Hannover – Schalke 0:1: Hannover fällt – Kaminskis Last-Minute-Tor versetzt 10.000 Schalker in Ekstase

Hannover – Schalke 0:1: Hannover fällt – Kaminskis Last-Minute-Tor versetzt 10.000 Schalker in Ekstase

16. Oktober 2021 1 Von Susanne Hein-Reipen

Trotz klarer königsblauer Überlegenheit und guten Chancen riecht es bis zur 90+5. Minute stark nach einem torlosen 0:0 – dann schießt ein schöner Treffer von Marcin Kaminski alle mitgereisten Schalkefans in den siebten Auswärtshimmel. Susanne Hein-Reipen über ein lang vermisstes Hochgefühl…   

Die letzte „echte“ Auswärtstour mit voller Schalker Kapelle war im März 2020 nach Köln, danach kam Corona und brachte gähnend leere Geisterstadien mit sich. Gästefans wurden nur sehr zögerlich wieder zugelassen, die kleinen Stadien in Regensburg, Paderborn und Rostock waren diesbezüglich auch nicht hilfreich. Dementsprechend stößt die Nachricht, dass Hannover die stattliche HDI-Arena beim Duell gegen Schalke mit der 2G-Regel voll auslasten darf, auf große Begeisterung. Die Normalität lässt grüßen…  

Blauweiße Kolonne auf der A 2

Und zur Normalität gehört eben auch, dass sich über 10.000 Schalker auf die A 2 stürzen. Selbst die traditionellen Freitagsstaus lassen sich besser ertragen, wenn man sich in Gesellschaft von vielen anderen Gefährten mit 1904 im Kennzeichen, Schalke-Aufklebern oder heraushängenden blau-weißen Schals befindet!

In der niedersächsischen Hauptstadt angekommen, bedarf es nur noch ein wenig Glücks bei der Parkplatzsuche – der schöne große Schützenplatz ist zu weiten Teilen von einer Oktoberfestkirmes belegt -, dann kann die Mission Auswärtssieg starten. Der Biergarten „Nordkurve Hannover“ wartet wie eh und je mit Speis und Trank auf und fühlt sich herrlich normal an.

Die 2G-Kontrolle zum Einlass in das Stadion verläuft kurz und schmerzlos, nette Zweiertrupps vom ASB geben gegen Vorlage des Impfnachweises die begehrten giftgrünen Bändchen aus. Und weil nur Geimpfte und Genesene reindürfen, müssen die Masken nur in den Warteschlangen vor dem Security-Check getragen werden, danach dürfen sich alle Schalker Visagen wieder offen zeigen. Die Wiedersehensfreude ist groß.

Hannover fällt…

Groß ist auch die königsblaue Fraktion. Neben der kompletten Südkurve sind auch große Teile der Gegengerade in Schalker Hand und der Mannschaft schallt bereits bei der Platzbegehung „Hier –  regiert – der – S04!“ und „Hannover fällt!“ entgegen. Auch als unsere Keeper Fraisl und Fährmann zum Warmmachen rauskommen, wackelt schon früh die Hütte.

Dass auch der Rest der Mannschaft lauter empfangen wird als das Heimteam, scheint der Stadionregie sauer aufzustoßen, aber auch ein brüllender Stadionsprecher und absichtlich lauter gedrehte Musikbeschallung halten den Schalker Mob nicht auf, obwohl die Ultras noch nicht wieder am Start sind. Die vergeblichen Bemühungen werden nur mit einem höhnischen „Warum seid Ihr H**** so leise?!“ quittiert.

Die Schalker Aufstellung wird störungsfrei verlesen und bietet keine Überraschungen. Chefcoach Dimitrios Grammozis vertraut bis auf Rückkehrer Palsson für Flick der Elf, die vor der Länderspielpause Ingolstadt eingetütet hat: Fraisl, Kaminski, Itakura, Thiaw, Ouwejan, Palsson, Aydin, Drexler, Zalazar, Bülter und Terodde. Bei der Hannoveraner Aufstellung bekommen alle Spieler vom Gästeblock einen wenig schmeichelhaften neuen Nachnamen verliehen, auch die Hymne „96 Alte Liebe“ geht unter lautem „FC Schalke Nullvier…“ unter.

Schalke schießt sich warm

Die Mannschaften kommen aufs Feld, die Spieler schwören sich im Kreis auf die Partie ein, während die Kurve mit „Hurra, hurra, die Schalker die sind da“ die Kehlen ölt. Die erste Aktion auf dem Rasen geht allerdings an die Hausherren, aber Fraisl schnappt sich den Ball vor dem heranrauschenden Hinterseer. Auf der Gegenseite versuchen sich Zalazar und Bülter an den ersten Abschlüssen.

Leider bekommt Aydin, seit einigen Wochen in bestechender Form, früh Probleme mit dem Oberschenkel.  Die Behandlungspause überbrückt der Block mit einem schönen Medley aus dem Wechselgesang zwischen Ober- und Unterrang, „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“, „Kohle unter unsern Füßen“ und natürlich immer wieder „Hannover fällt“. Heimspiel in Hannover!

Auch auf dem Spielfeld gewinnt Schalke mehr und mehr die Oberhand. Teroddes Kopfball (9.) und Drexlers Fernschuss (10.) dienen als Warnung, dann klatscht ein schönes Pfund von Aydin (12.) an den linken Innenpfosten. Die erste Gelbe des Spiels bekommt Kaminski, der Beier etwas zu robust bremst. Kurz darauf ist leider Schluss für „Memo“ Aydin, für ihn kommt Ranftl.

