Wir sind Schalker, asoziale Schaaaalker…

Wir sind Schalker, asoziale Schaaaalker…

19. Juli 2019 1 Von Susanne Hein-Reipen

Es gibt mindestens 1.904 ganz unterschiedliche Gründe, Fan von einem bestimmten Fußballverein zu werden. Schalke-Fans haben auf die Frage, in welchem magischen Moment sie sich für den Kumpel- und Malocherclub entschieden haben, höchst unterschiedliche Antworten: Aus Familientradition von Vater und Oppa mitgeschleppt, insbesondere wenn diese früher unter Tage gefahren sind. Aufgewachsen in Gelsenkirchen, wo schon die Muttermilch eher königsblau als weiß ist. Von einem hinreißenden Spiel wie beispielsweise der legendären Elfmeterschlacht im Pokal-Halbfinale 1972, dem 6:6 gegen die Bayern, dem UEFA-Cup-Finale oder dem 5:2 in Mailand mit dem Schalke-Virus infiziert. Von der Stimmung in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Veltins-Arena beeindruckt. Ein ganz besonderer Lieblingsspieler, der (auch) auf Schalke kickte; so haben beispielsweise Stan Libuda, Klaus Fischer, Olaf Thon, Ebbe Sand oder Raúl zu ihren Zeiten die Fangemeinde vergrößert. Undundund…

Ich gestehe: Bei mir war es nichts von alledem. Meine erste Berührung mit den „Knappen“ hatte ich im zarten Alter von zwölf Jahren anlässlich der Relegationsspiele zwischen Bayer Uerdingen und dem Klub, der mein fußballerisches Schicksal werden sollte. In Krefeld-Oppum in Sichtweite der Grotenburg aufgewachsen, sind wir schon als Kinder gelegentlich zum Training und auch einigen Zweitligapartien unter den schmunzelnden Blicken des Platzwarts über den Zaun in der Zookurve geklettert, aber Krefeld war selbst zu den Hochzeiten des Pokalsiegs nie eine wirkliche Fußballstadt und mein durchaus fußballaffines Herz daher noch frei.

HURRA! HURRA! DIE SCHALKER DIE SIND DA!

Das erste Relegationsspiel auf Krefelder Boden versetzte damals den kompletten Stadtteil in Angst und Schrecken, denn einige Jahre zuvor hatten enttäuschte Schalkefans auf dem Rückweg von der „Burg“ zum Oppumer Bahnhof entlang der Maybachstraße einige Schaufensterscheiben eingeworfen. Entsprechend rüsteten sich die Geschäftsleute für den neuen Ansturm der Gelsenkirchener Wilden und verbarrikadierten sich, so gut es ging.

Wir Kinder fanden das eher spannend und so war ich nur zu gerne bereit, mit meiner nicht sonderlich fußballinteressierten, aber sehr neugierigen Omma gucken zu gehen, wie denn die Polizei wohl mit den anrückenden Horden fertig würde. Daher standen wir mit diversen anderen Schaulustigen staunend am Straßenrand, als die berüchtigten Schalker an jenem 15. Juni 1983 vom aus den Nähten platzenden Bahnhof Oppum zur Grotenburg eskortiert wurden.

Zunächst hörten wir nur Geschrei und unverständliche Lautsprecher-Durchsagen, dann kam die Kolonne in Sicht. Vorneweg eine „grünen Minna“, dahinter sechs Polizisten zu Pferd.  Und direkt hinter den berittenen Polizisten marschierten in breiten Reihen finster dreinblickende Kuttenträger, die zwischen gelegentlichen Schlucken aus den mitgebrachten Bierpullen (empörtes Stirnrunzeln der älteren Damen) in absolut ohrenbetäubender Lautstärke den bis heute auf Auswärtsfahrten beliebten Schlachtruf „Hurra, Hurra, die Schalker, die sind da!“ skandierten. Un-er-hört! Das bürgerliche Krefeld rümpfte die Nase und eilte mit einem wohligen Gruseln wieder in den Fernsehsessel, aber ich war „hin und weg“. Wie geil! Wie unangepasst! Sooo herrlich asozial! Auch nach nunmehr 36 Jahren hat sich mir dieses Bild bis heute unlöschbar ins Gehirn gebrannt.

Das erste Mal

Das pädagogische Abschreckungskonzept meiner Omma war damit nachhaltig gescheitert und ich beharkte meinen – nicht vereinsgebundenen – Vater so lange, bis er in der folgenden Zweitligasaison einmal mit mir „auf Schalke“ fuhr. Das berühmte „erste Mal“ erlebte ich dann gegen den SSV Ulm, ein Spiel, das zwar u. a. durch einen Treffer des aufstrebenden Jungstars Olaf Thon klar mit 3:0 gewonnen wurde, ansonsten aber nur eine klitzekleine Randnotiz in der langen Schalker Geschichte bildet. Und doch bekomme ich seit diesem Tag regelmäßig eine Gänsehaut, wenn auf der A2 der letzte verbliebene Flutlichtmast des Parkstadions auftaucht.

Ich habe auch nicht sonderlich viel vom Geschehen auf dem Rasen mitbekommen, weil ich viel zu sehr damit beschäftigt war, meinen Block auf der Gegengerade zu bestaunen. Die über allem wabernde Erregung, die bei den Toren in blanken Irrsinn und euphorische Umarmungen wildfremder Menschen umschlug! Wie die Männer, die ansonsten nach ganz normal-harmlosen Familienvätern aussahen, rumbrüllten! Interessante Erweiterungen meines Schimpfwörterrepertoires. Die witzigen, kreativen oder martialischen Gesänge aus der nahen Nordkurve. Und die unverkennbare, unvergleichliche, unvergessliche Geruchsnote nach Adrenalin, Zigaretten, Bier und „Wuast“.

Immer wieder Gänsehaut beim geilsten Club der Welt

Seitdem ist verdammt viel passiert, die Faszination für Schalke ist geblieben und gewachsen. Und ich bekomme bis heute ein „Hühnerfell“, wenn die Ruhrpottkanaken zusammen marschieren, egal, ob es nur ein kurzer Weg vom Bahnhof zum Stadion oder einer der berühmten königsblauen Fanmärsche ist. Auch wenn jetzt weniger „Kutten“ als vielmehr Ultras in der ersten Reihe laufen, die Attitüde ist die gleiche: Wir sind Schalker – und es ist uns schei**egal, ob Euch das gefällt oder nicht. Und in den Gesichtern der vielen unbeteiligten Zuschauer und Passanten, die staunend und oft filmend am Straßenrand stehen, ist bisweilen genau der WIE GEIL IST DAS DENN?!-Effekt zu sehen, den ich damals verspürt habe.

In Madrid beispielsweise stürzten sogar Damen mit Lockenwicklern aus den Friseursalons, um den gigantischen königsblauen Trek zu bewundern; beim gigantischen Marsch in Hannover im Sommer 2017 mussten auch die Polizisten grinsen, als ihnen ein ohrenbetäubendes „Wir sind Schalker, asoziale Schaaaalker…“ entgegendröhnte. Schalke ist und bleibt halt der geilste Club der Welt!

Schalke marschiert durch Hannover, August 2017 (Foto: Hein-Reipen)