Alexander Nübel – gesunder Ehrgeiz oder Größenwahn?

Alexander Nübel – gesunder Ehrgeiz oder Größenwahn?

16. Juni 2019 9 Von Susanne Hein-Reipen

Alexander Nübel verdrängte zu Beginn der Rückrunde Stammkeeper und Kapitän Ralf Fährmann auf die Bank. In den folgenden Spielen ließ er mehrfach enormes Potential und Nervenstärke erkennen, hatte aber auch noch kleine Patzer. In Interviews nimmt er kein Blatt vor den Mund – Susanne Hein-Reipen ist der Meinung, dass ihm mehr Bescheidenheit und Demut gut zu Gesicht stünden.

Bereits in der Winterpause erklärte Nübel in Pressegesprächen mehrfach, dass er nicht mehr lange auf der Bank sitzen wolle und einen Wechsel oder eine Leihe anstrebe, wenn er auf Schalke nicht regelmäßig spiele. Zu Beginn der Rückrunde entthronte der damalige Chefcoach Domenico Tedesco dann tatsächlich Kapitän und Vereinsikone Ralf Fährmann. Selbst als Nübel direkt im dritten Spiel gegen Borussia Mönchengladbach wegen einer Notbremse mit Rot vom Platz flog, hielt Schalke an ihm fest und stellte ihn nach Ablauf der Sperre wieder zwischen die Pfosten.

„Keinen Druck zu verlängern“

Alexander Nübels Vertrag bei den Königsblauen läuft noch bis zum 30. Juni 2020, wobei Ex-Manager Christian Heidel offenbar irrtümlich davon ausging, dass dieser sich automatisch um ein weiteres Jahr verlängern würde. Als im März erste Gerüchte über einen möglichen Wechsel zu Bayern München aufkamen, äußerte Nübel, dass er frühestens nach der U 21 -Europameisterschaft über einen neuen Vertrag nachdenke. Im Mai legte er öffentlich nach: Von Schalke sei „nichts gekommen“, obwohl er „ja ein paar Spiele gemacht habe“. Als Schalke 04 hätte „ich sicher anders agiert, aber ich kenne nicht die Strategie des Klubs“.  Jetzt verspüre er keinen Druck zu verlängern.

Dieses Interview wurde bereits von vielen Schalkern als unnötiges „Fass aufmachen“ in der Öffentlichkeit empfunden, da es besser gewesen wäre, die Situation zunächst mit den neuen sportlichen Verantwortlichen zu klären, statt Negativschlagzeilen über Schalke eine Steilvorlage zu liefern. Stattdessen legte er im U 21-Trainingslager erneut nach: Großes Ziel sei die A-Nationalmannschaft und „eine Ära zu prägen“.

„Außer Nübel könnt Ihr alle geh’n“ – zu Kopf gestiegen?

An dieser Stelle muss ich sagen: Geht’s noch, Junge? Gerade einmal zwanzig Bundesligaspiele und dann schon von „Ära prägen“ schwafeln? Nicht etwa „ich möchte mich etablieren“ oder „weiterentwickeln“, nein, eine „Ära“ soll es sein, etwas, was nur absoluten Ausnahmeerscheinungen wie Kahn oder Neuer gelungen ist? Das erweckt in mir sehr stark den Eindruck, dass Dir die „Außer Nübel könnt Ihr alle geh’n“-Sprechchöre des Schalker Anhangs in Mainz und Nürnberg in sehr ungesunder Weise in die Birne gestiegen sind!

Keine Frage, Nübel ist ein großes Torwarttalent, der auch mit dem Ball am Fuß etwas anzufangen weiß und eine für sein Alter bemerkenswerte Ruhe und Nervenstärke ausstrahlt. Selbstbewusstsein und Ehrgeiz sind in seiner Situation völlig legitim – dennoch täte er sehr gut daran, seine Leistungen erst einmal konstant zu bestätigen, statt sofort die ganz dicke Lippe zu riskieren. Es sind bereits viele Keeper mit guten Anlagen hervorragend und mit vielen Vorschusslorbeeren gestartet, Kraft und Rensing lassen grüßen. Das zweite Profijahr hat sich bereits für Generationen von Spielern als deutlich härter entpuppt als das erste.

Eigentlich kann Nübel zur Zeit kaum etwas Besseres passieren als Schalke, wo er Stand jetzt Spielpraxis auf hohem Niveau sammeln kann. Denn die Position der Nummer 1 ist in den absoluten Top-Vereinen mit deutlich erfahrenen Keepern besetzt. Kein großer europäischer Club wird einem Torhüter mit gerade einmal zwei Dutzend Profieinsätzen sein Tor anvertrauen.

Bitte keine erneute Hängepartie à la Goretzka!

Und weil das so ist, wäre Nübel gut beraten, sich auf seine Leistungen zu konzentrieren, statt Forderungen in die Öffentlichkeit zu bringen. Schalkes neuer Sportvorstand Schneider hat bereits genügend Baustellen aufzuarbeiten, da bedarf es nicht noch einer weiteren im Tor, die durch regelmäßige Interviews auch medial für Unruhe sorgt.

Wenn Nübel sich nach der U 21-EM weder auf Vertragsverhandlungen einlässt noch sich zu seiner Zukunft äußert, sollte Schalke alle legalen Möglichkeiten ergreifen, der Unruhe einen Riegel vorzuschieben und einen weiteren ablösefreien Abgang im nächsten Jahr zu verhindern.

Von „auf der Tribüne verschimmeln lassen“ halte ich nichts. Wenn Nübel auch in den Augen des neuen Trainers David Wagners der bessere Torwart ist, sollte er spielen, solange er auf Schalke ist. Doch vielleicht hat ja auch Ralf Fährmann, der pikanterweise denselben Berater hat wie Nübel, seine Formkrise der vergangenen Saison überwunden und zeigt sich wieder als der alte „Ralle“, der neben tollen Reflexen und starken 1:1-Situationen auch „ein Leben lang“ ein echtes königsblaues Herz hat…?

Nübel dirigiert die Abwehr (Hein-Reipen)