Fährmann weg – vergrault Schalke seine Identifikationsfiguren?

Fährmann weg – vergrault Schalke seine Identifikationsfiguren?

6. Juli 2019 2 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 hat offiziell bestätigt, was die Spatzen seit Tagen von den Dächern pfeifen: Noch-Kapitän Ralf Fährmann wird den Verein zumindest vorübergehend verlassen und sich für ein Jahr Norwich City anschließen. Susanne Hein-Reipen tut der Verlust von „Ralle“ in der königsblauen Seele weh… Ein Kommentar.

Eine beliebte Phrase der wechselnden Verantwortlichen des FC Schalke 04 ist die Proklamation des „Gesichts des Vereins“, der Wunsch, im stetig schnelllebiger werdenden Fußballgeschäft Identifikationsfiguren zu haben. Dabei wird gerne einmal übersehen, dass sich Identifikation nicht durch Sonntagsreden oder Werbe-LKWs, die „mit Stolz und Leidenschaft“ durch die Republik touren, schaffen lässt. Um wirklich von den Fans und der Öffentlichkeit als echter Schalker wahrgenommen zu werden, bedarf es weitaus mehr. Langjährige Vereinstreue ist dabei sehr hilfreich, wichtiger jedoch ist glaubwürdig zu verkörpern, Schalke zu lieben und alles zu geben.

Gesichter des Vereins haben einen besseren Umgang verdient!

Gerald Asamoah und Mike Büskens ist das gelungen, Ebbe Sand, Marcelo Bordon oder Raúl. Als sie im Herbst ihrer Karriere Schalke verließen, wurden sie in Abschiedsspielen frenetisch umjubelt und sind bis heute äußerst gern gesehene Gäste in Gelsenkirchen. Dieser respektvolle Umgang mit verdienten Schalkern ist dem Verein und teilweise auch den Fans in der jüngeren Vergangenheit leider manchmal abhandengekommen.

Benedikt Höwedes wurde nach 16 Jahren auf Schalke, davon sechs als Kapitän, mit dem flapsigen Spruch, dass man Reisende nicht aufhalten solle, bedacht; nicht wenige Fans warfen Weltmeister Bene in den sozialen Netzwerken noch „Nettigkeiten“ wie „Auslaufmodell“ und „viel zu langsam“ hinterher. Als er knapp anderthalb Jahre später in der Champions League mit Lokomotive Moskau auf Schalke zu Gast war, wurde er hingegen von der Nordkurve frenetisch gefeiert und schämte sich der Tränen für seinen Herzensverein nicht.

Ralf Fährmann konzentriert (Foto: Hein-Reipen)

Fährmann hätte mehr Unterstützung bekommen müssen

Ein ähnliches Schicksal musste in der vergangenen Saison auch Höwedes‘ Nachfolger als Kapitän erfahren: Als Ralf Fährmann, der über Jahre hinweg ein sicherer Rückhalt der Mannschaft war und regelmäßig zu den notenbesten Schalkern gehörte, ein Formtief hatte, wurde ihm nicht der Rücken gestärkt. Der damalige Chefcoach Domenico Tedesco ersetzte Ralle, der von den Bundesligaspielern noch in der Hinrunde 2017/2018 zum „besten Torhüter“ gewählt wurde und in der umjubelten Vizemeistersaison der beste Elfmeterkiller der Liga war, kurzerhand durch U 21-Nationalkeeper Alexander Nübel.

Keine Frage: Nübel hat das modernere Torwartspiel und wirkte im Frühjahr stabiler als der sensible Fährmann. Auch dürfen alleine Leistungen der Vergangenheit im Profisport nicht ausschlaggebend sein. Dennoch hätte Ralf Fährmann, der Schalke jahrelang „den Arsch gerettet“ hat, wie man im Pott sagt, mehr Kredit haben müssen. Dies gilt sowohl für die sportlich Verantwortlichen als auch die Fans, von denen einige dumme Sprüche der Marke „die Vergangenheit zählt nicht“ oder „der soll sich nicht so anstellen, verdient doch genug“ losließen.

