Leipzig – Schalke 4:2: Fünfter Abstieg und trotzdem der geilste Club der Welt!

Leipzig – Schalke 4:2: Fünfter Abstieg und trotzdem der geilste Club der Welt!

28. Mai 2023 0 Von Susanne Hein-Reipen

Schalke 04 verliert das letzte Saisonspiel bei RB Leipzig mit 4:2 und steigt zum fünften Mal in die zweite Bundesliga ab. Was dann passiert, wird in die Annalen der Bundesliga eingehen: Die über 10.000 mitgereisten Schalkefans feiern trotz Trauer und Tränen die Mannschaft und den Zusammenhalt und beschwören „Schalke ist der geilste Club der Welt“ und „Der S 04 steigt wieder auf!“ Susanne Hein-Reipen über einen denkwürdigen Nachmittag im emotionalen Ausnahmezustand…

Leipzig ist voll bis unters Dach, denn neben dem Bundesligafinale steigen in der Stadt auch noch das große Wave-Gothic-Treffen und mehrere Konzerte. Die königsblaue und die schwarze Fraktion bestaunen sich gegenseitig, aber alles bleibt friedlich – oder um es mit einem stattlichen Schalker aus Herne auszudrücken „Schwatt iss‘ okay, nur gelb-schwatt geht gar nich‘!“

Von Bullen und Polizisten

Die drittgrößte Gruppe noch vor den roten Bullen dürften die Polizisten sein, die mit einem gigantischen Aufgebot überall massive Präsenz zeigen und dem Mannschaftsbus von RB den Weg durch die zum Gästeeingang pilgernden Schalker bahnen. Doch auch hier bleibt alles friedlich, außer einem dezenten „alle Bullen sind Schweine“ verzichten beide Seiten auf Provokationen, die Polizeipferde grasen gemütlich auf der saftigen Wiese.

Hinter den gründlichen, aber fairen Einlasskontrollen warten gefühlte 1.904 Stufen, die Handläufe bereits mit zahlreichen Schalker Stickern geschmückt. Die Gästeblöcke sind schon früh knüppelvoll, dementsprechend lautstark fällt die Begrüßung für den rechtzeitig fürs Saisonfinale wieder genesenen Ralle Fährmann aus. Danach spielt die Stadionregie kurz „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“ an, stoppt aber nach der ersten Strophe, während die Gästekurve natürlich ungerührt weitersingt.

Kunstprodukt gegen Traditionsverein

Der Stadionschreier von RB bestätigt seinen schlechten Ruf, lautstarke Gästefans mit allen Mitteln übertönen zu wollen, nachhaltig und kreischt vollkommen übersteuert herum, wird von den Schalkern aber trotzdem mit „Ihr seid nur ein H*rensohnverein“ und „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen“ an die Wand getextet. Auch das Vereinslied (irgendwatt mit viel „Olé-olé RB“) wird trotz qualmender Lautsprecher galant übertönt von „Alle Bullen sind Schweine“, ebenso die Aufstellung der Gastgeber.

Thomas Reis schickt als Startelf Fährmann, Brunner, van den Berg, Kaminski, Matriciani, Latza, Kral, Zalazar, Drexler, Bülter und Polter auf den Rasen. Zum Einlaufen der Mannschaften versucht sich die Heimkurve an einer Choreo unter dem „kreativen“ Motto „Spielt sie aus in jedem Spiel“.

Frühe 2:0-Führung schockt Schalke

Das Kräfteverhältnis auf den Rängen spiegelt sich leider auf dem Rasen nicht wieder, RB taucht bereits in der 3. Minute mit Laimer und Werner gefährlich vor Fährmann auf und bringt die hoch stehende Schalker Abwehr mit viel Tempo in Verlegenheit. Latza verliert ein Laufduell gegen Dani Olmo, dessen Schuss Fährmann noch zur Seite abwehren kann, gegen den Nachschuss des freistehenden Laimers ist der Torhüter dann aber machtlos, es steht 1:0 (10.).

