Fans sauer, Aufwärtstrend gestoppt: Pechsträhne auf Schalke nimmt kein Ende

Fans sauer, Aufwärtstrend gestoppt: Pechsträhne auf Schalke nimmt kein Ende

3. Februar 2019 Aus Von Susanne Hein-Reipen

Eine rote Karte für Alexander Nübel und zwei abgezockte späte Gegentreffer bescheren Schalke eine 0:2-Heimniederlage gegen die „wahre Borussia“ aus Mönchengladbach. Was in Gelsenkirchen alles los war und wieso die Schalkefans mittlerweile an mieses Karma glauben, weiß Susanne Hein-Reipen.

Das Wetter zieht alle Register, um die Anreise zum mit 62.271 Zuschauern ausverkauften Topspiel so usselig wie möglich zu gestalten: Nass, kalt, grau. Darunter leiden auch die Ultras, die mit Sammeleimern auf den Eingangstreppen um Choreospenden bitten, denn viele Zuschauer wollen nur möglichst schnell ins Trockene kommen. Wer sein Portemonnaie auch im Gelsenkirchener Schneetreiben öffnet, darf sich über ein Panoramafoto der tollen Ganzstadion-Choreo gegen die Fanfreunde aus Nürnberg freuen.

Schalke & Twente

Doch die Franken sind bekanntlich nicht der einzige Verein, mit dem die Schalker Fanszene freundschaftliche Kontakte pflegt und so stellen sich auf den Treppen vor dem Eingang Ost 2 hinter einem großen Schalke & Twente-Banner UGEler und Vak-P-Ultras blendend gelaunt und mit einem hübschen königsblauen Rauchbömbchen zum gemeinsamen Gruppenfoto auf. Nach einem kurzen „liebevollen“ Wortwechsel mit einigen vorbeikommenden niederländischen Gladbach-Fans geht es gemeinsam in die Nordkurve, eine große schwarze Ultras-Vak-P- und diverse Freundschaftsfahnen und Doppelhalter inklusive. Sogar die noch von der UEFA-Cup-Begegnung bekannte riesige Twente-Trommel ist auf dem Podest am Start. Dank je, Tukkers!

Nicht holländisch, sondern chinesisch sind die Schriftzeichen auf dem Torbogen und den Schals vom Quatscher und Erwin: Anlässlich des chinesischen Neujahrsfestes gehen Grüße in das Reich der Mitte. Es beginnt übrigens das Jahr des Schweins, nicht des Fohlens… Den Fans ist dieses Marketinggedöns herzlich egal. Gelächter gibt’s hingegen für den Fan-Club „Qua de Wick-Wack“, der das Veltins-Fanspiel gegen die „Klausenfans“ bestreitet. Der Sieger in der Kategorie „irrster Fanclub-Name“ steht fest.

Gedenken an Lena und Ute und gute Wünsche für Marvin

Über dem I-Block erinnert ein großes schwarzes Banner an die kürzlich durch ein Brandunglück tragisch zu Tode gekommenen Schalkerinnen Lena und Ute. Mehrere Spruchbänder machen dem bei dem Unglück schwer verletzten Marvin Mut, die Sammeldosen des Supporters Clubs kreisen, die Jungs von der größten Nordkurve der Welt verkaufen trotz Mistwetters an der Tausend-Freunde-Mauer spontan ihre beliebten Armbänder für das Spendenkonto der beiden kleinen Mädchen, die ihre Mutter und Oma verloren haben. 1.000 Freunde, die zusammen steh’n!!!

Auf dem Rasen verleiht derweil Peter Peters den „Ernst-Alexander-Preis“ 2019 an den Internationale Unternehmerverband RuhrStadt e.V., der gemeinsamen mit dem Max-Planck-Gymnasium in Gelsenkirchen-Buer das Theaterprojekt „Reisegefährten“ auf die Beine gestellt hat, in dem jugendliche Flüchtlinge gemeinsam mit deutschen Altersgenossen ihre Erlebnisse darstellen und verarbeiten können. Der mit 1.904 € dotierte Preis für Integration, Vielfalt und Toleranz erinnert an den jüdischen Spieler, der von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager ermordet wurde. 

