Sandhausen – Schalke 1:2: Königsblauer Wahnsinn in Sandhausen

Sandhausen – Schalke 1:2: Königsblauer Wahnsinn in Sandhausen

30. April 2022 0 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 ist zurück in der Erfolgsspur und 10.000 Fans lassen das Stadion in Sandhausen wackeln: In einer perfekten Dramaturgie gewinnt Schalke durch ein Last-Minute-Tor von Simon Terodde mit 1:2 (0:0) und grüßt wieder als Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey… Susanne Hein-Reipen ist heiser, aber happy.

Durch den freien Vorverkauf der Gastgeber war früh klar, dass sich eine königsblaue Karawane in Richtung Kurpfalz in Marsch setzen würde und so stapeln sich schon am frühen Nachmittag zahlreiche Autos mit 04er-Kennzeichen zwischen Acker und Spargelfeldern, nicht wenige davon mit dem Sticker „Alle nach Sandhausen, Alles für Schalke“ und reichlich blau-weißen Devotionalien.

Wo die Welt noch in Ordnung ist

Die Umgebung ist wirklich Dorfidylle pur; alle Ordner und Helfer, die die Invasion aus dem Ruhrpott in die richtigen Bahnen lenken, sind ausgesprochen freundlich, sogar die für Gelsenkirchener Verhältnisse nur minimal aufgelaufene Polizei staunt nur vor sich hin. Nach einem kurzen Marsch durch den Frühlingswald wartet eine erste Verpflegungsstation mit Bier und leckerer Stadionwurst auf, das Auswärtsfahrerherz ist begeistert.

Am Einlass kommt es unmittelbar nach der Öffnung der Tore kurz zu einem kleinen Chaos, weil die Security mit hunderten mit den Hufen scharrenden Schalkern etwas überfordert ist, aber kurz darauf sind alle drin und können sich auch mit leckerer Weinschorle erfrischen. Und siehe da, entgegen dem ersten Anschein verfügt der Gästebereich doch über eine Damentoilette, sogar in einem sehr vernünftigen Zustand – warum es allerdings gleich 04 Herrentoiletten gibt, ob wohl die Herren der Schöpfung fröhlich den Wald gewässert haben, wird ein Geheimnis bleiben.

Heimspiel in Sandhausen

Bereits bei der Platzbegehung wird klar, dass die Schalker heute die akustische Lufthoheit haben werden. Auf allgemeinen Anklang stößt der in ein überdimensionales Peace-Zeichen verwandelte Mittelkreis, auch die freundlich-selbstironische Begrüßung durch den Stadionsprecher („Einige Schalker werden es ja doch werden“) gefällt – und natürlich das komplette und störungsfreie Abspielen unseres Vereinslieds „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“. Danke lieber SV Sandhausen!

Der Block ölt die Kehlen weiter mit dem Eurofighterlied und einer standesgemäßen Begrüßung für Mike Büskens; dann gibt es Sandhausener Mukke vom Band: „Sandhausen mein Dorfverein – wir sind bereit“… Wir auch! Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen!

Der Stadionsprecher ruft fröhlich ein „Spitzenspiel der Rückrundentabelle“ des „besten Angriffs bei der besten Abwehr“ aus, dazu erklingt „SVS für immer“. Die Gäste rätseln derweil, ob das Maskottchen ein Dachs oder ein Stinktier sein soll, es ist jedenfalls perfekt schwarz-weiß (es ist Dachs „Hardi“). Der Wechselgesang „Schalke! – Nullvier“ zwischen Kurve und Tribüne und die Aufstellung klingen dann wieder verdächtig nach Veltins-Arena. Als Startelf vertraut Buyo auf Fraisl, Vindheim, Itakura, Kaminski, Calhanoglu, Flick, Latza, Churlinov, Bülter, Zalazar und Terodde.

AUF GEHT’S BLAU-WEIß!

Der Auswärtsmob schickt auf den „Stimmungscheck“ ein so lautes Lebenszeichen los, dass dieser schnell abgebrochen und mit „Sweet caroline“ übertönt wird. Auf drei der vier Tribünen dominiert trotzdem ganz klar Schalke, auch der Einmarsch der Mannschaften gerät zu einer eindrucksvollen Demonstration in puncto Auswärtssupport, zu tausenden Fähnchen wird ein großes Banner mit der Marschroute „Auf geht‘s blau-weiß“ entrollt. Steht auf, wenn Ihr Schalker seid!

