Mainz – Schalke 2:3: Auswärtssieg in der 102. Minute – der königsblaue Wahnsinn geht weiter!
6. Mai 2023Der FC Schalke 04 gewinnt ein hochdramatisches Spiel beim FSV Mainz mit dem spätesten Tor der Bundesliga-Zeiterfassung mit 2:3 (0:1). Die Mannschaft flippt nach Bülters Elfmetertreffen genauso aus wie die rund 7.000 mitgereisten Fans. Susanne Hein-Reipen ist heiser, aber happy…
Bäumchen wechsel Dich
Ob Mewa-, Opel- oder Coface-Arena, Hauptsache dabei. Während der mit Auto und Bus angereiste Schalker Auswärtsmob bereits gutgelaunt durch die Felder zum Stadion trabt, um an der urigen Stadiongaststätte Hasekaste oder der Schobbeschachtel die berühmte Feuerwurst und ein Kaltgetränk zu genießen, wird die Geduld der Zugfahrer wegen eines Personenschadens kurz vor dem Mainzer Hauptbahnhof auf eine harte Probe gestellt.
Letztlich schaffen es aber alle rechtzeitig zum Gästeeingang, der an der Ostseite „von hinten durch die Brust ins Auge“ führt. Im Tunnel unter dem Stadionumlauf wundern sich viele Schalker, wie die Eisernen aus Berlin offensichtlich mindestens zwei Spraydosen an den bekannt gründlichen und kleinteiligen Kontrollen vorbeigeschmuggelt haben, aber zwei große Graffiti beweisen: Es geht.
Fußballgötter und deutsche Meister
Als die Schalker Mannschaft zum Warmmachen auf den Rasen kommt, wird sie lautstark empfangen. Die Heimkurve versucht kurz mit „Hier regiert der FSV“ und „Auf geht‘s Mainz kämpfen und siegen“ ein akustisches Ausrufezeichen zu setzen, aber der Gästeblock macht weiter im Text. Als gute Gastgeber lassen die Meenzer die Schalker ihre Aufstellung ohne Störfeuer und A****loch-Geschrei mitbrüllen, wobei Matriciani natürlich wieder zum Fußballgott befördert wird. Es beginnen Schwolow, Brunner, van den Berg, Kaminski, Matriciani, Krauß, Kral, Karaman, Zalazar, Bülter und Terodde.
Die Heimfans begrüßen begeistert ihre U 19, die in einem spannenden Finale durch einen 4:2-Sieg über Schwarzgelb deutsche A-Junioren-Meister geworden ist. Auf der Stadionrunde gibt’s dafür auch von den Königsblauen freundlichen Applaus, die heimische Kurve feiert „Deutscher Meister wird nur der FSV“. Auch die Vertragsverlängerung von Kapitän Widmer wird bejubelt.
Hurra, hurra, die Schalker die sind da
Dann werden die Lichter gelöscht, die Fahnenträger marschieren ein und der ansonsten durchaus freundliche Stadionsprecher versucht sich ein wenig überdreht als Animateur, Motto „Ich will eure Hände sehen!“ Das in Liverpool abgekupferte „You‘ll never walk alone“ gefällt den verwöhnten Schalker Geschmacksnerven nicht so richtig und wird prompt mit lautstarkem „FC Schalke 04“ torpediert.
Zur Verlesung der Mannschaftsaufstellung des FSV zeigt die Heimkurve eine kleine U-L-T-R-A-S-Choreo mit einigen roten Rauchtöpfen, dann kommen die Mannschaften auf den Rasen. Kurzes Einschwören im Kreis, dann ist Anpfiff vor 33.305 Zuschauern, darunter ungefähr 7.000 hochmotivierte Schalker – gebt alles!
Der Gästeblock ist von der ersten Sekunde an lautstark mit „Hurra, hurra, die Schalker die sind da“ und „Um die halbe Welt sind wir gefahr’n“ zur Stelle, auf dem Rasen entwickelt sich schnell ein von beiden Seiten sehr engagierter Schlagabtausch. Nach fünf Minuten gibt es die erste Ecke für den S 04, die Zentner im Mainzer Kasten aber locker runterpflückt. Ein Abschluss von Zalazar von der Strafraumkante wird ebenfalls zur (folgenlosen) Ecke geblockt (6.). Gefährlicher ist da schon eine Flanke auf Terodde, dem Fernandes gerade noch den Ball vom Kopf klauen kann (8.).
