Wenn Tradition im Herzen spürbar wird: Ernst Poertgen ist heimgekehrt

Wenn Tradition im Herzen spürbar wird: Ernst Poertgen ist heimgekehrt

9. Mai 2021 0 Von Susanne Hein-Reipen

Positive Schlagzeilen über Königsblau sind seit über einem Jahr dünn gesät, aber auf dem Schalke Fan-Feld auf dem Friedhof Beckhausen-Sutum vollzog sich coronabedingt im kleinen Kreis eine bewegende und würdevolle Zeremonie für den früheren Meisterspieler Ernst Poertgen, die zeigt, dass Schalke und Schalker sein viel, viel größer ist als Fußball.

Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Olivier Kruschinski, vielen Schalkerinnen und Schalkern bekannt als Guide wunderbarer Mythos-Touren und unermüdlicher Kämpfer für die Schalker Meile, erfährt von Poertgens Enkel Klaus, dass die Grabstätte seines 1986 in Bonn verstorbenen Opas eingeebnet werden soll. Eine Verlängerung würde sich aufgrund der geänderten familiären Bedingungen schwierig gestalten und so ist Klaus Poertgen sehr froh, als sich Kruschinski, der nicht nur den Erinnerungsspaziergang „Die Gräber der Götter“ anbietet, sondern auch privat zahlreiche Gräber verstorbener Schalker Größen pflegt, seines „Oppas“ annimmt. Er findet schnell königsblaue Mitstreiter, die eine Heimkehr von Ernst Poertgen möglich machen: Ender Ulupinar stellt eine Ruhestätte direkt im blau-weißen Mittelkreis, dem Herzstück seines Fan-Felds zur Verfügung und organisiert Umbettung und angemessene Grabpflege, das Gelsenkirchener Bestattungshaus Suttmeyer sorgt für die Überführung und den Grabstein. Alles kostenlos. Weil alle Schalke im Herzen tragen…

Einziger Wermutstropfen: Bedingt durch die geltenden Corona-Vorschriften kann die Umbettung nicht mit dem Poertgen gebührenden „großen Bahnhof“, sondern nur in kleinem Kreis durchgeführt werden: Neben Poertgens Enkeln mit Familien finden sich auch Schalkes Ehrenpräsident Gerd Rehberg, Bodo Menze, Klaus Fischer, Olaf Thon, Sebastian Pantförder und Sebastian Buntkirchen in der Friedhofskapelle ein, um Poertgen als einem der prägenden Spieler aus der goldenen Ära des Vereins die letzte Ehre zu erweisen.   

Die Atmosphäre in der Kapelle mit den von der Farbe Blau geprägten Buntglasfenstern ist eine ganz besondere. Das Schwere, Bedrückende, die frische Trauer, die Beerdigungen sonst innewohnt, fehlen, vielmehr überwiegt die Freude, dass Ernst Poertgen auch fast 35 Jahre nach seinem Tod einen schönen Platz für Erinnerungen und Gedenken bekommt. Dennoch: Als Saxophonist Norbert Labatzki mit einem feierlichen Stück die Umbettungsfeier eröffnet, sind alle ergriffen.

Pfarrer Ernst-Martin Barth findet genau die richtigen Eingangsworte, um an einen „großen Fußballer und Mensch“ zu erinnern – keine Stunde der Trauer, sondern des Gedenkens, der Freude und der Erinnerungen.

Olaf Thon ist es dann vorbehalten, den beeindruckenden Lebensweg von Ernst Poertgen – in der Mannschaft wurde er nur „Pöttinger“ genannt, um keine Verwechslungen mit seinen Namensvettern Ernst Kuzorra („Clemens“) und Ernst Kalwitzki („Kalli“) aufkommen zu lassen – zu skizzieren. Pöttinger hatte mit 104 Toren in 101 Spielen für Schalke sogar eine bessere Quote als Klaus Fischer, was dieser jedoch als echter Sportsmann mit einem beifälligen Nicken erträgt. Für das Endspiel 1934 ist Pöttinger wegen seines Wechsels noch gesperrt, doch 1935 ist er mit gleich drei Toren gegen den VfB Stuttgart der Star des Finales. Auch 1937 erzielt er im Finale das Führungstor und hat einen großen Anteil am ersten Double.