Kutucu, Matondo, Bruma, Kapitän Caligiuri – und eine tolle Geste

Ein kurzer Einspielfilm zeigt Ahmet Kutucus schönste Torszenen und die Unterzeichnung seines ersten Profivertrages: Als Sohn eines türkischen Bergmannes in Gelsenkirchen geboren und seit dem 11. Lebensjahr in der Knappenschmiede ausgebildet, freut sich der sympathische Youngster, weiter in der Heimat spielen zu dürfen. Der Beifall ist entsprechend.

An diesem Abend findet sich Kutucu ebenso wie die beiden Winter-Neuzugänge Rabbi Matondo und Jeffrey Bruma auf der Bank wieder. Das königsblaue Interesse gilt dabei insbesondere Supertalent Matondo. „Wenn ich tief einatme, hängt der mir quer unter der Nase“ kommentiert ein kräftiger Schalke die äußerst zierliche Statur des jungen Walisers. Bruma hingegen sitzt ungerührt und als einziger ohne Anorak oder Anzeichen von Frostbeulen auf der Bank.

Die Startelf nach Steiger- und Vereinslied bilden Nübel, Caligiuri, Sané, Nastasic, Oczipka, Rudy, Bentaleb, Serdar, Konoplyanka, Mc Kennie und Uth. Caligiuri trägt in Abwesenheit der beiden etatmäßigen Kapitäne Fährmann und Stambouli die Binde. Tolle Geste: Auch die beiden in der Vorwoche schwer verletzten und zwischenzeitlich bereits operierten Schöpf und Stambouli sind symbolisch dabei, Oczipka und Bentaleb zeigen der Nordkurve demonstrativ ihre Trikots.

Ausgesperrt und trotzdem dabei

Gladbach kommt traditionell mit einer großen Anhängerschaft in den Pott. Zum Einlaufen der Mannschaften präsentiert die Gästekurve eine Choreo für „die Jungs, die draußen steh‘n“: „Ausgesperrt und trotzdem dabei“ und „Eure Brüder immer bei Euch“ erinnern an die Sek Stadionverbot. In der Nordkurve gibt’s währenddessen einen königsblauen Konfettiregen und „wir schmeißen Stein um Stein… auf die Elf vom Niederrhein…“.

Auch nach dem Anpfiff schenken sich die beiden Kurven nichts; laute Twente-Rufe und „Geh‘n mit Dir auf jede Reise“ werden mit „VfL! VfL! VfL!“ beantwortet. Anders als viele andere Gäste sind die Fohlenfans echte Support-Gegner, keine Opfer! Ebenfalls auf Augenhöhe geht es auf dem Rasen zur Sache, beide Mannschaften haben Respekt vor dem Gegner. Dementsprechend vorsichtig und diszipliniert geht es zu Werke. Auch der extrem tiefe Boden, der bei fast jedem Zweikampf Furchen zurückbehält, bietet nicht gerade ideale Gegebenheiten für ein Offensivfeuerwerk.

Ausgeglichener erster Durchgang

Nach einer knappen Viertelstunde wird das Spiel, angetrieben vom Wechselgesang Schalke!-Nullvier!, „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und den Ruhrpottkanaken, lebendiger. Die erste richtige Chance geht an die Gäste, doch Stindls Distanzschuss titscht von der Querlatte ab. Wenig später marschiert Konoplyanka in den Gladbacher Strafraum und flankt zu Uth, der sich mustergültig zum Kopfball hochschraubt, jedoch knapp das Gehäuse verfehlt. Im Gegenzug läuft Zakaria alleine auf Nübel zu, doch der junge Keeper behält die Nerven und wehrt den Ball ab.