Umjubelte Führung durch Bülter
Auch eine weitere Ecke (11.) und ein Freistoß nach Foul an Terodde (12.) führen nicht zum erhofften Treffer. Der Schalker Anhang ist trotzdem begeistert, wie engagiert und mutig die Mannschaft auftritt und supportet unermüdlich mit „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“, „Auf geht’s Schalke schieß ein Tor“ und „Eine Stadt erstrahlt in Blau“. Im Heimsteher erscheint derweil ein Banner „Die Kurve lebt und jeder Verbannte bleibt ein Teil von ihr“.
Nach einer guten Viertelstunde kommen die Gastgeber, die eine starke Rückrunde gespielt haben, besser ins Spiel und haben durch Onisiwo die erste Großchance des Spiels (20.), aber Schwolow rettet mit einer tollen Parade und ballt danach triumphierend die Fäuste. Genau so!!!
Danach verlagert sich das Spiel zu „Geh‘n mit dir auf jede Reise“ wieder mehr in die Hälfte der Mainzer – und kurz darauf eskalieren Gästeblock und Schwolow gleichermaßen: Van den Berg nimmt Ajorque nahe der Mittellinie den Ball ab und Zalazar befördert das Leder mit einem Bilderbuchpass zu Bülter, der auf links Hanche-Olsen vernascht und mit dem linken Schlappen rechts unten zum 0:1 einnetzt (25.). JAAAAA!
Der Treffer gibt Mannschaft und Fans zusätzlichen Auftrieb, „Wir lieben alle nur den FC Schalke“, „Auf geht‘s Blau-Weiß, holt euch den Sieg für uns“ und „Für deine Farben leben und sterben wir“ werden angestimmt, während auf dem Rasen Karaman nach Vorarbeit von Terodde den Pfosten trifft (35.). Ajorque kann Zalazar nur mit unfairen Mitteln stoppen und sieht die erste gelbe Karte des Spiels (40.), Zentner muss noch einmal sein ganzes Können zeigen, um einen Schuss von Terodde nach Vorbereitung von Zalazar aus der Ecke zu kratzen (44.), dann geht es mit der verdienten 0:1-Pausenführung und bester Stimmungslage im Auswärtsblock in die Kabinen.
Mainz wacht auf, Schalke antwortet
Mainz-Coach Svensson reagiert und bringt den frischgebackenen U 19-Meister Weiper für da Costa, Schalke kommt personell unverändert wieder aufs Spielfeld. Im Gästeblock gibt’s akustische Grüße an Enschede und „Schaaaalke und der FCN“, dann wird mit hochgereckten Schals der königsblaue S 04 angesungen, aber bald wegen akuten Aufstöhnens – Bülter scheitert nach Vorlage von Terodde mit der Riesenchance aufs 2:0 freistehend an einer überragenden Fußabwehr von Zentner (51.) – abgebrochen. Schade!
Und wenn man die Dinger vorne nicht macht, rächt es sich oft hinten: Ecke Mainz durch Aaron, Hanche-Olsen verlängert per Kopf zum rechten Pfosten, dort reagiert Barreiro schneller als alle anderen und trifft aus kurzer Distanz volley zum 1:1 (53.). Kurz darauf hat Kohr sogar die Möglichkeit, die Hausherren in Führung zu bringen, trifft die Kugel aber zum Glück für Königsblau nicht richtig (56.). Ein Kopfball von Ajorque wird Beute von Schwolow (59.).
Beide Fanblöcke peitschen ihre Mannschaft jetzt lautstark an, die Schalker fordern „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen“ – und die Mannschaft liefert: Krauß fängt einen Mainzer Einwurf ab und passt zu Kral, der wiederum auf der rechten Seite Zalazar steilschickt und das Leder an den mitgelaufen Krauß zurückgibt, der mit viiiiiel Gefühl in die linke Ecke zum 1:2 vollendet (60.). Der bekennende Schalkefan Krauß jubelt vor dem Block, das Bier fliegt tief – Schalke, ich bin für Dich geboren, ich hab‘ mein Herz verloren an einen Fußballcluuuub…!
Ein atemberaubendes Fußballspiel
Und es bleibt spannend, das Spiel wogt hin und her. Die Heimkurve fordert auf einem Banner „Den 8. Mai zum Feiertag machen“, der Gästeblock startet das Mantra „Immer wieder S 04“. Barkok und Ingvartsen ersetzen Lee und Ajorque, Terodde scheitert an Zentner, hätte aber auch im Abseits gestanden (68.) – stattdessen gibt es auf der gegenüberliegenden Seite einen Freistoß aus verdammt guter Position wenige Meter vor dem Strafraum. Das sieht leider auch Aaron so und hebt den Ball bilderbuchmäßig über die Mauer hinweg in die linke obere Ecke, Schwolow schaut nur verblüfft hinterher. Das 2:2 in der 70. Minute, kann Schalke erneut kontern?
