Schalke – Hertha 1:2: Selbst die Nordkurve hat die Schnauze voll

Schalke – Hertha 1:2: Selbst die Nordkurve hat die Schnauze voll

9. Oktober 2023 0 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 verliert auch das Heimspiel gegen Mit-Absteiger Hertha BSC mit 1:2 (0:1) und bleibt im Tabellenkeller der zweiten Liga stecken. Die „Leistung“ der Mannschaft ist dabei zwischen zehn passablen Minuten zu Beginn und zehn engagierten Minuten am Ende so frustrierend, dass selbst die Fans der Nordkurve phasenweise den Support einstellen und die Mannschaft auspfeifen. Susanne Hein-Reipen über einen bitteren Mittag auf Schalke.

Sonntag 13.30 Uhr fühlt sich für Schalker immer noch nicht wirklich nach Fußballzeit an, trotzdem streben alle zur Arena. Beim Vorglühen mischen sich ungewöhnlich viele pessimistische und ängstliche Töne in den sonstigen königsblauen Optimismus: Was darf man heute nach einer langen Woche voller Querelen und Negativschlagzeilen erwarten? Eins steht fest: Verlieren ist eigentlich verboten. Eigentlich…

Überraschung im Tor

Beim Fanspiel gehen die „Eagles 82“ gegen den „Schalke Fanclub Hohenlohe“ mit 0:4 unter, dann folgt eine faustdicke Überraschung: Interimscoach Matthias Kreutzer stellt Justin Heekeren anstelle des erfahrenen Michael Langers ins Tor. Dieser strahlt beim Einlaufen der Torhüter zum Warmmachen wie ein Honigkuchenpferd, aber auf den Rängen wird heiß diskutiert, ob dieser Wechsel zum jetzigen Zeitpunkt eine gute Idee ist.

Im Vorprogramm geht es unter anderem um das „Wo ist Elli?“-Projekt der #StehtAuf-Anlaufstelle- Markus Mau vom Fanprojekt und Sebastian Buntkirchen erklären das Codewort für schnelle Hilfe in Belästigungssituationen jeder Art. Auch die Schalker „Walking Football“-Mannschaft, die sich in Madrid zum Europa League Sieger ist zu Gast und holt sich einen Applaus der Nordkurve ab.

Aus Solidarität mit Israel spielen beide Teams mit Trauerflor; bei der Begrüßung der „Promis“ in der mit 61.887 Zuschauern plus ein paar Sicherheitssperrungen ausverkauften Hütte bekommt „der Meister“ Jiri Nemec den meisten Applaus. Die Heimbilanz gegen die Möchtegernfeinde aus Berlin ist gut (31/9/9), die Pfiffe für die Aufstellung der Gäste gibt’s gratis obendrauf, lediglich die beiden Ex-Schalker Reese und Kenny werden etwas sanfter angepackt.

Choreoverbot aufheben sofort

Das Steigerlied wird eine gute Viertelstunde vor dem Anpfiff abgespielt – dann bekommt die Mannschaft zwar die Stimmung unmittelbar mit, aber viele Schalker sind noch gar nicht auf ihren Plätzen, der Rest ist genervt von der Unruhe. Dann gibt’s die Aufstellung, Kreutzer setzt vor Heekeren auf Matriciani, Baumgartl, Kaminski, Ouwejan, Tempelmann, Schallenberg, Drexler, Karaman, Polter und Murkin.

Die Wartezeit bis zum Einlaufen überbrücken beide Kurven mit gegenseitigen Liebenswürdigkeiten der Marke „Jeder Schalker ist ein H*rensohn“ und „Hertha-Schweine“, dass geht es über „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen“ in das Vereinslied „Blau und Weiß, wie lieb‘ ich Dich“ über. Als die Mannschaften Aufstellung nehmen, taucht in der Nordkurve ein großes Banner „CHOREOVERBOT AUFHEBEN SOFORT!“ auf, dahinter grüßt unverändert das „Problemfenster“ der Sicherheitszentrale.

