Leverkusen – Schalke 4:0: Nur Fans stark – die Stimmung kippt gefährlich

Leverkusen – Schalke 4:0: Nur Fans stark – die Stimmung kippt gefährlich

8. Oktober 2022 3 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 verliert auch in dieser Höhe verdient mit 0:4 (0:2) bei Bayer 04 Leverkusen. Erstmals äußern auch die königsblauen Fans deutlich ihren Unmut über die offensiv wie defensiv erschreckend schwache Leistung; „Kramer raus“ ist ebenso zu hören wie „Wir woll’n Euch kämpfen seh’n!“ Susanne Hein-Reipen berichtet…

Bereits unter der Woche beschleicht einige Schalker ein ungutes Gefühl, als der Trainerwechsel bei Bayer 04 Leverkusen bekannt wird, denn Schalke spielt in einer solchen Situation leider gerne den Aufbaugegner. Die düsteren Vorahnungen halten jedoch keinen Königsblauen von der Fahrt in die Farbenstadt ab, wo traditionell das Heimpublikum akustisch keine Schnitte gegen den Schalker Anhang hat. Unter den 30.210 Zuschauern tragen mindestens 10.000 blau.

Heimspiel am Rhein

Die Einlassprozedur am Gästeeingang gestaltet sich gründlich, aber fair; anders als in der heimischen Arena sind auch genug weibliche Securitymitarbeiterinnen für den Bodycheck der Damen am Start. Dafür wurde anscheinend bei den Imbissverkäufern gespart, wer sich ein Bier oder eine Wurst gönnen will, muss viel Geduld mitbringen.

Als die Mannschaften zum Warmmachen auf den Platz kommen, lässt die Gästekurve zum ersten Mal lautstark die Muskeln spielen, es folgen „Seht Ihr die Fahnen weh‘n? Wir woll’n Euch siegen seh’n“, „Schalke und der FCN“ und „Immer wenn du spielst“. Da die Heimfans dem nichts entgegenzusetzen haben, gibt es „Leverkusen, wir sind die Macht am Rhein“ vom Band, prompt gekontert mit „Leverkusen fällt“.

Chefcoach Frank Kramer stellt heute Schwolow, Mohr, Yoshida, Greiml, Brunner, Flick, Krauß, Bülter, Drexler, Polter und Terodde in die Startelf. Während die Aufstellung der Werkself verlesen wird, kommen die Mannschaften auf’s Feld, Terodde gewinnt die Seitenwahl.

Torloser Beginn

Wenn der Tabellensiebzehnte gegen den Fünfzehnten spielt, sollte man eher nicht mit einem spielerischen Feuerwerk rechnen. Die Partie beginnt reichlich zäh, beiden Mannschaften fehlt nach dem enttäuschen Start das Selbstvertrauen.

Die heimische Werkself ist jedoch das aktivere Team und sucht über Diaby und Frimpong, der von Yoshida nur per Foul gestoppt werden kann, was dem Japaner die erste gelbe Karte der Partie einträgt, erstmals den Weg nach vorne. Schalke ist zu passiv und beschränkt sich auf das Verteidigen, obwohl die Fans sie unermüdlich supporten. „Hurra, hurra, die Schalker sind da“, „Um die halbe Welt sind wir gefahr’n“, Eine Stadt erstrahlt in Blau“ und „Geh‘n mit Dir auf jede Reise“ sind beeindruckend laut.

Nach knapp zwanzig Spielminuten muss Polter nach einem Tritt von Tapsoba behandelt werden; Krauß holt derweil Instruktionen von Kramer ab. Die Kurve schickt einige unfeine Komplimente in Richtung der Leverkusener, doch es kommt keine Reaktion. Die „Werkself“ weiß schon, warum in der Heimkurve mit riesigen Bannern zwischen Ober- und Unterrang Fülle vorgetäuscht wird…

Leverkusener Doppelschlag vor der Pause

Der proppevolle Gästeblock performt der den königsblauen S 04, „Wir lieben alle nur den FC Schalke, unsren Kumpel- und Malocherclub“ und „Schalke 04 für jetzt und alle Zeit“, doch auf dem Rasen gegen die Roten den Ton an. Schick und Aranguiz treffen nicht ins Schwarze, aber Diaby nimmt nach Zuspiel von Andrich kurz vor dem Strafraum Maß und knallt den Ball mit dem linken Fuß knapp an Schwolow vorbei zum 1:0 in den rechten Winkel (38.).

Als Torjingle gibt es „Rocking all over the word“ von Status Quo – und während der Gästeblock sich noch zankt, ob der Schuss haltbar war, ertönt er erneut, denn keine drei Zeigerumdrehungen später erhöht Frimping nach Vorarbeit von Hudson-Odoi und Diaby aus spitzem Winkel ins lange Eck auf 2:0 (41.).