Thomas Reis reagiert und bringt Polter und Drexler für Terodde und Karaman, bei Mainz ersetzt Burgzorg Onisiwo. Zentner klärt gegen Brunner (75.), kurz darauf geht es für den gerade genesenen Schweizer nicht mehr weiter, hoffentlich nichts Ernstes. Für ihn kommt Uronen, gleichzeitig darf Skarke für Zalazar ran. Der Auswärtsmob supportet sich mit „Vorwärts FC Schalke, schieß ein Tor für uns“ Kehle und Seele aus dem Leib.
Das Spiel treibt nunmehr den Blutdruck wohl aller Anwesenden in die Höhe, besonders Zentner stellt die Schalker Nerven auf eine Zerreißprobe, weil er bärenstark gegen Skarke (80.) und Polter (83.). „Warum hat gegen uns jeder gegnerische Keeper seine verdammte Sternstunde?!“ ächzt ein älterer Schalker. Als letzte Wechsel kommen Caci für Fernandes und Latza für Krauß – und der Schalker Kapitän zwingt an seiner alten Wirkungsstätte Zentner zu einer weiteren Glanzparade, das wäre es doch gewesen (90.)!
Eine irre Nachspielzeit und Eier aus Stahl
Es gibt fünf Minuten Nachspielzeit obendrauf, doch bereits nach kurzer Zeit kassiert Matriciani bei einem Foul Brummschädel und Platzwunde und muss minutenlang behandelt werden, bevor es mit blauem Turban weitergeht. In der 90+7. Minute stockt allen Schalkern erneut der Atem, denn Bülter läuft alleine aufs Tor zu, scheitert jedoch an Zentner – aber halt: War da nicht ein Trikotzupfer von Caci?!?
Der ansonsten souveräne Schiedsrichter Dr. Jöllenbeck lässt zunächst weiterlaufen, schaut sich die Szene jedoch auf Geheiß des VAR noch einmal an – und zwar sehr gründlich, während beide Fanlager nervlich am Rad drehen und einen „Scheixx DFB“-Wechselgesang anstimmen. Andererseits will eine solche Entscheidung zu diesem Zeitpunkt sowohl des Spiels als auch der Saison ja gut überlegt sein…
Ist sie dann auch: Elfer für Schalke!!! Bülter schnappt sich sofort die Kugel – und behält trotz des irren Drucks und einiger weiterer Scharmützel der Mainzer (Gelb für Caci) die Nerven und trifft wuchtig in die rechte Ecke!
Eskalation der Glückseligkeit
Der Treffer zum erlösenden 2:3 fiel nach exakt 101 Minuten und 13 Sekunden und ist somit das späteste Tor der Bundesliga-Zeitaufzeichnungen, aber das stört die Eskalation in keinster Weise: Der Torschütze, dem im Block anerkennend „Mann, hat der Eier aus Stahl!“ attestiert werden, rast glücklich vor die Kurve und dreht gleich zwei Turbokreisel verfolgt von seinen nicht minder glücklichen Mannschaftskameraden. Barreiro, Kohr und Drexler holen sich noch Gelb ab, dann ertönt der Schlusspfiff und die völlig losgelöste Party geht nahtlos weiter.
Die Mannschaft stürmt sofort wieder vor den Block, Fans und Spieler schreien sich gegenseitig ihre Erleichterung ins Gesicht. SIEG! Nicht nur Bülter, auch Zalazar und Krauß sind komplett high, die ganze Mannschaft lässt sich minutenlang abfeiern, der „Mythos vom Schalker Markt“ und „Schalke ist der geilste Club der Welt“ werden in den Mainzer Himmel gebrüllt, dazu immer wieder die Mannschaft gefordert. „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ gibt’s gratis obendrauf. Wie geil ist das bitte?!
Erst lange nach dem Abpfiff leert sich der Gästeblock, heisere, verschwitzte und biergeduschte Schalker versichern sich glückselig gegenseitig, dass wir so ganz bestimmt nicht absteigen. Objektiv betrachtet ist der Klassenerhalt zwar natürlich noch nicht sicher, aber Schalke übernachtet mit nunmehr 30 Punkten auf Rang 14 (!!!) und hat neben den drei immens wichtigen Zählern auch diverse Tonnen Moral getankt. Der Traum geht weiter!!!
Toller Bericht! Danke dafür! 🙂