Geisterspiele: Hauptsache „Lebensfreude“

Geisterspiele: Hauptsache „Lebensfreude“

21. April 2020 Aus Von Carsten Schulte

Schalke wartet. So wie alle. Aber ab dem 9. Mai soll es ja wieder losgehen mit der Bundesliga. Geisterspiele lassen sich leichter verschmerzen im Profifußball, wo millionenschwere TV-Gelder warten, daher sinkt die Hemmschwelle.

Die Veltins-Arena. Foto: Imago

Ohne Zaudern plant die Deutsche Fußball-Liga (DFL) am Neustart, jetzt am 9. Mai. Dabei gibt es entgegen mancher Überzeugung keinerlei „Grünes Licht“ für Fußballspiele. Es gibt allerdings starke Lobbyarbeit über die bekannte Kanäle.

Für BVB-Boss Hans-Joachim Watzke geht es um pure Lebensfreude, die endlich wieder „in die Wohnzimmer“ zurückkommen müsse. Als sei es Herzenswunsch der Schalker oder Münchner Fans, allein auf dem eigenen Sofa bei Nüsschen auf dem 55-Zoll-Flachbildschirm in ein leeres Stadion zu schauen, in dem Spieler bei Gruselstimmung den Ball hin- und herspielen.

Sicher ist, dass die Sehnsucht der Fans nach Fußball groß ist. Aber sicher nicht nach Geisterspielen mit Pappaufstellern auf den Rängen. Es könnte ja noch schlimmer kommen. Angeblich fußball-affine Macher haben eine App ins Leben gerufen, die für einen knappe Euro gekauft werden kann (umsonst gibt’s eben keine Stimmung) – und mittels derer man auf seinem Handyscreen virtuell „Stimmung“ machen kann. Zur Auswahl stehen die Optionen „Jubel, Klatschen, Singen“ Die gebündelten „Klicks“ aus deutschen Sofas würden dann „gemixt“ und über die Stadionlautsprecher ausgegeben – als akustische Unterstützung für Spieler und Klubs.

Offen ist, ob die DFL sogar gleichgültig genug wäre, um diesen Unfug, der allerdings prominent via „Bild“ beworben wird, zu erlauben. „Gesänge werden jeweils gesteuert und an die Klubs angepasst. Die Stars würden trotz Geisterspielen ihre Fans hören!“, heißt es im Boulevard-Blatt mit Ausrufezeichen. Dass es da draußen Menschen gibt, die sich öffentlich als Ideengeber für eine derartige Abseitigkeit zur Schau stellen, macht fassungslos.

Aber besser könnte man kaum illustrieren, welchen Stellenwert Fans in diesem ganzen Business haben. Klatschvieh, zur Not per App.

Unterdessen kommt aus München Unterstützung. Denn auch der Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge findet Gefallen an einem Neustart der Liga. „Wir spielen Fußball im Geiste unserer Fans“, ahnt Rummenigge aus der Ferne. Beide Funktionäre (und Klubs) sind bekannt dafür, stets fast ganz nah dran zu sein an den Wünschen und der echten Gefühlslage der Fans.

Welchen Aufwand die DFL betreibt, um ihr Premiumprodukt auf Deubel komm raus durchzubringen, zeigt der „Spiegel“. In einem 41-seitigen Dokument (hinter Bezahlschranke beim Spiegel) lässt sich nachlesen, wie detailliert der DFL das Spiel durchorganisiert. Mit maximal rund 300 Personen im Stadion – verteilt auf verschiedene „Zonen“ wie Innenraum, Tribüne und Außengelände – soll das Virus in Schach gehalten werden. Buchstäblich auf den Meter genau definiert die DFL, wer wann wo zu stehen hat. Nur die Zweikämpfe auf dem Rasen kann die Liga nicht reglementieren…

Mediale Berichterstattung beschränkt sich auf eine „virtuelle Pressekonferenz“. Interviews mit Spielern sind für Medien entweder nur einschränkt oder erst gar nicht möglich. Aber dann könnte man das Spiel auch direkt vom eigenen Sofa aus beschreiben. Wer doch ins Stadion darf, muss vorher einen Fragebogen ausfüllen und über seinen Gesundheitszustand und sein familiäres Umfeld Auskunft geben. Alles für den Fußball.

„Wir bitten dringend um vorbildliches Verhalten…“

Damit eben dieser Fußball kein blödes Bild abgibt, empfiehlt die DFL dringend: „Im Stadion wird der Blick der Öffentlichkeit auf den Profi- Fußball, die Teams und Akteure in der aktuellen Situation nochmals größer sein als bisher. Wir bitten dringend um vorbildliches Verhalten bezüglich der Hygiene- und Isolierungsmaßnahmen außerhalb des Spielfeldes.“

Dass ein Sport, der sich komplett gegen das Vorgehen des gesamten öffentlichen Lebens stellt und Geld über Vernunft stellt, „vorbildliches Verhalten“ einfordert, ist nur ganz leicht ironisch.

Vorsichtshalber sekundiert die DFL der medialen Kampagne auch noch mit einer eigenen Mitteilung. Man sei sich der Verantwortung bewusst. Nein, die zahlreichen erforderlichen Tests seien ein winziger Teil der vorhandenen Testkits – und die würden ohnehin nicht gänzlich benötigt: „Nach jüngsten Erhebungen stehen dort derzeit 640.000 Test pro Woche zur Verfügung, das entspricht einer Steigerung der Tageskapazitäten von mehr als 300 Prozent in den vergangenen fünf Wochen. Das derzeit diskutierte Konzept der DFL erfordert weniger als 0,5 Prozent der aktuellen Testkapazität. Hinzu kommt: Die bestehenden Kapazitäten werden laut ALM nicht ausgeschöpft.“

Die DFL „appelliert“ an seine Klubs, nicht „vorzeitig“ ins reguläre Mannschaftstraining einzusteigen. Das sei nicht „öffentlich vermittelbar“ und „nicht im Sinne der Sache“.

Die DFL formuliert den Neustart als unumgänglich. „Wir wollen nicht, dass eine wirtschaftliche Krise zu Strukturbrüchen führt, die irreparabel sein könnten und das Gesicht des deutschen Profifußballs einschneidend verändern.“ Kleiner ging es nicht.

Man darf vermuten, dass Schalke diesen Weg mitgeht – denn in den vergangenen Tagen und Wochen war ja hinlänglich genug über den sofortigen Exodus des Vereins zu lesen. Dass passend dazu die alten Debatten über eine Ausgliederung des Profibereichs aufgefrischt werden, passt in die Zeit.

Besser wissen geht immer, aber es dürfte auf der Hand liegen: Mit dem kompletten Alleingang des Profifußballs hat sich der Sport ohnehin ins Abseits gestellt. Und der eine oder die andere dürfte in diesen Wochen den Lust am Fußball ohnehin verloren haben.