Beide Kurven unterstützen ihr Team in dieser intensiven Phase sehr lautstark, „Schalke! Kämpfen! Siegen!“ wird durch laute VfL-Rufe gekontert, die wiederum mit einem gepflegten „Scheiss VfL! „beantwortet werden. Aus der Nordkurve folgt „Ins Stadion geh‘n im Pappbecher Bier…“ und „Hier regiert der S 04!“ Die Spieldaten geben das allerdings nicht ganz her, Gladbach hat mehr Ballbesitz, beide Mannschaften exzellente Passquoten.

Die zehn Minuten vor dem Pausenpfiff gehen dann an Schalke: Zunächst muss Sommer gegen Nastasic retten, dann kann Ginter Uth nur per Foul stoppen und sieht gelb. Unter „Macht sie alle, schießt sie aus der Halle“-Rufen setzt Caligiuri den fälligen Freistoß um Millimeter am linken Pfosten vorbei – vorbei? Ja, die Regie muss den kurz angespielten Torjingle abbrechen, doch die Nordkurve hat jetzt akustisches Oberwasser und startet die Liebesbekundung „Schalke 04 für jetzt und alle Zeit“.

Auch Strobl sieht wegen eines Trikotzupfers gegen Rudy gelb, der folgende Freistoß bringt jedoch ebenso wie zwei Gladbacher Ecken nichts Verwertbares. Mit einem leistungsgerechten 0:0 geht es überpünktlich in die Pause.

Wenn Du nur einen gelben Sack als Gesellschaft hast…

Einhelliger Tenor: Auf der Leistung kann man aufbauen, besonders Bentaleb und Caligiuri gefallen als Leader und Antreiber. Es sind sehr viele gemischt blauweiß-schwarzgrünweiße Gruppen unterwegs. Für einen Lacher sorgt eine Großfamilie am Bierstand: Oppa, Papa, ein Sohn Schalker, Mama und der zweite Sohn Fohlen. Auf die schwierige Konstellation angesprochen, versetzt Oppa nur kurz, datt sei noch gar nix; Omma habe mal nach einem tollen BXB-Spiel unter Klopp beschlossen, künftig den Schwatzgelben die Daumen zu drücken. „Da habe ich den gelben Müllsack neben sie auffe Couch gesetzt und gesagt, datt ist ab jetzt Dein einziger Freund!“

Aus der Abteilung Fanbelange kann Thomas Kirschner auf das Kabinengespräch mit Marketingvorstand Alexander Jobst zurückblicken. Nicht fehlen darf natürlich auch der Hinweis auf die tolle Fanfete der Isarschalker in der Muffathalle und die Inklusionsfahrt für Schalkefans mit und ohne Handycaps nach Bremen, Anmeldungen sind ab Montag möglich. Hinweise auf die Sonderausstellung zum Bergbau im Schalke-Museum und die Arena-Nachtführungen runden die Tipps ab.

Bittere zweite Hälfte

Beide Mannschaften kommen zunächst unverändert aus der Kabine und gehen sofort wieder zur Sache. Ein Schuss von Hofmann zischt über Nübels Kasten hinweg, auf der Gegenseite leitet Rudy einen geilen Angriff ein: Serdar marschiert unaufhaltsam in den Strafraum und bedient Uth, dessen Schuss jedoch leider nicht ankommt. Davon gerne mehr! „Schalke nur Du alleine“ und „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ hallen durch die Arena, „Mönchengladbach olé“ weht zurück.

Es ist nach wie vor ein intensives und umkämpftes, aber nicht unfaires und ausgeglichenes Spiel – umso ernüchternder dann die kalte Dusche in der 59. Minute: Ein eigentlich harmloser Freistoß der Gladbacher wird viel zu weit vom Ort des Geschehens ausgeführt, so dass Hazard plötzlich frei auf Nübel zuläuft. Der junge Keeper zieht kurz vorm Sechzehner die Notbremse und wird dafür mit Rot vom Platz gestellt – natürlich eine vertretbare Entscheidung, doch in den Schalkefans macht sich langsam das Gefühl breit, dass jede, aber wirklich jede knappe Situation in dieser Saison gegen Schalke läuft, beginnend mit dem Videobescheiß am ersten Spieltag in Wolfsburg.