Beide Mannschaften gehen ohne lange Abtastphase engagiert zur Sache, besonders Churlinov ist sichtbar heiß wie Frittenfett und marschiert nach vorne (5., 8., 10.). Die Kurve honoriert den Schalker Vorwärtsgang mit lautem Dauersupport von „Auf geht’s Schalke schieß ein Tor“ über „Schalke, ich bin für Dich geboren“ bis zu „Wir kommen aus Gelsenkirchen“, nur ein kurzer Sanitäter-Einsatz sorgt für respektvolles Schweigen, doch zum Glück gibt es bald Entwarnung und es geht mit einem kräftigen Wechselgesang “Gelsenkirchen Schalke!“ weiter.

Ein weiterer Vorstoß von Churlinov bringt eine Bilderbuchflanke vor das Tor, dort rauscht sie allerdings an Freund und Feind vorbei (18.). Wenig später feuert Terodde nach schöner Vorarbeit von Kaminski einen ersten Drehschuss ab, aber Drewes im Tor der Hausherren ist hellwach, ebenso beim Nachschuss von Bülter (19.). Fünf Minuten später dreht er einen Freistoß von Zalazar um den Pfosten.

Das Runde will nicht ins Eckige

Aus Schalker Sicht gibt es an der ersten halben Stunde wenig zu meckern, die klare Überlegenheit dürfte sich aber langsam einmal mit einem Törchen bezahlt machen. Stattdessen jagt ein fieser Tritt von Zenga gegen Churlinov den Puls nach oben – obwohl Schiedsrichter Zwayer fast danebensteht, bleibt die Pfeife stumm, während Sandhausen kurz darauf für ein Allerweltsfoul einen Freistoß bekommt. Nicht nur der Block ist auf 180, auch Gerald Asamoah wird von Rouven Schröder nur mühsam gebändigt. Asa on fire!

In den weiteren Minuten bis zur Pause ist die Partie ausgeglichener, ohne dass sich eine Mannschaft zwingende Torchancen erarbeiten könnte. Auf den Rängen herrscht weiter „totale Dominanz“ der Schalker, das Motto lautet „Geh‘n mit dir auf jede Reise“ und „Hurra, hurra, die Schalker die sind da!“

Und damit das auch keiner vergisst, macht der Block kurzerhand die Pause mit „Um die halbe Welt sind wir gefahr’n, immer wieder feuern wir Euch an“ durch. Stark!

In der Pause gibt es angenehm wenig „Werbegedöns“, außer einem kurzen Interview und der Bitte nach „Becherspenden für Choreos“ können alle ungestört die perfekten Fußballbedingungen genießen.

Eskalation in 3, 2, 1…

Schalke, personell zunächst unverändert, hat Wiederanstoß durch Terodde, der SVS tauscht den angeschlagenen Seufert gegen Kinsombi. Unverändert fluppt auch der Support mit „Steht auf“ und „Vorwärts FC Schalke, schieß ein Tor für uns“. Flick versucht einen Rückpass zu Bülter statt Terodde, aber der kann den Ball nicht verarbeiten. Kurz darauf blockt Drewes einen satten Schuss von Calhanoglu (49.).

Die offizielle Zuschauerzahl sind 12.345 Zuschauer, davon knapp fünfstellig Königsblaue. Das Spiel geht jetzt intensiv hin und her, Schalke erarbeitet sich fleißig mehrere Chancen, Sandhausen hält ebenso engagiert dagegen und startet gelegentliche Entlastungsangriffe über Kinsombi (58.). Büskens bringt mit Idrizi und Ouwejan für Zalazar und Calhanoglu (67.) frisches Personal – und dann kommt Terodde: Churlinov setzt nach Vorarbeit von Bülter einen Schlenzer an den Pfosten, den Abpraller lenkt der Goalgetter gedankenschnell zum 0:1 ins Netz (71.). Yessss! Die Erleichterung ist riesig, das Bier fliegt, Block und Mannschaft eskalieren.