Die Gästekurve schüttelt den Schock schnell ab und fordert lautstark „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“, doch außer einem etwas verunglückten Abschluss von Zalazar (16.) springt zunächst nichts heraus. Stattdessen jubeln erneut die roten Bullen, denn Nkunku tanzt die königsblaue Abwehr plus Fährmann aus und erzielt das 2:0 (19.).

Schalke kämpft sich wieder heran

Fast zeitgleich trudelt die Nachricht von der Bochumer Führung herein, doch noch stecken weder Mannschaft noch Kurve auf. Ein dröhnend lautes „Gelsenkirchen-Schalke!“ erweckt den Kampfgeist; Brunner sieht gelb, Kaminski rettet gegen Nkunku – und darf kurz darauf selber jubeln, als er eine Ecke von Zalazar lehrbuchmäßig zum 2:1-Anschlusstreffer einnickt (28.). JAAAA!

Das Tor gibt Schalke spürbaren Auftrieb, Zalazar, Drexler und erneut Zalazar suchen den Weg nach vorne, lautstark unterstützt durch „Vorwärts FC Schalke, schieß‘ ein Tor für uns!“ und „Olé FC Schalke“. Ein weiterer Kopfball von Zalazar geht knapp am Tor vorbei (36.), Haidara sieht Gelb, Klostermann klärt vor Polter – und dann geraten Drexler und Nkunku aneinander, der sofort Theater macht. Der insgesamt souveräne Schiedsrichter Osmers lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken und bittet zum Pausentee.

Großes Pausenthema ist natürlich die aktuelle Tabelle – oben wie unten. Noch sind mindestens 45 Minuten erste Bundesliga auf der Uhr…

Umjubelter Ausgleich…

Der Gästeblock startet mit „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen!“, „Schaaalke und der FCN“ und „Immer wieder S 04“ in die zweite Halbzeit, bei RB ersetzt Kampl Haidara. Zur großen Freude der Schalker ist Königsblau am Drücker, zunächst ohne zählbaren Erfolg mit Zalazar, van den Berg und Matriciani (48.), dann mit durchschlagendem Erfolg über Drexler und Bülter, dessen Pfostentreffer Orban beim Klärungsversuch ins eigene Tor lenkt. 2:2 in der 49. Minute, der Gästeblock eskaliert! Auch der VAR befindet, dass der Treffer zählt.

Aufgrund der Spielstände in Bochum und Stuttgart muss aber noch ein Schalker Tor her, um auf den Relegationsplatz zu springen – um dieses bemühen sich die Knappen auf dem Feld denn auch mit lautstarker Unterstützung tapfer, aber die Leipziger Konter bleiben brandgefährlich. Fährmann kann gegen Halstenberg (53.) und Werner (54.) klären. Mohr kommt für den ausgepumpten Zalazar, bei Leipzig dürfen in einem Dreifachwechsel Raum, Schalker und Poulsen für Halstenberg, Laimer und Werner ran.

…und eiskalte Konter

Kurzer Aufreger dann in der 62. Minute: Polter stolpert im Fünfer im Duell mit Orban und fordert lautstark Elfmeter, stattdessen gibt es Gelb wegen Meckerns. Fährmann klärt zweimal gegen Raum, dann kommen mit Szoboszlai (für Forsberg), Ouwejan für Matriciani und kurz darauf Karaman für Latza noch einmal frische Kräfte. Der Gästeblock supportet sich mit „Geh‘n mit Dir auf jede Reise“ und „Für deine Farben leben und sterben wir“ die Seele aus dem Leib. Ein Königreich für ein Tor!

Das Tor fällt tatsächlich – aber auf der falschen Seite durch einen eiskalt ausgespielten Konter des überragenden Nkunku mit Poulsen, der mit rechts das 3:2 erzielt (82.). Ein Stich ins Herz aller Schalker, sogar den Ultras, sonst unermüdliche Antreiber des Blocks, verschlägt dieser Tiefschlag zunächst die Sprache.