Anfangsoffensive bringt nichts ein

Schalke startet, unterstützt durch den Wechselgesang Schalke! – Nullvier! zwischen Nord- und Südkurve und „Eine Stadt erstrahlt in Blau“ zunächst engagiert und hat durch Murkin (2.) den ersten Abschluss. Bei Hertha zeigt sich ausgerechnet der Ex-Schalker Reese als Offensivmotor (5., 8., 12.).

Die Nordkurve fordert „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und beschwört „Wir lieben alle nur den FC Schalke“, kurz darauf erscheinen zwei weitere Banner „30.08.23. P. Both: Es gibt kein Choreoverbot, so etwas wird es auch nie geben.“ und „08.10.23: Choreoverbot im Gästeblock“, passend dazu knipsen die Herthafans, die sich bereits zuvor mit „Polizei GE: Mehr Choreoverbote, mehr Zündstoff am Spieltag“ solidarisch erklärt hatten, etliche Bengalos an.

Nach einer ruhigen ersten Viertelstunde darf auch Heekeren mitspielen und vor Prevljak (15.) und Reese (19.) klären. Vorstöße von Karaman und Dardai scheitern.

„Sachliche Aufarbeitung statt stumpfem Populismus“

Im K-Block erscheint ein großes Banner „Sachliche Aufarbeitung statt stumpfem Populismus – Bild-Kampagnen den Wind aus den Segeln nehmen“, eine deutliche Absage an den Versuch, einen „starken Mann“ herbeischreiben zu wollen. Auf dem Rasen gibt’s nach Vorarbeit von Polter und Karaman eine gute Chance für Drexler, der jedoch frei im Strafraum ausrutscht und das Leder weit neben das Tor setzt (26.).

Musikalisch sind jetzt die Attacke und „Schalke, ich bin für Dich geboren“ angesagt; auf dem Feld sehen Kenny für ein Foul an Murkin und Karaman für eine Grätsche gegen Zeefuik jeweils Gelb.

Dann eine Schrecksekunde für den Schalker Anhang: Ouwejan patzt am Strafraum und Heekeren muss Kopf und Kragen riskieren, um Zeefuik den Ball vom Fuß zu klauen (34.).

Mit Rückstand in die Pause

Zu „Geh‘n mit dir auf jede Reise“ kann Heekeren erneut gegen Reese klären (40.), danach ist der Keeper machtlos: Kaminski und Tabakovic verpassen eine Reese-Flanke, im allgemeinen Getümmel fälscht Prevljak den Ball zum 0:1 ins lange ab (41.). Sch…ade.

Bis zur Halbzeit passiert trotz der Aufforderungen „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ und „Vorwärts FC Schalke, schieß‘ ein Tor für uns“ nichts mehr, beim Gang in die Kabinen setzt es einige Pfiffe. In der Fanbox dominiert in den Herbstferien klar die Kids-Fraktion; für die Abteilung Fanbelange plaudert Kirsche unter anderem über die Fußballkulturtage NRW, den 2. Mitgliederkongress am 18.11. und das nach der Länderspielpause anstehende Auswärtsspiel beim KSC.

Beide Mannschaften kommen zunächst personell unverändert wieder aufs Feld, Reese tunnelt Matriciani, der sich bekanntlich auf rechts nicht wirklich wohl fühlt. Kurz darauf rasseln Kaminski und Zeefuik beim Luftduell mit den Schädeln aneinander und müssen behandelt werden, können aber weitermachen. Die Nordkurve nutzt die Unterbrechung für eine weitere Attacke.

0:2 frustriert die Nordkurve

Dann verschlägt eine Fehlerkette auch der Nordkurve die Sprache: Baumgartl hebt das Abseits auf, Matriciani lässt sich erneut von Reese vernaschen und dessen Abschluss aus spitzem Winkel lässt Heekeren zum 0:2 durchrutschen (50.). Statt Anfeuerungen hört man vorübergehend nur feiernde Herthafans.