Privat findet Poertgen sein Glück nach einem Auswärtsspiel in Bonn und zieht der Liebe wegen zu seiner Maria, wo er nach der aktiven Laufbahn mehrere Gaststätten betreibt. Doch auch als er längst die Fußballschuhe an den Nagel gehängt hat, versiegt das Interesse an „seinen“ Schalkern nie. „Manchmal muss man Umwege gehen, um nach Hause zu kommen“ beschließt Thon seine Ansprache äußerst treffend.

Es folgt eine leicht angejazzte Version des Steigerlieds auf dem Saxophon, alle Trauergäste blicken auf den mit blau-weißen Blumen geschmückten Sarg und das Porträt von Poertgen aus der Schalker Ahnengalerie – sogar die Victoria, die Schalke seinerzeit in die Luft recken durfte, steht zu seinen Füßen.

Die folgende Ansprache übernimmt wieder Pfarrer Barth und aus jedem seiner Worte schimmert nicht nur der Glaube, sondern auch tiefer Respekt vor Poertgen und eine große Verbundenheit mit Schalke. „Hätten wir doch jetzt einen wie ihn, der in drei Länderspielen gleich fünf Tore schießen kann!“ kann wohl jeder Schalker unterschreiben. Die Geschichte von Poertgen, der für ganz konkrete Hoffnungen, Träume und Gefühle einer Generation steht, die wie kaum eine andere unseren Verein geprägt hat, erfahre heute ein weiteres Kapitel. Barth betont, dass wir alle die Geschichte weiterschreiben dürfen, ja sollen, „die Geschichte der Menschen hier und unseres Vereins“. Viele Menschen haben Tränen in den Augen, wenn sie sich von dieser Geschichte berühren lassen. Arbeit für Schalke bedeute immer auch Arbeit am Menschen, weil Schalke so viel Menschen tief berühre – Gottes Liebe ein Leben lang, Blau und Weiß ein Leben lang, Glückauf…

Diese emotionale Ansprache geht den meisten Anwesenden durch und durch, bei „Lobe den Herren“ vom Saxophon wird deshalb tief durchgeatmet. Auch das Fürbittengebet hat eine deutliche königsblaue Note – gedankt wird unter anderem für die vielen guten Dinge, die frühere Schalker uns hinterlassen haben und die zahlreichen tiefen Freundschaften, die auf Schalke ihren Anfang nahmen. „Möge Nichts davon je verloren sein!“

Nach der Aussegnung formiert sich die kleine Gemeinde zu den Klängen von „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“ hinter dem Sarg, Olaf Thon übernimmt die Schalker Fahne mit dem Trauerflor – ein äußerst ergreifender Moment, auch wenn der Tod Poertgens schon so lange her ist. Die letzte halbe Stunde hat eine goldene Zeit unseres Vereins, die alle Anwesenden nur aus Erzählungen kennen, sehr nahe gerückt, die Tradition ist greifbar wie selten.

Der Weg zum Grab ist kurz, das Fan-Feld erstrahlt in Blau und Weiß und frischem Frühlingsgrün und die Vögel in den Bäumen zwitschern, als die sterblichen Überreste von Ernst Poertgen sanft in die letzte Ruhestätte heruntergelassen werden. Als alle sich von ihm verabschiedet haben, herrscht Einigkeit, dass es trotz der nicht ganz einfachen Umstände eine würdevolle, schöne und angemessene Veranstaltung war. Klaus Poertgen dankt allen Beteiligten, die die Umbettung seines „Oppas“ möglich gemacht haben, herzlich. Blau und Weiß ein Leben lang – und darüber hinaus…