Clemens Tönnies im Schalke-TV: Freundlich-unkritisch

Clemens Tönnies im Schalke-TV: Freundlich-unkritisch

7. November 2019 3 Von Carsten Schulte

Es gab in der mittlerweile eingestellten WDR-Serie „Zimmer frei“ immer dieses Segment „Die ultimative Lobhudelei“. Darin kamen mit dem jeweiligen Gast bekannte oder befreundete Personen vor, die freundliche Dinge über diesen sprachen.

So in etwa muss man das Video-Interview verstehen, dass Schalke-TV mit dem heute zurückgekehrten Aufsichtsratschef Clemens Tönnies führte. Moderator Matthias Killing stellte sich für die Stichwortgeberei zur Verfügung, bereitete ein Bett aus Rosen und versuchte gar nicht erst, irgendeine Art von Aufarbeitung in Gang zu setzen. Es war das Ausrollen eines roten Teppichs für den gefallenen Helden, der nun zu alter Stärke zurückkehrt. Allerdings mit Bart.

Der Anlass: Nach der halb selbstauferlegten, halb verordneten dreimonatigen Pause nimmt Tönnies am Donnerstag seine Amtsgeschäfte wieder wie vorher auf. Im Sommer musste er diese Auszeit nehmen, nachdem Aussagen von ihm beim Paderborner Tag des Handwerks öffentlich geworden waren. Tönnies hatte darin mit Blick auf Steuererhöhungen im Kampf gegen den Klimawandelt dies gesagt:

„… warum gehen wir nicht her und geben das Geld dem Gerd Müller, unserem Entwicklungsminister, und der spendiert jedes Jahr 20 große Kraftwerke nach Afrika. Dann hören die auf, die Bäume zu fällen, hören auf, wenn’s dunkel ist, […] Kinder zu produzieren.“

Eine typisch westlich-weiße Herablassung, zu der der Schalker Ehrenrat in einer bemerkenswerten schlichten Bewertung nur zu sagen hatte: Die Äußerung sei rassistisch gewesen, aber Tönnies eben kein Rassist.

Tönnies selbst hatte sich nach den Aussagen und der folgenden Kritik einige Male öffentlich eine Entschuldigung der üblichen Art formuliert („falls ich jemanden verletzt habe…“), aber damit war es dann auch gut gewesen. Auch beim DFB ging man der Sache trotz vieler Initiativen gegen Rassismus auch nicht weiter, also Schwamm drüber, drei Monate Pause und gut ist.

Nun muss man festhalten: Bisher ist Clemens Tönnies nicht als Rassist auffällig geworden und es gibt auch keine Hinweise darauf, dass der Schalker Aufsichtsratschef ein Rassist ist. Und selbstverständlich gehört zum normalen menschlichen Umgang auch, dass man einen Fehler kritisiert, die Entschuldigung annimmt, wenn sie aufrichtig erscheint (was hier nicht zu widerlegen ist) und dann wieder neu startet. Es gibt keinen Grund, Tönnies eine öffentliche Aussage ein Leben lang nachzutragen und durch einen Satz den ganzen Menschen zu richten – aber es gibt gute Gründe, das Thema anders aufzuarbeiten und sich selbst anders darzustellen und zu hinterfragen.

Denn: In den 11:54 Minuten des Videos interviewt sich Schalke im Grunde selbst. Tönnies bekommt Vorlagen der Art „Du bist Opa geworden“ oder „Du trägst jetzt Bart. Was sagt deine Frau dazu“ geliefert – so stellt man den Menschen in den Mittelpunkt, nicht das Thema. Moderator Matthias Killing, u.a. beim SAT1-Frühstücksfernsehen, ist bekennender Schalke-Fan und darf dieses Interview mit Tönnies führen. Man ist beim „Du“, was im Fußball normal ist, aber in diesem Fall die kritiklose Gesprächsführung nur unterstreicht.

Killing gibt im Interview sanfte Stichworte, laviert vollständig um die konkrete Nennung des eigentlichen Anlasses herum („das, was du gesagt hast“), verzichtet auf jede Bewertung oder Einordnung der Aussagen und der folgenden Kritik und will ansonsten nach vorn schauen. Es geht tatsächlich um die Frage, ob die „Heftigkeit der Reaktionen“ Tönnies überrascht habe. Also die glatte Umkehr von Ursache und Wirkung. Nicht, was gesagt wurde, muss bewertet werden, sondern nur, was darauf folgte und wie sich der „Verursacher“ anschließend fühlte. So macht man Vereins-TV.

Killing baut Brücken („es ist ja immer eine Frage des Sendens und des Empfangens… andere haben das möglicherweise in den falschen Hals gekriegt“), um die Intention von Tönnies‘ Aussagen aufzuweichen und zu verharmlosen. Das anzuschauen, muss Schalke-Fans wehtun.

Killing weiter: „Wer dich kennt und wer weiß, was du auch alles in der Vergangenheit getan hast, dem muss eigentlich klar sein: Das kann nicht so gemeint gewesen sein!“ Tönnies müsse allerdings, so der Moderator, auch eine Menge „über die Menschen um dich herum gelernt haben“.

Das ist nun wirklich die Härte. Alles dreht sich nur um das „Opfer“ Tönnies, der nach der Logik des Moderators und Schalke-TV keinesfalls das gemeint haben könne, was er da gesagt hatte. Man wundert sich.

Tönnies: „Wir müssen in der Gesellschaft viel mehr dagegenstellen gegen Diskriminierung und Rassismus stellen. […] Das brauchen wir 2019.“ Woraufhin Killing assistiert: „Mehr denn je. Einen öffentlichen Diskus, den wir ja auch haben.“

Tönnies legt Wert darauf, „bei jeder Anti-Rassismus-Kampagne als allererstes“ dabei zu sein. Er wolle, falls gewünscht, auch das Gesicht einer neuen Kampagne sein. Das alles ist schön und gut – aber man fragt sich dann langsam doch, wieso diesem Kämpfer gegen Diskrimierung und Rassismus derart flapsige und gedankenlose (?) Aussagen entfahren. Was er sich eigentlich bei diesen Aussagen in Paderborn gedacht hat, das fragt der Moderator gar nicht. Tönnies selbst sagt nur: „Es sollte eine besondere Bedeutung bekommen und ist voll in die Hose gegangen.“ Alles bleibt im Allgemeinen. Dass gerade ihm so etwas passiere, trotz seiner Erfahrungen mit Medien und vor Publikum…

Dass ein Vereins-TV genau so arbeitet, ist nicht überraschend. Dass man es dabei aber nicht bewenden lässt, sondern die Themen einordnet und auch andere Sichtweisen einnimmt, ist deswegen aber wichtig.

Das Ironische an diesem ganzen Interview: Verschiedene Twitter-Nutzer verwiesen auf den Deutschen Sportjournalistenpreis 2019, der im März in Hamburg verliehen wurde.

Moderator der Veranstaltung? Matthias Killing. Und im März nahm der sich noch die Zeit, in seiner Moderation auf Fairness zu verweisen. „Wir alle haben aber auch eine Verantwortung“, so Killing vor wenigen Monaten. „Wir haben nicht nur die Verantwortung fair zu berichten, sondern auch darüber, was in der Gesellschaft, was auch in Fußballstadien nicht gut läuft. […] Wir alle müssen auch aufpassen, genau hinschauen und den Finger immer wieder in die Wunde legen und eine Sache vor allem immer wieder klar und deutlich betonen – egal in welchem Medium: Rassismus hat in diesem Land keine Chance und das ist gut so und dafür kämpfen wir tagtäglich.“

Schamesröte wäre angezeigt.