Eine Ecke für Schalke bringt nichts ein, Ernst klärt ungefährdet vor Matriciani, dann bringt Kreutzer mit Kabadayi und Lasme für Ouwejan und Drexler zwei frische Offensivkräfte (58.). Lasme schmeißt denn auch wenig später den Turbo an und läuft Karbownik glatt davon, scheitert aber an Ernst (62.).

Mit Terodde und Seguin (für Polter und Schallenberg) kommen zwei weitere neue Spieler, bei den Gästen ersetzt Scherhant Zeefuik. Die Schalker Ecken Nummer 8 und 9 verpuffen ebenso wirkungslos wie ihre Vorgänger; Matriciani setzt eine Flanke ins Nirvana (71.). Hertha-Coach Dardai ersetzt derweil seinen Sohn und Prevljak durch Hussein und Niederlechner.

Nach einer Flanke von Reese setzt Scherhant einen Kopfball an den Pfosten, Niederlechners Nachschuss wird in höchster Not geblockt (73.), Auf der Gegenseite schickt Murkin einen satten Schuss Richtung obere Ecke, für den Ernst sich arg strecken muss (74.).

Kabadayis Tor reicht nicht

Leistner sieht Gelb (78.), dann lässt Terodde aus spitzem Winkel die Latte erzittern (79.). Mehr Erfolg hat Kabadayi, der nach Vorarbeit von Karaman cool bleibt und den 1:2 Anschlusstreffer erzielt (80.). Sofort ist auch die Unterstützung der Kurve wieder da, „Auf geht’s Schalke schieß ein Tor“ ertönt mit der bangen Frage, ob Schalke nicht wieder einmal die Zeit wegläuft. Bei Hertha geht der unermüdliche Reese für Christensen vom Platz.

Ein weiterer Kopfball von Kabadayi wird Beute von Ernst (83.), Kenny trifft ebenfalls Aluminum (85.) und der bereits verwarnte Karaman säbelt ihn von hinten um und darf mit Gelb-Rot vorzeitig duschen gehen (85.). Kreutzer schöpft dennoch das Wechselkontingent und verschafft Ouédraogo (für Tempelmann) noch einige Einsatzminuten (86.).

In der ersten Minute der sechsminütigen Nachspielzeit wird der Youngster fast zum Matchwinner, doch der Abschluss seines Solos wird zur Beute von Ernst. Christensen sieht Gelb wegen Zeitspiels, ein letzter Aufreger im Schalker Strafraum, dann ist Schluss.

Tausend Trainer schon verschlissen, Spieler kommen, Spieler geh’n…

Wieder keine Punkte bedeuten unverändert Platz 16 mit nur sieben Zählern aus neun Partien, während Hertha mit nunmehr 12 Punkten auf Rang 9 klettert. Mehr noch als die mageren Zahlen frustriert die noch nicht abgewanderten Fans, dass taktisch und spielerisch keine Verbesserungen erkennbar sind. Wieso verpuffte der Anfangsschwung so schnell? Warum dürfen Spieler wie Kabadayi, Ouédraogo und Lasme erst ran, wenn der Karren bereits im Dreck steckt? Und warum zur Hölle ist oft erst nach dem Rückstand ernsthaftes Bemühen zu sehen…?

Dementsprechend unfreundlich fällt die Begrüßung aus, als die Mannschaft Richtung Kurve schleicht: Ein Pfeifkonzert und „Tausend Trainer schon verschlissen, Spieler kommen, Spieler geh’n, doch was stets bleibt, sind wir Schalker, die immer treu zur Mannschaft steh’n“ wird ihr entgegengebrüllt. Maskottchen Erwin versucht noch, die Kurve etwas zu mäßigen, hat aber keinen Erfolg; nach nur wenigen Sekunden machen die Spieler kehrt und streben Richtung Kabine, was die Pfiffe noch einmal anschwellen lässt.

So tief steckte der königsblaue Karren schon lange nicht mehr im Dreck. Es bleibt zu hoffen, dass in der kommenden Woche wenigstens kluge Personalentscheidungen getroffen werden, die etwas Optimismus für die künftigen Wochen und Monate entstehen lassen.