Fährmann begegnet allen Fans freundlich (Foto: Hein-Reipen)

Vereinstreue darf keine Einbahnstraße sein

Fans reagieren sehr verschnupft, wenn Profis beim erstbesten Angebot ein anderes Wappen küssen – dann müssten sie auch den Ausnahmeerscheinungen, die sich ganz klar zum Verein bekennen, mehr Unterstützung zugestehen und Geduld aufbringen. Fährmann hat wie kaum ein anderer glaubwürdig verkörpert, den Verein ebenso zu lieben wie die Fans. Ob Wappenklopfer vor der kollabierenden Südtribüne nach dem 4:4-Wahnsinnsderby, „Nordkurve in Deiner Stadt“-Shirt oder Nordkurven-Kapitänsbinde: Ihm kauft man ab, dass das echtes Herzblut und kein kalkulierter Marketinggag ist. Auch nach seiner Degradierung zum Ersatzkeeper stellte er sich rückhaltlos in den Dienst der Mannschaft (dazu: wunderbare Abschiedsworte von Mike „Buyo“ Büskens) und unterstützte Nübel. Er ließ kein einziges böses Wort verlauten, obwohl man ihm die Enttäuschung ansah.

Fährmann ist 2009 nur deshalb zur Frankfurter Eintracht gewechselt, weil mit dem fast gleichaltrigen Manuel Neuer das Schalker Tor auf Jahre hinaus besetzt zu sein schien; doch er ließ sich eine Ausstiegsklausel für Schalke in den Vertrag schreiben und kam mit fliegenden Fahnen zurück, als Horst Heldt Neuer „vom Interesse der Bayern unterrichtet hat“.  Auf solche Vereinstreue dürfen alle Schalker bei Nübel, der in der Winterpause bereits recht offensiv mit einem Wechsel kokettierte und seitdem in mehreren Interviews kühne Karrierepläne, aber kein Bekenntnis zu Schalke verkündete, kaum hoffen.

Fährmann ist kein Auslaufmodell

Was auch gerne vergessen wird: Fährmann ist mit 30 Jahren im allerbesten Torwartalter und kann noch einige Jahre auf hohem Niveau spielen. Mit dem Ball am Fuß wird er sicher kein Messi mehr, aber er hat jahrelang hart an seinen weniger ausgeprägten Fähigkeiten gearbeitet. Seine Stärke sind bombige Reflexe auf der Linie und ein hervorragendes Gespür bei 1:1-Situationen, ein „klassischer“ Torwart. Dass er sich nicht hinter gleich zwei ambitionierten jungen Torhütern aufs Altenteil zurückzieht, ist sportlich und menschlich nachvollziehbar.

Davon wird nun Norwich City profitieren, während sich auf Schalke Nübel mit dem U 21-Kollegen Markus Schubert um den Stammplatz im Tor duelliert. Bis einer von ihnen eventuell einmal den Status erreicht, den Ralf Fährmann im Herzen vieler Fans hat, wird noch viel Wasser die Emscher hinunterfließen…

Es besteht Hoffnung

Immerhin: Der FC Schalke 04 bemüht sich, Fährmann einen ehrenvollen vorübergehenden Abschied zu bereiten – und verlängerte als klares Bekenntnis den bis 2022 datierten Vertrag vorzeitig um ein weiteres Jahr. Jochen Schneider erklärte dazu „Mit der Vertragsverlängerung haben wir eine länger zurückliegende Zusage des Vereins umgesetzt. Ralf ist als Identifikationsfigur ein starkes Stück Schalke. Wir wünschen ihm von Herzen eine erfolgreiche Premier-League-Saison und freuen uns schon heute auf seine Rückkehr im Sommer 2020.“ Das klingt schon deutlich besser als die stets sehr nüchternen Abschiede unter seinem Vorgänger Heidel und gibt Hoffnung, dass Schalke künftig Spieler mit herausragenden Verdiensten wieder mit der gebührenden Wertschätzung behandelt.

Die Nummer 1 geht von Bord (Foto: Hein-Reipen)