Schalke muss jetzt in höchster Verzweiflung alles nach vorne werfen und lädt damit Leipzig mit Szoboszlai und immer wieder Nkunku zu weiteren Kontern ein, von denen dann das 4:2 in der Nachspielzeit (90+4.) Schalke den endgültigen Todesstoß versetzt. Nkunkus 16. Treffer, es gibt noch Gelb fürs Trikotausziehen, dann ist das Spiel und damit die erste Liga für Schalke für mindestens ein Jahr vorbei.

SCHALKE IST TROTZDEM DER GEILSTE CLUB DER WELT!

Der Gästeblock ist kurz wie betäubt, viele haben Tränen in den Augen, denn diese kämpferisch tolle Rückrunde – Platz 8 der Rückrundentabelle – hatte den Abstieg einfach nicht verdient. Auch die Spieler sinken enttäuscht zu Boden, vor allem Sebastian Polter und Ralf Fährmann sind untröstlich, auch andere haben sichtlich einen dicken Kloß im Hals.

Trotzdem hat die Stadionregie nichts Besseres zu tun, als genau den Moment, in dem für viele Schalker eine Welt zusammenbricht, absurd laut mit „You gotta fight for your right to party“ zu bedröhnen. Wenn Ihr Euch das nächste Mal fragt, warum Euch ganz Fußballdeutschland ablehnt… und das Karma wird diese unfassbare Taktlosigkeit hoffentlich auch irgendwann rächen!

Aber es gibt tausendmal Wichtigeres als einen Dosenwerbeträger: Schalke! Die niedergeschlagene Mannschaft traut sich erst nicht richtig in die Kurve, wird dann aber von lautem Applaus und „Blau und Weiß ein Leben lang!“ angelockt – und es beginnen selbst für die an Emotionen und Tragödien wahrlich reiche königsblaue Geschichte absolut herausragende zwanzig Minuten. Als Erster applaudiert Fährmann der noch bis zum letzten Platz gefüllten Kurve und verzieht sich dann heulend wie ein Schlosshund auf die Bank, dann folgt ein emotional sichtlich angefasster Zalazar. Auch die übrigen Spieler trauen sich näher und werden mit „Schalke 04 schalalala!“ und „Königsblauer S 04“ getröstet.

Trainerteam und Vorstand verfolgen das Geschehen zunächst aufgewühlt am Mittelkreis, kommen dann aber ebenfalls Richtung Kurve und applaudieren zusammen mit der Mannschaft den Fans, deren Unterstützung in der Rückrunde alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Bei „Wir sind da, jedes Spiel, ist doch klar“ fließen auf beiden Seiten des Zauns Tränen.

Der Stadionsprecher plärrt noch einmal dazwischen und holt sich ein paar Pfiffe ab, dann ertönt trotzig „Schalke ist der geilste Club der Welt!“ Es gibt halt Dinge, die kann man für kein Geld der Welt kaufen… Die emotionale Achterbahnfahrt geht dann mit „Blau und Weiß ein Leben lang“ und dem „Mythos vom Schalker Markt“, natürlich mit emporgereckten Schals, weiter. In die Trauer über den Abstieg mischt sich zunehmend Stolz, Stolz auf Schalke, Stolz auf die Gemeinsamkeit, Stolz auf die ungeheure emotionale Wucht dieses einzigartigen Vereins.

Dementsprechend entschlossen wird „Der S04 steigt wieder auf!“ rausgebrüllt, dann bekommt der scheidende Simon Terodde die ihm gebührenden Sprechchöre, bevor sich alle in den „Asozialen Schalkern“ zusammenfinden, während Sieger Leipzig am anderen Ende eine müde Welle macht. Jawoll, der S 04 steigt wieder auf und wir sind da, jedes Spiel, ob ganz unten oder oben…!

Mit gegenseitigem Applaus und lauten „Schalke! Schalke!“-Sprechchören endet der magische Moment – was für ein himmelweiter Unterschied zum Abstieg vor zwei Jahren! Dieses Mal steht Schalke fest zusammen und wird so auch die zweite Liga rocken.