Torloser erster Durchgang

Auch Drexler muss kurzzeitig behandelt werden, kann jedoch weiterspielen. Schalke bleibt die spielbestimmende Mannschaft, die wenigen Vorstöße der 96er landen bei Fraisl im Schalker Kasten. Die Kurve tippt derweil weiter nahezu jedes königsblaue Lied einmal kurz an, so erklingen u. a. „Vorwärts FC Schalke, schieß ein Tor für uns“, „Eine Stadt erstrahlt in Blau“, „Um die halbe Welt sind wir gefahr’n, immer wieder feuern wir Euch an“ und die asozialen Schalker.

Nach dem x.-ten Foul an Terodde zückt Schiedsrichter Benjamin Cortus endlich auch für Trybull den gelben Karton und erntet Applaus vom Schalker Anhang. Weder die erste Ecke für Schalke noch für Hannover bringt etwas Verwertbares ein; auch bei einem schönen Fernschuss von Ouwejan zeigt sich Zieler im Tor von Hannover hellwach (42.). Zwei weitere Schalker Ecken und einige verbale Nettigkeiten („Ohne Schalke wär‘ hier gar nix los“, „Martin Kind du Sohn einer …“) später geht es torlos in die Kabinen.

Schalke drückt, Zieler rettet

Die Stimmung im Block ist prima, endlich wieder fast volle Hütte; zudem hoffen natürlich alle, dass sich die Schalker Überlegenheit auch noch in einem Tor niederschlägt.

Beide Teams kommen personell unverändert wieder auf den Rasen; unverändert ist auch die Sangesfreude des Schalker Blocks, der „Geh‘n mit Dir auf jede Reise“, den Mythos und das beliebte Mantra „Der FC Schalke wird deutscher Meister und wir holen den Pokal“ anstimmt. Unverändert ist zum Leidwesen der Schalker auch, dass Zieler einen absoluten Sahnetag erwischt hat und kurz hintereinander zwei Großchancen von Kaminski (53.) und Drexler (54.) mit Glanzparaden abwehrt. Grrrrr…

Mit Ondoua und Muroya für Beier und Krajnc versucht H96-Trainer Zimmermann seinem Team etwas mehr offensives Leben einzuhauchen, aber Schüsse von Kaminski, Palsson, Ranftl und Terodde später stehen 21:1 Abschlüsse für Schalke zu Buche, die mittlerweile mit „Schalke – Schalke – Schalke“- Rufen nach vorne getrieben werden. Pieringer ersetzt Bülter und wird sofort von Dehm hart angegangen, der dafür mit Gelb dekoriert wird.

Kaminskis erlösender Geniestreich

Hannover bedankt sich bei offiziell „39.500 Zuschauenden“, der gendergerechten Variante der Zuschauer – und der schwarzweißgrüne Teil davon muss kurz darauf entsetzt zuschauen, wie Retter Zieler sich ohne Fremdeinwirkung verletzt und zwischen zwei Betreuern vom Platz humpelt, für ihn kommt Hansen. Die Schalker quittieren das mit „Auf Wiederseh’n“, an dieser Stelle auch an Zieler gute Besserung.

Das Spiel leidet jetzt ein bisschen unter den zahlreichen Unterbrechungen, ein Krampf bei einem 96-Spieler sorgt für weitere tatenlose Sekunden. Auch Pieringer bekommt gelb; beide Trainer schicken mit Churlinov für Zalazar und Weydandt und Stolze für Trybull und Maina. Der Schalker Anhang ärgert sich derweil über Zeitschinderei und ein geklautes „Ein Leben lang rot und schwarz“ und ätzt „Ihr seid nur ein H****sohnverein“.

Die vielen kleinen Unterbrechungen führen letztlich zu einer Nachspielzeit von 6 Minuten – und als sich alle Schalker bereits zähneknirschend mit einem 0:0 abgefunden haben, nimmt ausgerechnet der robuste Innenverteidiger Kaminski eine von Palsson verlängerte Flanke elegant mit der Hacke an und haut sie mit links ins Netz. WIE GEIL IST DAS BITTE?! 0:1 in der 90+5. Minute, der Block eskaliert, das Bier fliegt tief, nach anderthalb Jahren Abstand liegen sich wieder wildfremde Schalker begeistert in den Armen.

Schalke macht wieder vieles richtig

Nach dem umjubelten Schlusspfiff feiern Fans und Mannschaft begeistert gemeinsam das Happy-End: Auswärtssieg!!!

Schalke hat mit diesem Sieg erstmals seit über zwei Jahren drei Siege in der Liga hintereinander eingefahren und springt nach 15 Punkten aus den letzten sechs Spielen auf Platz 3, punktgleich mit den beiden Führenden. Nach gerade einmal zehn Spielen ist die Punkteausbeute der gesamten letzten Saison mit 19 Punkten bereits um drei Zähler übertroffen – und das Allerbeste: Da steht wirklich wieder eine Mannschaft auf dem Platz, die nicht aufsteckt, auch wenn es zäh wird oder sie Rückschläge hinnehmen muss!!!

Klar, spielerisch ist immer noch etwas Luft nach oben, dennoch: Schalke war in Hannover auch taktisch und spielerisch überlegen und darf zudem bald auf die Rückkehr von Kapitän Latza, Salif Sané und hoffentlich auch Aydin hoffen. Nächsten Samstag zum Topspiel darf sich Dynamo Dresden warm anziehen…