurvenkalender gehen weg wie warme Semmeln

In der mit 61.883 Zuschauern – einige Plätze neben dem Gästeblock mussten aus Sicherheitsgründen gesperrt werden – ausverkauften Arena findet der druckfrische Nordkurvenkalender 2020 reißenden Absatz: Wie immer gehen 75 % des Erlöses an einen wohltätigen Zweck in Gelsenkirchen, 25 % wandern in die Choreokasse. Tolle blaue Stoffbeutel mit „Glückauf, Kumpel- und Malocherclub“ gibt’s dazu.

Das Vorprogramm verläuft ohne größere Auffälligkeiten, bis sich beim Wettspiel einer der beiden Kontrahenten als eingefleischter Effzeh-Fan „aus Kölle, der schönsten Stadt der Welt!“ outet. Quatscher Dirk trägt es mit Fassung; die Nordkurve findet, das sei eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Gäste „freundlich“ willkommen zu heißen.  „Cologne, Cologne, die Sch**** vom Dom“ und „H*rensöhne FC“ schallen zur mit gut 5.000 Rotweißen vollbesetzten Gästekurve hinüber.

David Wagner kann aus dem Vollen schöpfen

Danach wird das Liedgut wieder deutlich freundlicher, das Steigerlied und „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich!“ werden wie immer voller Inbrunst und mit vollem Schal- und Fahneneinsatz gesungen. Dann folgt die Schalker Aufstellung: Es gibt zum ersten Mal seit gefühlt 19,04 Jahren keine verletzungs- oder sperrenbedingten Ausfälle bei Königsblau, Chefcoach David Wagner hat die Qual der Wahl aus allen Spielern. Er entscheidet sich zunächst für Nübel, Kenny, Stambouli, Sané, Oczipka, Serdar, Mascarell, Caligiuri, Harit, Burgstaller und Uth.

Zum Einlauf der beiden Teams werden in der Nordkurve fünf riesige Doppelhalter mit dem Schalker Wappen hochgehalten, die von zahlreichen anderen Fahnen und einem kräftigen blau-weißen Konfetti-Regen flankiert werden. Ein tolles Bild mit minimalem Aufwand! Als musikalische Untermalung dient „FC Schalke 04 olé olé“ und „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“.

Kämpferisch okay, spielerisch ausbaufähig

Auch die Gästekurve lässt sich nicht lumpen und feiert den „Ersten Fußballclub Köööln“, wird jedoch bald von einem lautstarken „Eine Stadt erstrahlt in Blau“ und “Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen!“ übertönt. Auf dem Rasen geht es zunächst etwas vorsichtiger zur Sache, Abtasten ist angesagt. Auf die erste nennenswerte Chance müssen die Fans fast eine Viertelstunde warten, dann setzt Mark Uth nach einer Ecke einen Kopfball deutlich über das vom grellgelb gewandeten Timo Horn gehütete Gästetor. Auch ein Distanzschuss von Suat Serdar wird Beute des Kölner Keepers.

Die Nordkurve supportet unermüdlich weiter, „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“, die Ruhrpottkanaken und „Schalke! Kämpfen! Siegen!“ sind unüberhörbar. Unüberhörbar sind auch die „tierischen“ Empfehlungen an Kainz, sich zu erheben, nachdem dieser in einem Zweikampf mit Jonjoe Kenny zu Boden gegangen und der junge Engländer eine gelbe Karte gesehen hat. Colooogne, Colooogne…

In der 20. Minute stockt dem königsblauen Publikum der Atem, denn auf der linken Seite stürmen direkt mehrere Kölner in den Schalker Strafraum und Ehizibue kommt nahezu frei zum Kopfball – doch Alexander Nübel steht goldrichtig und lenkt den Ball über die Querlatte. Puh! Erleichtert geht es in eine Schalalalaaaa-Schalke-Schleife.

Die Karten sitzen locker

Das Schiedsrichtergespann um Tobias Welz pfeift nach Ansicht des Publikums etwas zu kleinteilig, als nächstes holt sich der Kölner Debütant Katterbach für ein beherztes Einsteigen gegen Daniel Caligiuri die gelbe Pappe ab. Die Nordkurve intoniert derweil „Geh‘n mit dir auf jede Reise“. Nachdem Terodde und Serdar hart aneinander gerasselt sind, nutzt David Wagner die kurze Behandlungspause für intensive Anweisungen und textet sichtlich erregt auf Uth und Benjamin Stambouli ein.

Nach einer guten halben Stunde wird Amine Harit an der Außenlinie von den Beinen geholt, den fälligen Freistoß übernimmt Caligiuri – und Hector verlängert ihn fast ins eigene Netz. „Is‘ halt nich‘ Hertha“ murmelt ein Schalker offenbar im Gedenken an die zwei Eigentore der Hauptstädter.

Beide Mannschaften schenken sich nichts, zündende spielerische Ideen oder weitere Großchancen bleiben jedoch Mangelware. Auch Serdar und Ehizibue sehen noch Gelb; die beiden Kurven nutzen die Zeit für gegenseitige Komplimente. Das liebevolle „Ihr werdet nie deutscher Meister“ des Effzeh-Anhangs wird mit einem nicht minder zärtlichen herzhaften „Absteiger, Absteiger!“ beantwortet. Die fünfte Gelbe des ersten Durchgangs verdient sich Sané, der genau vor der Nase von Welz einen Klammerblues mit Schaub versucht.

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