Während Nübel unter „Ales Nübel!“-Sprechchören bedröppelt vom Platz schleicht, feiert Ralf Fährmann schneller als gedacht sein Comeback zwischen den Pfosten, für ihn muss Konoplyanka runter. Die Gladbacher Fans sind jetzt laut, doch die Asozialen Schalker sind lauter! Der Freistoß geht am Tor vorbei.

Gladbach cool, Schalke glücklos

Trotzdem ist leider nicht zu übersehen, dass Gladbach jetzt Oberwasser hat. Bentaleb kann Stindl nur sehr unsanft stoppen und sieht gelb, den folgenden Freistoß entschärft Fährmann mit einer guten Parade, die auch ihm sofort anerkennende „Ralf Fährmann, oho!“- Sprechchöre einträgt. Beide Kurven beharken sich jetzt lautstark mit „Boooorussiaaaa“ und „Für deine Farben leben und sterben wir“ und „Nur der S 04 ist mein Verein“

Dann sorgt Trainer Tedesco für eine dicke Überraschung: In der 75. Minute wechselt er trotz Unterzahl Offensivmann Matondo für Sebastian Rudy ein. Auf dem Würfel erscheint jedoch der abgegebene Baba, dessen Rückennummer 14 der junge Neuzugang übernommen hat, hoffentlich ist das kein schlechtes Omen! Und: Ob ein 18jähriges Fliegengewicht ohne Profi-Erfahrung in dieser Situation eine gute Wahl ist…?

Kurz: Ist es nicht. Hazard marschiert an Matondo vorbei und passt zu Kramer, der zimmert den Ball mit Karacho zum 0:1 in die Maschen. Keine Chance für Fährmann, da Neuhaus die Kugel noch abfälscht. Schalker Fans wie Spieler sind sauer, da sie vorher gesehen haben wollen, dass Kramer den Ball auch mit der Hand mitgenommen hat, doch auch diese enge Situation wird natürlich gegen Schalke entschieden.

Jetzt ist die Mönchengladbacher Kurve sogar lauter als die geschockten Heimfans, die das Vau-Eff-Ell nur noch halbherzig mit „Vorwärts Schalke, kämpfen und siegen“ und „Schalke 04 für jetzt und alle Zeit“ beantworten. In der 90. Minute gibt es sogar noch das 0:2 durch Neuhaus, Caligiuri kann den Schuss nicht mehr entscheidend ablenken. Das Publikum startet die Massenabwanderung, die Gladbacher feiern sich durch die vierminütige Nachspielzeit, haben sie doch sogar die Bayern überholt und sich auf Platz 2 geschoben.

Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß

Nach dem Schlusspfiff diskutiert Kapitän Caligiuri erbittert mit den Unparteiischen. Die Gladbacher Kurve feiert den Auswärtssieg und macht die Welle mit ihrer Mannschaft, während die Schalker sichtlich geknickt vor die Nordkurve schleichen und auf wenig Trost hoffen dürfen. Vereinzelt sind trotz der gegenüber der Hinrunde erkennbaren Leistungssteigerung sogar Pfiffe zu hören, zu tief sitzt die Enttäuschung über den neuerlichen Rückschlag.

Tedescos Fazit, dass das Spiel „nicht nur aufgrund der einen Situation“ mit der roten Karte verloren wurde, die Summe der Fehl- oder doch zumindest harten Entscheidungen in dieser Saison aber „extrem bitter für uns“ sei, können fast alle mitgehen. Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß…

Vor der schweren Auswärtsaufgabe in München wartet am Mittwoch noch das Pokal-Achtelfinale gegen die Fortuna aus Düsseldorf. Eine gute Gelegenheit zur Rehabilitation, wenn ALLE ALLES geben. Glückauf!