Es gibt doch einen Fußballgott – sein Vorname ist Simon!

Jetzt stehen alle unter Strom; auch Fraisl stürzt weit aus seinem Kasten und knallt schmerzhaft mit Kinsombi zusammen, aber es geht für beide weiter (75.). Churlinov stehen  Adrenalin und Testosteron derweil so „Oberkante Unterlippe“, dass er nach einem gewonnenen Zweikampf gegen Diekmeier einen triumphierenden Urschrei loslässt, da macht der Block doch nur zu gerne mit! JAAAAAA!

Palsson ersetzt Latza (77.), die Stadt erstrahlt in ohrenbetäubender Lautstärke in Blau und aus Bremen wird der Ausgleich von Kiel vermeldet, Schalke wäre demnach wieder Tabellenführer… Doch Sandhausen hat sich noch lange nicht aufgegeben und schickt mit einem Dreifachwechsel (Trybull/Esswein, Ajdini/Deville und Testroet/Kuol) frische Kräfte ins Rennen – leider mit Erfolg, denn Esswein bereitet keine fünf Minuten später mit einer gekonnten Flanke den 1:1-Ausgleich durch Diekmeier vor (83.). Sch…ade!

Die Security schleift mit Mühe einen Flitzer vom Platz; nicht zu bremsen ist auch Gerald Asamoah, der sich über ein Foul von Zenga an Idrizi so lautstark aufregt, dass seine „Komplimente“ nicht nur im Gästeblock, sondern vermutlich auch in Gelsenkirchen noch gut zu verstehen sind und ihm die erste gelbe Karte des Spiels einbringen (88.).

In der 89. Minute zischt ein Schuss von Terodde hauchdünn am Pfosten vorbei, es gibt drei Minuten Nachspielzeit – und dann explodiert die königsblaue Welt in einer Woge aus Glücksseligkeit, denn Terodde (wer sonst???) drückt eine Flanke von Idrizi zum 1:2 über die Linie (90+1.). Wie geil ist das bitte?! Die komplette Bank stürzt zur Mannschaft, Ralf Fährmann räumt hulk-artig eine Werbebande ab und die Zäune biegen sich unter den feiernden Schalkern.

Sowas hat man lange nicht geseh’n, so schöööööön, so schön

Es gibt kein Halten mehr, von der Elbe, bis zur Isar, immer wieder S 04! Churlinov kassiert noch gelb, weil er bei der Auswechslung gegen Aydin gemütlich feiernd Richtung Linie schlendert; dann der letzte Aufreger: Kuol grätscht den gerade erst genesenen Ouwejan brutal um und sieht ein empörtes Rudel später zu Recht glatt Rot. Die Schalker Bank hat Schaum vor’m Mund, Latza und Liedwald sehen ebenfalls Gelb, dann ist Schluss.

Der Schlusspfiff ist der Startschuss für eine komplett abgefahrene Party, durch den späten Sieg und das unerwartete 3:2 der Kieler in Bremen ist Schalke mit 59 Punkten wieder alleiniger Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey… Die Mannschaft hüpft völlig losgelöst vor dem Block herum, dann ertönt das Kommando „Hinsetzen!“, um gemeinsam genüsslich „Schalke ist die Macht“, die Welle und zur perfekten Gänsehautpflege den „Königsblauen S 04“ zu zelebrieren. Nicht wenige Schalker haben feuchte Augen, genau wegen solcher Momente ist Schalke der geilste Club der Welt! Sogar der Stadionsprecher juxt, dass Schalke bei so geiler Stimmung jederzeit herzlich gerne wiederkommen darf und wünscht alles Gute für den Aufstieg.

Der Jubel findet auch eine Stadionrunde später noch kein Ende, mit „wir woll‘n die Mannschaft seh’n“ werden die Helden erneut vor den Block „geordert“ und kommen dieser Bitte nur zu gerne schwungvoll nach, dann wird inbrünstiger denn je in den letzten drei Jahren der Mythos vom Schalker Markt rausgebrüllt. Oh wie ist das schön… Die Schalker Party will einfach kein Ende nehmen!

Als alle Schalker überglücklich durch den Wald latschen, sind sie sich einig: Das ist ein perfekter Fußballabend, DAS IST SCHALKE!!!