Der Gästeblock schüttelt sich einmal kurz und supportet dann mit „Auf geht‘s Schalke, kämpfen und siegen“ und „Uns‘re Fahnen weh‘n im Wind“ weiter und darf tatsächlich einen Abschluss von terodde bestaunen, leider einiges am Pfosten vorbei. Mit einer Minute extra geht es mit dem 0:2-Rückstand in die Kabinen.

Tausend Trainer schon verschlissen…

Das Pausenprogramm der Werkself besteht löblicherweise weniger aus Werbung denn aus Infos über die Jugend- und Frauenmannschaften und das Basketballteam, es interessiert die Schalker dennoch eher mäßig: Die vor allem offensiv extrem schwache Leistung des Teams führt zu erbitterten Diskussionen über Frank Kramer.

Immerhin: Der Coach reagiert früher als sonst und ersetzt zum Wiederanpfiff die schwachen Mohr und Polter durch Aydin und Ouwejan. Spielbestimmend bleibt jedoch Bayer, das prompt in der 53. Minute mit Frimpongs zweiten Treffer ins rechte Toreck auf 3:0 erhöht. Der Frustpegel bei den Königsblauen steigt, was auch ein Besucher im BVB-Trikot auf der Gegengerade zu spüren bekommt.

Der Gästeblock brüllt nun wütend eine Dauerschleife von „1.000 Trainer schon verschlissen, Spieler kommen, Spieler geh‘n, doch was stets bleibt, sind wir Schalker, die immer treu zur Mannschaft steh’n“ raus, ein ganz klares Warnsignal, dass die zuletzt gezeigte Geduld auch nach Niederlagen ihre Grenzen hat, wenn nicht alle ihr Bestes für den Verein geben.  

Ob ganz unten oder oben, scheißegal, wir sind da

Das Spiel plätschert jetzt ein wenig vor sich hin, Leverkusen will nicht mehr richtig, Schalke kann nicht. Hincapie sieht Gelb für ein Foul gegen Bülter, Mollet und Kral ersetzen Flick und Drexler; bei den Hausherren kommen Adli und Demirbay für Diaby und Aranguiz, wenig später dürfen noch Hlozek für Schick und Latza für Yoshida ran.

Dem Gästeblock ist längst klar, dass es hier und heute nichts zu bestellen gibt, das hindert die Fans aber nicht an Liebesbekundungen an den Verein: „Schalke 04 für jetzt und alle Zeit, was auch immer passiert, wir lieben Dich sowieso bis in die Ewigkeit“ und „FC Schalke mein Verein, ich wird‘ immer für dich schrei’n“ lautet das Motto.

Neu-Bayer-Trainer Alonso bringt mit Paulinho (für Hudson-Odoi) und Kossounou (für Hincapie) noch zwei frische Kräfte und Paulinho bedankt sich prompt mit dem Treffer zum 4:0-Endstand (90.). Der Gästeblock ignoriert das Tor völlig und macht weiter im Text von „S04, wir sind da, jedes Spiel, ist doch klar – ob ganz unten oder oben, scheißegal, wir sind da“.

Wir woll’n Euch kämpfen seh’n!

Nach dem Schlusspfiff brodelt es im Gästeblock, alle Banner und Fahnen werden eingerollt, dann ertönt wieder „Wir sind Schalker, keiner mag uns, scheißegal“. Die Mannschaft steht derweil ratlos im Kreis, die „Kramer raus!“-Rufe sind nicht mehr zu überhören.

Schließlich schleichen die Spieler doch mit hängenden Köpfen Richtung Kurve, ertönt noch verhaltener Applaus, doch anders als nach den vorherigen Niederlagen besteht die „Aufmunterung“ in der unmissverständlichen Ansage „Wir woll’n Euch kämpfen seh’n!“. Wenn man weiß, dass „nicht kämpfen“ die Todsünde schlechthin auf Schalke ist, ist dies ein klares Warnsignal und nur noch ein Stückchen von der Höchststrafe „Wir sind Schalker und Ihr nicht!“ entfernt.

Schalke rutscht durch diese dritte Niederlage in Folge auf Platz 16, Leverkusen zieht vorbei auf Rang 14. Schlimmer noch: Der Schulterschluss zwischen Fans und Mannschaft, sich gemeinsam durch diese vorhersehbar schwere Saison zum Klassenerhalt zu kämpfen, droht zu bröckeln, wenn statt zumindest kleiner Fortschritte und bedingungslosem Einsatz vornehmlich Rückschläge oder mangelnder Kampf zu sehen sind.

Auch die Ansage der sportlichen Leitung, „Die Leistung unserer Mannschaft hat uns heute maßlos enttäuscht. Der Trainerstab um Frank Kramer, die Mannschaft, wir alle sind nun gefordert, gegen Hoffenheim eine in allen Belangen verbesserte Leistung zu zeigen“ ist durchaus deutlich. Man darf gespannt sein, ob Kramer, der die Rufe gegen sich in der Pressekonferenz nicht kommentieren will, nunmehr die nötigen taktischen Schlüsse und Konsequenzen zieht.